Aktuelle Rezensionen
Gerhard Fouquet/Matthias Müller/Sven Rabeler/Sascha Winter (Hg.)
Geschichtsbilder in Residenzstädten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Präsentationen – Räume – Argumente – Praktiken
(Städteforschung. Reihe A: Darstellungen 103), Wien/Köln 2021, Böhlau, 398 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Karl Möseneder
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 23.06.2023
Die Veröffentlichung gründet in einem Kolloquium, das das Institut für vergleichende Städtegeschichte und das Kuratorium für vergleichende Städtegeschichte e.V. in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Akademieprojekt „Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800)“ Anfang März 2019 in Münster veranstaltet haben. Besonderes Anliegen der Tagung war die „interdisziplinäre Zusammenführung von Geschichte und Kunstgeschichte in der Erforschung residenzstädtischer Erinnerungskulturen der Vormoderne“ (S. 7). An zahlreichen Beispielen der bislang im Verhältnis zu den reichsstädtischen Zentren und größeren Autonomiestädten eher vernachlässigten Residenzstädte wurde also das offene Konzept von „Geschichtsbildern“ verfolgt – im Kontrast zu vorangegangenen engeren „Stadtgeschichten“ (S. 12 f.). Im Rahmen von „Geschichtsbildern“ werden – bezogen auf den deutschsprachigen Raum sowie auf Nachbarregionen – Zeugnisse der historiographischen Schriftkultur ebenso berücksichtigt wie künstlerisch-visuelle, architektonische und städtebauliche Zeugnisse oder vereinzelte Inschriften. Es geht also um Residenzstädte als Orte der Generierung von Geschichtskonzepten und ihren medialen Vermittlungen.
So zeigt eingangs der Kunsthistoriker Matthias Müller, dass in der Geschichtsschreibung fiktive Schilderungen oder reale Bauwerke als materiell-ästhetische Äquivalente zur vollkommenen Tugendhaftigkeit der französischen Könige angeboten werden konnten. Man versuchte, auf ästhetischen Grundsätzen basierende Geschichtsbilder zu erstellen. Beispielreich widmet sich im zweiten einleitenden Beitrag Peter Johanek, der Nestor der Erforschung der städtischen Chronistik des Mittelalters, der grundsätzlichen Frage, ob es eine spezifische Geschichtsschreibung der Residenzstädte im Alten Reich gab. Die These bejahend legt er dar, wie städtische Identitäten in Residenzstädten überwiegend vom Hof her definiert wurden und in der beginnenden Neuzeit – neben zunehmender visueller Anteile etwa von Druckgraphik – ein Bewusstsein für die Einbindung in das fürstliche Territorium geschaffen werden sollte. Die Resultate fand – wenig überraschend – tendenziell in anderen Aufsätzen Bestätigung.
Unter dem Teilkapitel „Geschichte präsentieren“ zeigt dann Stephan Hoppe am Exempel der bischöflichen Festung Hohensalzburg, wie Ende des 15. Jahrhunderts bei deren Verwandlung von einer mittelalterlichen Burg in eine fürstliche Residenz ein humanistisch begründetes Stilbewußtsein zum Tragen kam, genauer: dass bei der Einwölbung von Räumen unter überraschendem Verzicht auf gotische Gewölberippen Formen der zurückliegenden Epoche der Romanik aufgegriffen wurden. Mit Konrad Ottenheym möchte Hoppe von einer „romanesque renaissance“ (S. 72) sprechen. Daran schließen sich, auf Texten basierend, Ausführungen von Julia Burkhardt über spätmittelalterliche „Wahrnehmungen, Deutungsmuster und Repräsentationen“ (S. 105) der Stadt Buda an. Und zwar mit dem Resultat, dass im Fokus zeitgenössischer Reflexionen Buda nicht als „königliche Stadt“, sondern als Hauptstadt des gesamten ungarischen Königreichs stand. Unter der Kapitelüberschrift „Geschichte im Raum“ widmet sich Klaus Krüger historischen Denkmälern und Inschriften an öffentlichen Gebäuden (Kirchen, Grabmälern, Rathäusern etc.) in mitteldeutschen Residenzstädten. Er gliedert sie u.a. in kontextuell „zeitgebundene Erinnerungsmale mit affirmativ-didaktischer Funktion“ und jene selteneren Inschriften, die in größerem zeitlichem Abstand entstanden sind, d.h. „abgeschossene Episoden der Stadtgeschichte“ betreffen, „Texte also, die als historischen Denkmäler konzipiert sind“ (S. 133). Anschließend vollzieht Peter Stephan gut bebildert und weit ausgreifend nach, wie der preußische König Friedrich I. sein „Herrschaftsnarrativ auf die Stadtbaukunst“ (S. 147) Berlins projizierte, nachdem er ein Residenzschloss dem erworbenen höheren Rang entsprechend errichten sowie ein adäquates Bildprogramm ausformulieren ließ. Daran schließt sich die von Olaf Mörke präsentierte und visuell nachvollziehbare Analyse der Residenzstadt Den Haag an. Ihre urban realisierten und ablesbaren Geschichtsbilder präsentieren demnach ein „fürstlich[.]-ständisches Raumhybrid“ (S. 185).
Unter dem anschließenden Motto „Geschichte als Argument“ interpretiert Pia Eckhardt Ursprungsgeschichten historiographischer Texte aus deutschen Bischofsstädten. Dabei zielt sie speziell auf deren Rolle bei der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Hof und Stadt. Das Fazit des folgenden Aufsatzes von Sascha Köhl besteht darin, dass bis ins 16. Jahrhundert die Bildprogramme von Rathäusern in mehrheitlich niederländischen Residenzstädten von genealogischen Reihen der Landesherren geprägt wurden.
Das vierte und letzte Kapitel ist mit dem Titel „Geschichte als soziale Praxis“ überschrieben. In diesem Rahmen untersucht zunächst Sven Rabeler anhand von Quellen des 13. bis 16. Jahrhunderts die Frage, welche Bedeutung Präsentationen und Interpretationen karitativen Handelns in Geschichtsbildern von Residenzstädten hatten. Ausgehend von der Betrachtung des Denkmals der Hl. Elisabeth am Rathaus von Marburg (1524) interessiert ihn speziell das Verhältnis zwischen fürstlicher Herrschaft und Gemeinde. Gerhard Fouquet widmet sich anschließend exemplarischen Geschichten des Jahres 1529 in Basel, genauer der Abfolge religiöser, politischer und natürlicher Extremereignisse, die zum Ende der bischöflichen Residenzstadt führten: Es entstand eine „neue, autochthone und autokephale evangelische Gemeinde“ (S. 336). Im Mittelpunkt des letzten Beitrags, er stammt von Herbert Karner, stehen religiöse Festlichkeiten, die an der barocken Mariensäule gegenüber der Jesuitenkirche Am Hof in Wien zum Teil unter Beteiligung des kaiserlichen Hofes vollzogen wurden. Die eindringliche Analyse zweier graphischer Blätter, die jene Ereignisse überliefern, ist mit „Visualisierung von Performanz als politisches Medium“ (S. 337) charakterisiert. Mit „Performanz“ wurde die Vielfalt der in den Beiträgen behandelten Schrift- und Bildkulturen also um ein weiteres Element ergänzt.
Die Autoren bzw. die vier Herausgeber haben einen klug zusammengestellten Sammelband vorgelegt, der einen guten Eindruck von der Vielfalt aktueller Forschungsansätze zur Bestimmung residenzstädtischer Identitäten gibt. Es ist absehbar, dass von seiner Rezeption produktive Anstöße für weitere einschlägige Beiträge zur Geschichts- und der Kunstwissenschaft ausgehen werden.