Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Martin Brons/Thomas Schauerte/Manuel Teget-Welz (Hg.)

500 Jahre Sebaldusgrab. Neue Forschungen zum Monument des Nürnberger Stadtpatrons

Regensburg 2021, Schnell & Steiner, 224 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, 30 Farbtafeln, Faltpläne


Rezensiert von Wolfgang Augustyn
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 28.06.2023

Seit dem 11. Jahrhundert ist in Nürnberg das Grab des heiligen Sebaldus bezeugt. Seine Reliquien galten Jahrhunderte lang als bedeutendstes Heiltum in der älteren Pfarrkirche neben dem (Alten) Rathaus der Reichsstadt. Die Verehrung seines Grabs durch die Gläubigen veranlasste den Rat, beim Papst um Erlaubnis seiner besonderen liturgischen Verehrung anzusuchen; 1425 wurde er schließlich kanonisiert. Wallfahrt und Verehrung nahmen im 15. Jahrhundert großen Aufschwung. Die sterblichen Überreste wurden immer als besonderer Schatz der Stadt angesehen, dessen hohem, öffentlich bekundetem politischen Wert für das Selbstverständnis der Reichsstadt auch die Einführung der Reformation keinen Abbruch tun konnte. Als es 1461 zu einem Diebstahl gekommen war, beschloss die städtische Obrigkeit, den unversehrten Zustand der Reliquien fortan in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, eine Praxis, die seit der Reformation 1525 von der evangelisch-lutherischen Geistlichkeit fortgesetzt wurde (zuletzt 2019). Die seit 1397 in einen kastenförmigen Schrein eingeschlossenen Reliquien wurden zusätzlich durch ein aufwendiges architektonisches Gehäuse gesichert. Das Jubiläum dessen 500-jährigen Bestehens wurde im Juli 2019 festlich begangen („500 Jahre Sebaldusgrab – Spuren des Stadtpatrons“), u.a. durch ein interdisziplinäres Symposium, für das die Kirchengemeinde St. Sebald, die Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg und die Museen der Stadt Nürnberg (Albrecht-Dürer-Haus) verantwortlich waren. Der nun erschienene, mit neuem, hervorragendem Bildmaterial illustrierte Tagungsband enthält die Beiträge aus verschiedenen Disziplinen zu einzelnen Aspekten des Sebaldusgrabmals, das als bedeutendes Kunstwerk von internationalem Rang zwar schon lange bekannt, aber in vielen Details nicht hinreichend untersucht war. Mit den „Neuen Forschungen“ werden nun Lücken geschlossen und offene Fragen benannt.

Der Historiker Franz Machilek (1934–2021) schildert eingangs, was über Person und Leben Sebalds, eines wohl im 8. Jahrhundert in der Nürnberger Gegend ansässigen Einsiedlers, bekannt und in den Quellen überliefert ist, berichtet über die Anfänge von dessen Verehrung – die Geschichte eines Heiligen „per viam cultus“ –, der zum Patron der Pfarr- und Ratskirche und der Stadt aufsteigt, dessen Grab und Reliquien schließlich besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Im 13. und 14. Jahrhundert war er in der (lokalen) Liturgie verankert, eine ausführliche Überlieferung in der Legende zeichnet sein Lebensbild als Wundertäter, Pilgerheiliger, Missionar und Einsiedler: eine auch in reicher Bildüberlieferung und heraldischen Traditionen nachweisbare Verehrungsgeschichte, die mit seiner Kanonisation Anerkennung gefunden hatte, aber mit der Einführung der Reformation in Nürnberg 1525 nur zögerlich und mit großer Zurückhaltung der politischen Obrigkeit eingedämmt wurde. Noch die Bollandisten konstatierten im 18. Jahrhundert angesichts eines Nürnbergbesuchs, dass der Metallschrein (immer noch) in frommer Verehrung bewahrt werde (S. 11–61).

Es folgen Bemerkungen zur neuen Umzeichnung des Planrisses von 1488 zum geplanten Sebaldusgrab von Pablo de la Riestra (S. 63–71). Am deutlichsten stellt Dorothea Diemer, Autorin zahlreicher maßgeblicher Untersuchungen zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Werken aus Bronze, die offenen Fragen zur Formgenese des Grabmals dar: Wie kam es zu seiner heutigen Erscheinungsform? Die komplizierte Entstehungsgeschichte ist in ihrem Beginn mit dem Planriss von 1488 fassbar, endet aber erst 1519. Die am Sebaldusgrabmal deutlich erkennbare stilistische Heterogenität der einzelnen Teile wurde immer der langen Entstehungsgeschichte angelastet, die zu einem Bronzebildwerk „am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance“ geführt habe und mit einem Planwechsel beim Wiederaufnehmen der Arbeiten am Grabmal 1514 begründet. Die Verfasserin stellt die einzelnen Arbeitsetappen vom Auftrag an Peter Vischer und seine Werkstatt dar, die zu den beiden, 1508 und 1509 vollendeten Hälften des Sockels führten, und rekonstruiert detailliert die einzelnen Arbeitsschritte mit den jeweils ausgeführten Teilen des Werks (S. 73–103). Sie kann zeigen, dass man offenbar noch lange am ursprünglich geplanten gotischen Aufbau festhielt und sich erst allmählich zu einem Stilwechsel an den Einzelteilen entschied: eine Analyse, die – gerade angesichts der Arbeitsabläufe – viel plausibler erscheint als die in der kunsthistorischen Literatur oft momenthaft beschriebene Entscheidung zu einem „Stilwechsel“. Manuel Teget-Welz referiert zum Bronzegießer Peter Vischer und seinen Söhnen und berichtet über Organisation und Produktion der Nürnberger Rotschmiedwerkstatt bis 1519 (S. 105–119). Gerhard Weilandt erörtert den Zyklus der Tugenden und Laster am Grabmal (S. 121–141) als Beispiel für eine Gestaltung, ebenso in der Tradition mittelalterlicher Darstellungshierarchien als auch, in der freien Gestaltung der allegorischen Personifikationen, „höchst modern“ (S. 138), während Thomas Schauerte das humanistische Umfeld des Sebaldgrabs (S. 143–155) vorstellt und Jaqueline Klusik-Eckert das „Nachleben“ des Grabs im 19. Jahrhundert darstellt: eine Rezeptionsgeschichte „Zwischen Künstlerdenkmal und verklärtem Rückblick“ (S. 157–171). Der letzte Beitrag von Joachim Werz, einem Theologen und Kirchenhistoriker, behandelt einen besonderen Aspekt, handelt es sich beim Sebaldsgrab doch um das in einer evangelischen Kirche überkommene Monument eines Heiligen, dessen Andenken durch die evangelische Gemeinde gepflegt wird. Gerade die Öffnung und Visitation der Reliquien fordern geradezu dazu heraus, über Stellenwert und Bedeutung dieser lebendigen Tradition nachzudenken: „Liturgische Feier oder traditionelle Bürokratie“ (S. 173–190). Hatte der Pfarrer an der Sebaldskirche 1952 im Lutherrock, 1971 im Regenmantel – den überkommenen Pflichten treu – die Visitation vorgenommen, begann man seit den 1990er Jahren durch eine besondere Ausgestaltung (allerdings „befreit von den vorreformatorischen Riten“), diesem Vorgang wieder einen religiösen Charakter zu geben und bemühte sich, eine geistliche Dimension zurückzugewinnen: bei der öffentlichen Reliquien-visitation 2019 durch den Pfarrer an der Sebaldskirche „hochkirchlich“ in Albe und Stola eingebunden in eine liturgische Feier, wie Werz folgert, eine „symbolische Kommunikationsform“, mit der dieser Vorgang einen gesellschaftsrelevanten und existentiellen Beitrag leiste für das städtische Leben (S. 188). Der Band bietet einen sehr gut bebilderten Überblick zu einem der bedeutendsten Bronzewerke der frühen Neuzeit in Deutschland, fasst in gut lesbaren Texten den wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammen und stellt die offenen Fragen dar.