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Ariane Schmalzriedt
Baulast und Baulust. Die Entstehung einer barocken Sakrallandschaft in Oberschwaben zwischen Donau und Iller
(Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft 1/48), Friedberg 2022, Likias, 407 Seiten, Abbildungen
Rezensiert von Meinrad von Engelberg
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 05.07.2023
Wie promoviert man über ein Klischee? Diese Stuttgarter Dissertation wagt sich auf eines der meist begangenen und zugleich besonders schwer verminten Forschungsfelder des süddeutschen Barock, indem sie erneut die Frage nach einer ebenso wenig wegzuleugnenden wie schwer erklärbaren Sonderkonjunktur im süddeutsch-ländlichen 18. Jahrhundert stellt. Schon der Begriff „barocke Sakrallandschaft in Oberschwaben“ vereint so viele strittige Termini der Kunstgeschichte, dass man gespannt ist, wie die Autorin hier einen sicheren und erkenntnisfördernden Weg bahnen will.
Das Phänomen selbst ist nicht zweifelhaft, nämlich die in erstaunlich großer Zahl und Qualität auf engstem Raum in den (mehrheitlich geistlichen) Kleinterritorien Oberschwabens zu konstatierende Kunst- und Baublüte. Alles andere dagegen scheint umstritten und stark von ideologischen Setzungen geprägt: Handelt es sich um das Ergebnis irrationaler Verschwendung, sozusagen als Vorwegnahme des unausweichlichen Untergangs dieser obsoleten politischen Gebilde wenige Jahre später? Oder war die Baukonjunktur vielmehr (Neben-)Produkt gesunder Ökonomie regional verwurzelter „hidden champions“ unter den Reichsständen? Stöhnten und murrten die Untertanen unter den ihnen hierfür auferlegten (Fron-)Lasten, wie Hartmut Zückert 1988 provokativ behauptete, oder profitierten sie nicht vielmehr von der klugen Investitionspolitik ihrer Obrigkeit im Sinne einer lokalen Konjunkturförderung, wie unter anderem Bernd Roeck auf einer Irseer Tagung 2002 vorschlug?
Ariane Schmalzriedt wählt für die Beantwortung dieser sehr generalistischen Fragen ein kluges Setting, indem sie eine bestimmte Teilregion „zwischen Donau und Iller“ (Karte S. 42) einem „Close reading“ unterwirft: Sie vergleicht die Baupolitik der Benediktiner in Elchingen und Wiblingen mit den Prämonstratensern in Roggenburg, der Grafschaften Fugger-Kirchberg und -Babenhausen sowie dem Streubesitz von Buxheim, Kaisheim, Salem und Hochstift Augsburg – somit mehrheitlich reichsunmittelbare (bzw. vorderösterreichische) Territorien ohne Fernsteuerung einer Zentralregierung wie z.B. in Kurbayern. Zudem weitet sie den Blick von den oft betrachteten Großbauten der Klöster auf das jeweilige Herrschaftsgebiet mit seinen „gewöhnlichen“ Dorfkirchen, Kapellen und Wallfahrtsheiligtümern. Schließlich stellt sie verschiedene, hierbei oft genannte Motivationsoptionen zur Diskussion: Baulust, Baulast (d.h. rechtliche Verpflichtung, diese zu tragen, S. 205), ständischer Wettbewerb und konfessionelles Selbstverständnis. Sie ergänzt dies durch die Frage nach „Top-down“ oder „Bottom-up“ (S. 39), also: Von wem ging die Initiative zur Erneuerung z.B. einer Dorfkirche aus? Gab es Konsens, Widerstände oder Diskussionen, wurde geworben, überzeugt oder befohlen? Schließlich ist zu prüfen, ob die charakteristische „Kleinkammerung“ (S. 32) der oft sich überlagernden Rechtstitel vielleicht als zusätzlicher regionaler Katalysator diente.
Die Quellendichte zu dieser Kunstlandschaft ist bekanntlich deutlich schlechter als die künstlerische Überlieferung: Selbst wenn sich Aktenbestände (meist weit zerstreut und unvollständig) erhalten haben, ist durchaus nicht gesagt, dass sie im Sinne von Transparenz oder Vollständigkeit geführt worden waren (S. 46–59, 364–369). Die Autorin zeigt auch angemessene Vorsicht gegenüber gern wiederholten Floskeln wie „Baufälligkeit“ oder „höhere Ehre Gottes“ (S. 357–361).
Eine Schlüsselrolle spielten bei der Finanzierung neben den Klöstern als bauender Obrigkeit die lokalen Kirchenkassen unter dem sehr sprechenden Gattungsbegriff „Heiligenfabrik“ – hieraus wurden nicht nur Baumaßnahmen, sondern auch alltägliche Ausgaben bezahlt sowie Kredite vergeben. Defizite verschwanden manchmal auf rätselhafte Art zum Jahresende, was auf schwarze Kassen zum Wiederauffüllen schließen lässt (z.B. Schießen, die Wallfahrtskirche von Roggenburg, S. 108 ff.).
Es bestätigen sich relativ große, mehrheitlich institutionelle und strukturelle Unterschiede: Während die Prämonstratenser in Roggenburg manche Dorfkirche dreimal in einem Jahrhundert erneuerten (S. 207–228), ließen sich die Benediktiner in Elchingen einmal sogar bis zum Einsturz Zeit (S. 141, 331–348). Verwandtschaftliche Beziehungen von Konventualen und Künstlern sowie erfolgreiche „Platzhirsche“ und Netzwerke des Bauwesens sind gut nachweisbar (S. 97, 103). Zugleich sind schwankende Baukonjunkturen bei denselben Klöstern je nach persönlicher Neigung des gerade regierenden Abtes feststellbar (S. 223).
Was mit „Kleinkammerung“ gemeint ist, wird besonders deutlich beim Neubau der Wallfahrtskirche von Matzenhofen (S. 240–302), bei der jeder Quadratmeter der Erweiterung des Bauplatzes sofort zu detaillierten rechtlichen und finanziellen Klärungsprozessen des zuständigen Oberamtsmanns der Grafen Fugger-Babenhausen mit den Nachbarn aus dem Hochstift Augsburg, der Reichskartause Buxheim und manchen anderen führte. Insgesamt zeigt sich, dass die quellenmäßig überlieferten Diskussionen regelmäßig um rechtliche und finanzielle Detailfragen, das Anbringen von Wappen, um Genehmigungen und Zuständigkeiten, aber praktisch niemals um die Frage gingen, ob der hohe Aufwand für ländliche Kirchenbauten überhaupt notwendig sei. So kann die zugrunde gelegte Konkurrenzthese meist nur indirekt und implizit beantwortet werden, zumal auf Basis dieser Stichprobe bestimmte Vergleichsebenen wie die interkonfessionelle oder überregionale (z.B. innerhalb eines Ordens) kaum zu erfassen sind (S. 189, 193 f., 353–357).
Dagegen ist das durchgängig hohe Engagement der Untertanen für „ihre“ Projekte deutlich zu belegen: Sei es durch Spenden und (verzinsliche) Kreditvergabe an die jeweilige Kirchenkasse, gegen geringe Entschädigung geleistete Fuhrdienste, oder Eingaben bei der Obrigkeit, man wolle den Petenten doch bitte einen dringend erwünschten, bereits begonnenen und selbst finanzierten Kapellenbau zumindest genehmigen (S. 153, 197, 216, 363 f.). Hierbei zeigt sich, dass Arbeitslohn und Rohbau finanziell eine untergeordnete Rolle spielten, während Material-, Transport- und Ausstattungskosten für Stuck, Fresken und Altäre die Bauvollendung und Weihe oft um Jahre verzögern (S. 369).
Obwohl das ausgewertete Material denkbar trocken ist, mehrheitlich Kirchenrechnungen oder amtliche Briefwechsel, gelingt es Schmalzriedt sehr gut, die zwischen den Zeilen gelegenen Intentionen, die Täuschungsmanöver, Lock- und Drohgebärden, Über- und Untertreibungen, Beschönigungen und Schmeicheleien herauszuarbeiten. Besonders Freunde der barocken Amtssprache kommen auf ihre Kosten, wenn z.B. der Roggenburger Chronist die 1781 erneuerten Beichtstühle in der Wallfahrtskirche von Schießen wie folgt beschreibt: „4 Bußverhörsitze[n] steigen von Gypse, der den feinsten Marmor lügt, prangend empor: das beste Gold umschleichet sie, und geben der Kirche neue Zierde.“ (S. 114)
Am erhellendsten ist vielleicht das fünfte und letzte Fallbeispiel der Autorin: Jene Michaelskapelle in Balmertshofen (S. 331–348), die der Abt von Elchingen lieber zusammenbrechen ließ, als eine von den Ortsansässigen dringend erwünschten Renovierung finanziell zu unterstützen: Hier träfen eigentlich alle „konkurrenzfördernden“ Faktoren zu, nämlich die erst vor kurzem erfolgte Wiedererwerbung der Herrschaftsrechte aus dem Vorbesitz Ulmer protestantischer Patrizier und das Drängen des Augsburger bischöflichen Ordinariats, dass die „Decimatoren“, also Inhaber des Zehnten, doch bitte auch die Baulast übernehmen sollten. Es zeigt sich aber, dass – für Kenner der Epoche und Region keineswegs verwunderlich – rechtliche Fragen alle anderen Überlegungen in den Schatten stellten: Der Abt verlangte einen schriftlichen Nachweis, dass sein „Reichsgotteshaus“ hier irgendwie in die Pflicht zu nehmen sei, da ja weder die Umstände der Erbauung (also der Stifter) noch der Rechtsstatus der Kapelle gesichert sei. Dennoch ließ er seinen Amtmann über die „Heiligenfabrik“ penibel Buch führen und das dort gesammelte magere Kapital gerne gegen Zinsen ausleihen (S. 344 f.). Nachdem die Kapelle schließlich 20 Jahre als Ruine dalag, erlaubten die bis 1777 aufgelaufen Renditen – unter dem nachfolgenden, baufreudigeren Abt – den Wiederaufbau. Es ehrt Ariane Schmalzriedt, dass sie mit Blick auf diesen Befund ihre Ausgangsthese von der baufördernden Konkurrenz vor allem in Grenznähe zum Nachbarn als „vermutlich zu naiv und idealistisch gedacht“ (S. 346) relativiert. Die von ihr exzellent aufgespürten und ausgewerteten Quellen belegen dagegen, was die Zeitgenossen unter „Concurrenz“ beim Bauen verstanden (S. 313, 368 f.): Nämlich die konfliktreiche Abstimmung darüber, wer in einer fast immer komplizierten Rechtslage zur finanziellen Verantwortung für just diesen Kirchenbau herangezogen werden könnte. Dass ländliche Kirchen aber überhaupt zu erneuern seien, wurde nie bezweifelt.
Vielleicht wird man sich in späteren Jahrhunderten einmal fragen, ob die zahllosen ländlichen Sparkassengebäude, Mehrzweckhallen und Schwimmbäder in der „alten Bundesrepublik“ vor 1989 dereinst von den lokalen Honoratioren den Steuerzahlen abgetrotzt, oder aber deren Errichtung mit Blick auf das Nachbardorf oder Fördermöglichkeiten dritter vielmehr als Selbstverständlichkeit verantwortlicher Lokalpolitik erwartet wurde. Auch die regelmäßige taktische Unterschätzung der Gesamtbaukosten bei Baubeginn samt späterem bösen Erwachen (S. 367 f.) scheinen ein überzeitliches Phänomen zu sein.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass das sakrale Bauen im barocken Oberschwaben trotz aller Unterschiede im Detail so etwas wie eine unhinterfragte kulturelle Praxis, also eine regionale Selbstverständlichkeit war. Hier erscheint die 1767 formulierte Rechtfertigung des Obervogtes von Deisenhausen gegenüber der Kritik des Pfarrers an zu großen Bauaufwendungen für die Dorfkirche symptomatisch: „Der Herr Pfarrer wolle zu jetziger Zeit eine auf dem Lande erbaute Kirche benennen, die nicht en fresco gemalen werde.“ (S. 37)
Wem kann man das Buch empfehlen? Allen, die einen quellengestützten Nahblick auf das alltägliche Baugeschehen des 18. Jahrhunderts in Süddeutschland werfen und die Motivation, Mentalität, Rechtsauffassung und Kommunikationsformen derjenigen aus erster Hand kennen lernen wollen, welche die barocke Sakrallandschaft an Donau und Iller mit ihrem ebenso routinierten wie konfliktfreudigen Verwaltungshandeln erst möglich gemacht haben.