Aktuelle Rezensionen
Ulrich Hohoff/Peter Stoll/Andreas Kosuch (Hg.)
„Ein Reichtum, den kein Maß bestimmen kann“. Die Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Augsburg
Augsburg 2021, Universität Augsburg, 380 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Ignacio García Lascurain Bernstorff
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 12.07.2023
Der Begleitkatalog zu einer Ausstellung in der Universitätsbibliothek Augsburg Ende 2021 (12. November–17. Dezember) dokumentiert in eindrucksvoller Weise den bisher wenig beachteten Umfang der Bibliotheks- und Musikbestände dieser Hochschule. Der reichlich bebilderte Katalog wirkt gleichsam wie eine Einladungskarte für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Handschriften, Wiegendrucken und Büchern in einer großen thematischen und kulturellen Spannweite. Vom 8. bis zum 20. Jahrhundert, von der Leidensgeschichte Jesu Christi bis zur Pferdezucht in der Renaissance oder über das Œuvre Thomas Manns, werden acht Sondersammlungen vorgestellt. Es handelt sich um 1.) die Oettingen-Wallerstein’sche Bibliothek, 2.) die Bibliothek der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising, 3.) die Hymnologischen Sammlungen, 4.) die Bibliothek der Pädagogischen Stiftung Cassianeum, 5.) die Sammlungen jüdisch-liturgischer Musik, 6.) die Thomas-Mann-Sammlung der Familie Jonas, 7.) die Sammlung Salzmann und 8.) die Fotosammlung Groth-Schmachtenberger. Nach einer Einführung in die jeweilige Sammlungsgeschichte werden repräsentative Exponate (bei mehreren Büchern derselben Gattung, dann chronologisch) vorgestellt. Die einzelnen Beschreibungen stellen durch ihre Prägnanz und fachliche Qualität jeweils Exkurse in verschiedene kulturhistorische Momentaufnahmen dar, so beispielsweise die englische Insektenkunde (S. 104 f.), die Musikausbildung im Umfeld Luthers (S. 190 f.), wilhelminische Eisenbahnfahrten (S. 218 f.) oder die Entstehung des askenasischen „Wiener Ritus“ (S. 278 f.). Ein nützlicher Anhang mit Verzeichnissen schließt den Band ab.
Entsprechend ihrer Bedeutung beansprucht der Beitrag über die 1980 der Universitätsbibliothek Augsburg zugefügten Oettingen-Wallerstein’sche Bibliothek etwa die Hälfte des Katalogs (S. 12–143). Die „libereÿ“ (S. 16) dieses schwäbischen Hochadelsgeschlechts entstand über Jahrhunderte dankt der Sammlertätigkeit verschiedener Familienmitglieder, so beispielsweise Wilhelms I. († 1467), Ernsts II. († 1670) und Ludwigs († 1870) – aus dessen Feder das titelgebende Zitat stammt (S. 23). Die Inkorporation von fünf bedeutenden Klosterbibliotheken 1807 bescherte dieser Sammlung einen weiteren Zuwachs. Im Katalog ragen die exquisiten Bucheinbände der um 1655 inkorporierten Fugger-Sammlung inmitten von Inkunabeln und alten Drucken heraus (S. 72–80). Die Musikdrucke und -handschriften dokumentieren die Erhebung in den Fürstenstand der gräflichen Familie (S. 123), u.a. mit der Handschrift des beliebten Requiems in Es-Dur von A. Rosetti († 1792).
Der zweite Bestand umfasst die Bibliothek der einstigen Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising, die 1972 nach Augsburg gekommen ist (S. 145–179). Dieser Bestand zeichnet sich aus durch auserlesene Werke, die die breite Antikenrezeption im kirchlichen Ausbildungskanon der Vormoderne bezeugen. Die Sammlung zeigt das „zweite Leben“ der aus Säkularisationsgut gebildeten Bibliothek im priesterlichen Lyzeum (beziehungsweise ab 1923 Fakultät) zwischen 1834 und 1968. Im Katalog folgen dann die außergewöhnlichen Hymnologischen Sammlungen: die Gelehrtensammlungen von Gesangbüchern jeweils des W. Blankenburg († 1986), M. Herold († 1921) und des K. Ameln († 1994).
Die Bibliothek des sogenannten Cassianeums, geschaffen durch den Pädagogen L. Auer († 1914), rundet die thematischen Bestände der Kultur Bayerisch-Schwabens ab (S. 210–273). Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ist die Erschließung noch nicht abgeschlossen gewesen (S. 236). Dieser Bestand sticht durch die umfangreiche Sammlung an Periodika und anderen Veröffentlichungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hervor (S. 215). Erwartungsgemäß sind die Erzeugnisse des hauseigenen Verlagsprogramms ebenfalls überliefert. Von der Kunstsprache „Volapük“ (S. 248 f.) bis hin zu Auswanderungspamphleten (S. 258 f.) lässt dieser Bestand die Globalisierung der Zeit erkennen. Die Sammlungen jüdisch-liturgischer Musik bewahren die Kollektionen der Synagogenkantoren M. Lorand († 1988) und R. Singer. Sie zeigen eindrucksvoll die Breite der Anpassungen des jüdischen Gesangs an die zeitgenössische Musik im gesamten deutschsprachigen Raum im 19. Jahrhundert.
Die handschriftliche Autobiographie Th. Manns in einem Exemplar der „Buddenbrooks“-Ausgabe von 1905 ist wohl das kostbarste Stück der Thomas-Mann-Forschungssammlung des Ehepaars Jonas (S. 300 f.). Zeitlich und thematisch eng verwandt ist die Sammlung Salzmanns, die noch fortgeführt wird: im Sinne des Stifters G. Kaufmann († 2013) werden hier Erstausgaben der von den NS- Bücherverbrennungen von 1933 betroffenen Werke zusammengetragen. Etwas anders ist die abschließende Fotografiensammlung aus der Linse der bayerischen Fotografin E. Groth-Schmachtenberger († 1992), die sowohl Folklore als auch Moderne illustriert (S. 344–356). Der Leser bleibt gewiss eingeladen, die Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Augsburg näher kennenzulernen.