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Katrin Lindemann

Historisch figürliche Baumwolldruckstoffe im Kontext von Herstellen, Verwenden, Sammeln, Ausstellen und Vermitteln

Baden-Baden 2021, Tectum/Nomos, 574 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8288-4500-8


Rezensiert von Melanie Burgemeister
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.09.2023

Baumwolldruckstoffe entstanden ab der Mitte des 18. Jahrhunderts und wurden in kurzer Zeit zu einem Massenprodukt und einem Antrieb für die Entwicklung der Frühindustrialisierung. Trotz ihrer Bedeutung werden sie in der Forschung nur wenig beachtet. Da damit Werke zur Identifizierung und Kontextualisierung fehlen, sind sie auch in musealen Sammlungen weniger prominent. Diese Lücke schließt der vorliegende Band, der sich als umfassendes Grundlagenwerk mit der Erforschung von Baumwolldruckstoffen und Ausstellungskonzepten beschäftigt. Mit ihm legt die Kunst- und Textilhistorikerin Katrin Lindemann, Kuratorin für Mode, Textil und Schmuck am Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ihre Dissertation vor. Dabei fokussiert sie auf die figürlichen Darstellungen, die vorwiegend der textilen Raumausstattung dienten und anders als geometrische oder florale Muster nicht in der Bekleidung verwendet wurden.

Den Ausgangspunkt bildet das Forschungsdesiderat dieser Stoffgattung, deren Funktionen und Aufgaben in musealen Sammlungen leider häufig nicht thematisiert werden. Basierend auf der systematischen Katalogisierung der in Deutschland erhaltenen Objekte fragt die Autorin sowohl nach den Objekten und ihren Herstellungs- und Nutzungskontexten als auch nach den musealen Vermittlungspraxen. Ihr Anspruch ist dabei, den figürlichen Baumwolldruckstoffen größere Beachtung zukommen zu lassen, sie so vor dem Vergessen zu bewahren und sie im kulturellen Gedächtnis zu verankern.

Das Buch gliedert sich in einen Analyseteil und einen umfangreichen Katalog. Ihm schließt sich ein Kapitel zu Identifikationsmöglichkeiten und Unterscheidungsmerkmalen figürlicher Baumwolldruckstoffe an. Die Analyse ist unterteilt in zwei textile Forschungsbereiche (Herstellen, Verwenden) sowie zwei museale Aspekte (Sammeln und Ausstellen, Vermitteln).

Der Bereich „Herstellen“ umfasst die historische Einordung des Textildrucks, der Baumwolle und der Manufakturen, die verschiedenen Druckverfahren des 18. und 19. Jahrhunderts sowie Entwürfe und Produktionszentren. Ergänzend werden historische Nachahmungen vorgestellt. Das Kapitel gibt damit auch einen Einblick in die Einflüsse der Baumwolldruckstoffe auf die Frühindustrialisierung. Der Abschnitt „Verwenden“ widmet sich der Erstnutzung zur privaten Raumgestaltung. Er vermittelt zunächst Themenschwerpunkte der Stoffe und ihrer Vorlagen. Er arbeitet zudem das Zielpublikum in der ersten, exklusiven (1750–1800) und zweiten, massenhaften Verwendungsphase (1800–1840) knapp heraus. Ausführlicher geht die Autorin auf die Lokalisierung figürlicher Baumwolldruckstoffe innerhalb der Lebenswelten der Konsumentinnen und Konsumenten ein. Anhand zeitgenössischer Quellen zeigt sie, welche Stoffe als Wandbespannung und für Möbel oder als Vorhänge und Bettüberwürfe genutzt wurden. Den Abschluss bildet die Analyse des „Berliner Zimmers“, einer Zusammenstellung von 13 Stücken, mit denen sich eindrucksvoll eine Zimmerausstattung rekonstruieren lässt und damit noch tiefer in den Verwendungskontext eingetaucht werden kann.

Das „Sammeln und Ausstellen“ schlägt die Brücke der privaten Erstnutzung hin zu den musealen Besitzern ab 1898. Im Fokus stehen zunächst Museumstypen und ihr unterschiedlicher Zugang zu den Druckstoffen. Hierbei wird jedes Museum und seine Sammlung an Baumwolldruckstoffen vorgestellt. Abgerundet wird der Abschnitt durch Hinweise auf Auswahlkriterien und Beschaffungspraxen der Häuser sowie historische Ausstellungs- und Verwendungsmöglichkeiten der Textilien. Im Themenbereich „Vermitteln“ wird die Ausstellungspraxis anhand eines historischen und eines modernen Beispiels vorgestellt. Auch die Nutzung als Inspiration, die Rezeption in Kunst und Mode sowie die Reproduktion werden untersucht und werfen damit einen Blick auf den gegenwärtigen Gebrauch jenseits der Sammlungen. Abschließend werden Ausstellungskonzepte anhand kontextualisierender Themeninseln vorgestellt, die sich am Aufbau des Buches mit seiner viergeteilten Schwerpunktbildung orientieren.

Der nachfolgende Katalog bildet das Herzstück des Buches und umfasst 160 Seiten. Hier werden getrennt nach Herstellungsverfahren (Holzmodel-, Kupferwalzen-, Kupferplatten- und Stahldruck) die untersuchten Baumwolldruckstoffe aufgeführt. Diese Kapitel sind anhand der Herstellungsorte weiter untergliedert. Zusätzlich finden sich Abschnitte zu Papiervorlagen, historischen Nachahmungen, Sonderformen und Öldrucken. Die einzelnen Objekte werden auf jeweils ein bis zwei Seiten mit Bild vorgestellt. Die Einträge enthalten zahlreiche Angaben zum Werk und seiner Nutzung. Es finden sich Titel, Manufaktur, Entwurf, Datierung, Material, Herstellungstechnik, Farbe, Erhaltungszustand, Maße, Rapport und Musterbeispiele. Hinzukommen Hinweise zu Vorlagen, Vergleichsbeispielen, Aufbewahrungsort, Provenienz, Verwendung sowie Bemerkungen und Literaturverweise. Damit lassen sich die Einträge sehr gut für weitere Forschungen und Vergleichsanalysen nutzen.

Der Fokus des Analyseteils liegt auf den Themenfeldern Funktion und Aufgabe der figürlichen Baumwolldruckstoffe. Dieser wird in der Erstnutzung und im musealen Kontext beleuchtet. Ausschlaggebend dafür ist in allen Bereichen die systematische Analyse des erstellten Katalogs. Dies führt einerseits zu einer tiefgehenden Analyse von Aspekten wie Herstellungsverfahren, Konsumenten oder Motivrezeptionen. Andererseits findet sich dadurch aber auch eine unnötig lange Liste der besitzenden Museen, die meist nur auf einer knappen Seite mit allgemeiner Geschichte der Häuser und Blick auf die textilen Bestände angesprochen werden und damit wenig zum Wissensgewinn beitragen. Gelungener ist der Einblick in die facettenreiche Rezeption in der Moderne, der neben den Museen auch Mode, Kunst und Ausstellungskonzepte berücksichtigt.

Methodisch orientiert sich Lindemann in den objektbezogenen Analysen zu Herstellung und Verwendung an der ikonografischen Interpretation nach Erwin Panofsky. Für die Auswertung des Sammelns und Vermittelns in Museen wird dieser Zugang um kultur- und sammlungshistorische Konzepte wie Zeichenhaftigkeit von Semiophoren und Lokalisation sowie die Rezeptionsgeschichte erweitert, die allerdings nur knapp vorgestellt werden. Damit nähert sich die Vorgehensweise der volkskundlichen Textilforschung an, die stets Objekt und Objektivation und damit auch den Funktionswandel berücksichtigt, ohne diese Basis allerdings methodisch zu nutzen. Entsprechend bleibt die Analyse weitgehend in einem kunsthistorischen Kontext, bietet damit aber Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungen.

Besondere Beachtung verdient der Katalog. Gerade die Zusammenstellung über einzelne besitzende Museen hinaus stellt eine einzigartige Kompilation dar, die das Buch zu einem ausgezeichneten Nachschlagewerk für die Beschäftigung mit den Stoffen macht. In diesem Zusammenhang ist auch die Auflistung der angefragten Museen im Anhang erwähnenswert, die weitere Hinweise auf verarbeitete Stoffe in Kleidungsstücken sowie Druckmodel gibt und zeigt, wo keine derartigen Textilien zu finden sind.

Insgesamt liegt mit diesem Band eine wertvolle Kompilation der in Deutschland erhaltenen figürlichen Baumwolldruckstoffe vor, die darüber hinaus breitgefächerte Informationen zur Herstellung, Verwendung und Vermittlung liefert und damit eine Grundlage für weitergehende Forschungen bietet. Eine solche raumübergreifende Zusammenstellung sollte als Vorbild für andere Themenfelder dienen, die damit schnell und übersichtlich erschlossen werden können.