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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Klaus Wolf (Hg.)

Purimspiel und Fastnachtspiel. Interdisziplinäre Beiträge zur Gattungsinterferenz

(Studia Augustana 20), Berlin 2021, De Gruyter, VI, 171 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-1106-9682-0


Rezensiert von Alois Döring
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 28.09.2023

Das Deutsche Fastnachtmuseum in Kitzingen präsentierte im Sommer 2017 die Sonderausstellung ,,‚iüdisch jeck‘. Fastnacht und Purim − eine Annäherung“ (Katalog hg. von Daniela Sandner, Romana Wahner, Hans Driesel u. Margret Löther). Sie war der Versuch, sich an zwei Feste mit ähnlichen Erscheinungsformen, aber unterschiedlichen Wurzeln zu nähern: die christlich motivierte Fastnacht sowie das jüdische Purim-Fest. Purim-Spiele wurden vor dem gleichnamigen Fest zur Unterhaltung und Belehrung dargeboten; eine bemerkenswerte Parallele finden sie insofern in christlichen Fastnachtspielen: „Teil beider Festformen ist das Aufführen szenischer Spiele. Auf den ersten Blick scheinen Fastnachtspiel und Purimspiel nicht allzu viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Aber es gibt sie“, schrieb Lavinia Eifler im Katalogband „jüdisch jeck“ (2017, 36). Der hier anzuzeigende Tagungsband thematisiert systematisch Aspekte einer „Gattungsinterferenz“ zwischen Purimspielen und Fastnachtspielen. Der Sammelband wendet sich an Vertreterinnen und Vertreter der Judaistik, Theologie, Germanistik, Ethnologie und Geschichtswissenschaft. Der Mainzer Theologe und Judaist Andreas Lehnardt sowie der Augsburger Mittelaltergermanist und Dramenforscher Klaus Wolf hatten zu einem interdisziplinären Kolloquium eingeladen, um wechselseitige Anspielungen zwischen den Gattungen Purim- und Fastnachtspiel auszuloten, das am 15. und 16. Februar 2018 in der ehemaligen Synagoge Ichenhausen stattfand. „Der Tagungsort wurde bewusst gewählt im Blick auf die Tatsache, dass die dortige Synagoge samt Rabbinat vom sechzehnten Jahrhundert bis 1933 ein geistliches und geistiges Zentrum des Judentums in Vorderösterreich, später auch im Königreich Bayern und in der Weimarer Republik für ganz Bayerisch Schwaben darstellte, wo Juden und Christen demographisch und ökonomisch sowie kulturell annähernd gleich stark waren.“ (Klaus Wolf im Vorwort, 5). Der Tagungsort stand also für ein jahrhundertealtes jüdisch-christliches Interagieren. Im Einzelnen beleuchteten die Vorträge folgende Aspekte: Andreas Lehnardt (Universität Mainz), „Purimspiel – Megillat Ester auf der Bühne“; Diana Matut (Universität Halle), „Interferenzen im frühneuzeitlichen Purimlied – Impulse im nachbarschaftlichen Raum der Fastnacht- und Purimkulturen“ – sie referierte aus musikwissenschaftlicher Perspektive die Liedperformanz: „Der Narrenkappen hat er viel“; Benigna Schönhagen (Jüdisches Museum Augsburg Schwaben), „Purim in Schwaben – Koexistenz und religiöse Praxis“; Jürgen Küster (Augsburg), „Zu Geschichte und Wandel des ‚Jüdischen‘ im traditionellen Fastnachtsspiel“; Cora Dietl (Universität Gießen),  „Verlacht oder verteufelt: Judendarstellungen in Fastnachtspielen und Komödien Jacob Ayrers“. Die österreichische Perspektive bot Klaus Amann (Universität Innsbruck), „Vom Salbenkrämer über die Grabwache bis Andreas von Rinn: Komik und Juden in der tirolischen und österreichischen Spieltradition“; aus der Schweiz war Heidy Greco-Kaufmann (Universität Bern) vertreten mit „Die Anhänger des Antichrist: Juden und konfessionelle Gegner in Schweizer Fastnachtspielen“. Der Vortrag von Cornelia Herberichs (Universität Stuttgart), der das Judenbild in den Fastnachtspielen und Bibeldramen von Hans Sachs beleuchtete, konnte nicht abgedruckt werden. Es wurden jüdisch-christliche Berührungen in den Blick genommen und dabei kristallisierten sich von Ort zu Ort trotz gemeinsamer Sujets unterschiedliche Formen des Ausagierens interreligiöser Dialoge heraus.

Küster deutet Antijudaismen des Fastnachtspiels entsprechend des Fastnachtserklärungsmusters des augustinischen Zweistaatenmodells nach Dietz-Rüdiger Moser (Fastnacht – Fasching – Karneval, 1986), wobei die „civitas diaboli“ mit mehr oder weniger weltlichen, teuflischen und närrischen Figuren substituiert wird. Zu ihnen gehörten auch die Juden. An der Konstruktion des „Jüdischen“ im Fastnachtsspiel − so Küster − ließe sich eine zur Umkehr mahnende Aufgabe („civitas dei“) im Rahmen des christlichen Weltverständnisses erklären. Im Fastnachtspiel der frühen Neuzeit kommt allerdings „eine weiterentwickelte Konstruktion des Jüdischen zur Darstellung, die die konzentrierten Verteufelungen des Mittelalters überwindet und an deren Stelle Umkehr oder Bekehrung, also Themen des Aschermittwochs, Gestalt gewinnen lässt“ (101).

Küster greift mit der Übernahme des viel diskutierten, wenn nicht widerlegten Erklärungsmusters Mosers zu kurz. Die Purimspiele folgen jedenfalls in ihrer Gestaltung fastnachtlichen Brauchelementen wie Essen und Trinken und ebenso Spottlied und Rügen − mit öffentlicher Bloßstellung „mussten auch jüdische Gemeindemitglieder an Purim rechnen“ (Matut, 50–51). Die interdisziplinären Beiträge des Sammelbandes geben Impulse sowie Folgerungen für weitere Forschungen. „In der Summe ergibt sich, dass Purim und Fastnacht von ihrem performativen Potenzial […] künftig nicht mehr unabhängig voneinander betrachtet werden dürfen.“ (Wolf, 6)