Aktuelle Rezensionen
Dieter Gottschalk/Susanne Grosser/Johanna Kemmler/ Herbert May/Ralf Rossmeissl
... dem ist sein paden nuetz und guet. Badhäuser und Bader in Franken
(Schriften und Kataloge des Fränkischen Freilandmuseums des Bezirks Mittelfranken 92), Bad Windsheim 2022, Fränkisches Freilandmuseum, 407 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-946457-18-3
Rezensiert von Klaus Freckmann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 31.08.2023
Die Publikation ist die Frucht langjähriger Recherchen zum historischen Badewesen, mit dem sich die Historikerinnen und Historiker des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim und weiterer kulturhistorischer Institutionen intensiv befasst haben. Anlass hierfür war die Translozierung eines spätmittelalterlichen Badhauses. Seit 2021 kann das Museumspublikum das Gebäude in Bad Windsheim besuchen. Das dendrochronologisch 1450 datierte Haus stammt aus dem mittelfränkischen Wendelstein. An seinem alten Standort wirkte der über Jahrzehnte leerstehende, vernachlässigte Bau eher als ein Zeugnis gewöhnlicher Alltagsarchitektur des 19. Jahrhunderts. Das Gebäude präsentiert sich jetzt in einem rekonstruierten Zustand des späten 15. Jahrhunderts beziehungsweise der Zeit um 1500. Das massive Erdgeschoss ist sorgfältig aus Sandsteinquadern gemauert. Das Fachwerk des oberen Geschosses und der Dachpartie bestimmt das Äußere des Hauses. Die Holzarbeiten zeigen eine Verbindung mittelalterlicher Tradition mit neuzeitlich geprägten Vorstellungen: einerseits der Spitz- oder Firstständer und die Verblattungen der Streben, andererseits die konstruktive Eigenständigkeit der Wohnetage, ein Kennzeichen des Stockwerkbaus.
Bemerkenswert ist die Asymmetrie der Giebelansicht, hervorgerufen durch die unterschiedliche Länge der Dachschenkel. Der Grund für diese Einhüftigkeit ist offensichtlich die Bewohnbarkeit des oberen Hausbereichs. Dort befanden sich nicht nur die privaten Räume des Baders, sondern auch solche von Mietparteien. Diese Wohnungen waren über eine vor der östlichen Traufseite angebrachte Stiege und einen anschließenden Laubengang zugänglich. Eine Anmerkung am Rand: Wie sieht das Dachwerk des ehemaligen Badhauses aus? Leider fehlt eine Darstellung im Band; ein Längs- und Querschnitt wären hilfreich (vgl. den Film über das Badhaus Wendelstein, zu finden auf der Internetseite des Museums).
Badhaus, Badstube, Bader – solche Begriffe rufen Assoziationen mit kuriosen, handwerklich-medizinischen Behandlungsmethoden hervor, die unter brachialem Einsatz durchgeführt wurden. Kurzum: ein mit vielen Vorstellungen verknüpftes Gebiet, das nicht nur die Neugierde der Kulturwissenschaften weckt.
Der Katalogband gliedert sich in drei große Bereiche: Badhäuser in Franken unter Würdigung des Hauses Wendelstein, das spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Badewesen und die Bader als Wundärzte.
Herbert Mays Beitrag über die öffentlichen spätmittelalterlichen Badeeinrichtungen führt in den ersten großen Themenkomplex ein (16–45). Er weist auf die Abhängigkeit der Badhäuser von Wasserläufen hin und unterstreicht diese Voraussetzung mit mehreren historischen Karten. Einige In-Situ-Bauten werden vorgestellt, etwa die Badstube in Wangen (Kreis Ravensburg), 1589 anstelle einer Vorgängeranlage errichtet, im 18. Jahrhundert ein Armenhaus und danach eine Wanderarbeiter-Herberge, heute als Museum erlebbar. Naturgemäß stehen aber die archivalischen Nachweise im Vordergrund, kam doch die öffentliche Badekultur in der Frühen Neuzeit infolge von Seuchen weitgehend zum Erliegen. Die mit der folgenden Umnutzung verbundene Überformung der Häuser ist für die Bauforschung eine Herausforderung.
Aufgrund von bauarchäologischen Untersuchungen vor Ort, von bauzeitlichen oder späteren Plänen und von weiteren zeichnerischen oder schriftlichen Zeugnissen ist das Raumprogramm der Badhäuser rekonstruierbar. Auch wenn die Disposition des Grundrisses je nach seiner Erschließung differiert, ob trauf- oder giebelseitig angeordnet, so werden gemeinsame, von der Nutzung vorgegebene Züge deutlich. Zur Grundausstattung gehörten die Feuerungen des Herdblocks im Schürraum und des Ofens im Schwitz- und Wannenbad mit seinem kupfernen Kessel. Als weitere Heizeinrichtung diente ein Kachelofen in der sogenannten Abziehstube, dem Umkleideraum oder der Wärmestube.
Die Frage der Beschaffenheit des einstigen Heizsystems im Wendelsteiner Haus war eines der Probleme, mit denen sich die Bad Windsheimer Museumsleute konfrontiert sahen. Wie mag beispielsweise der Ofen im Umkleideraum ausgesehen haben? Aussagekräftige Bodenfunde von Kachelfragmenten, die auf die Mitte des 16. Jahrhunderts hinweisen, gaben zumindest eine Teilantwort. Einige figürliche Relikte legen zudem einen Zusammenhang mit der Gedankenwelt der Reformation nahe, wie der Beitrag von Felix Schmieder „Bunte Bilder in der Stube – Die Kachelfunde im Badhaus aus Wendelstein“ zeigt (100–113).
Dieter Gottschalk und Ralf Rossmeissl befassen sich eingehend mit der Bau- und Nutzungsgeschichte des translozierten Hauses (48–89). Beides lässt sich nahezu lückenlos bis in das vierte Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts verfolgen. Die Namensliste der Bader von Wendelstein ist ebenfalls ab dieser frühen Zeit überliefert. Der Badebetrieb konnte bis in das frühe 19. Jahrhundert aufrechterhalten werden, eine erstaunliche Kontinuität.
Der Wendelsteiner Bau nahm nicht nur eine Aufgabe im Gesundheitswesen wahr, sondern diente teilweise auch als Mietshaus, wie vorhin angedeutet. Unterlagen des grundherrlichen Eigentümers – ab 1478 das Heilig-Geist-Spital zu Nürnberg – listen die ehemaligen Bewohner des Obergeschosses auf. Ralf Rossmeissl hat dieses sozialhistorische Kapitel herausgestellt (96–99), und Thomas Wenderoth hat es durch einen Vergleich mit dem „Mietwesen um Nürnberg“ erweitert (90–95).
Betrachtet aus einer heutigen Perspektive, wird ein Badhaus – gemeint sind das Mittelalter und die Frühe Neuzeit – häufig als ein urbanes Bauwerk eingeschätzt. Dem widerspricht indes die einstige Realität. Auf archivalischer Grundlage konnten alleine für Franken 1 200 Bauten dieser Art nachgewiesen werden, in der Stadt wie auf dem Land (16). Ein Katalog von Kurzporträts, der 56 ehemalige Badhäuser in dieser Region umfasst, gibt einen Eindruck des architektonischen Wandels bis in die Gegenwart (115–213). Ralf Rossmeissl hat diese Auswahl in seinem Beitrag „Dicht gepflastert – Die Verbreitung mittelalterlicher Badhäuser in Franken“ komplettiert (214–243).
Der zweite Hauptteil der Publikation ist ebenfalls weit gespannt. Er beleuchtet etliche, im Allgemeinen weniger geläufige Facetten des ehemaligen Badewesens und räumt mit manchen Klischees auf. Zu ihnen gehört die verbreitete Vorstellung, öffentliche Badhäuser wären ausschließlich oder vor allem Etablissements von Sex gewesen. Indes ist zu betonen, wie Susanne Grosser es in ihrem bestens dokumentierten Beitrag darlegt, dass die Badstuben eine wichtige Funktion als „Orte der Körperhygiene, des sozialen Austauschs und der Gesundheitspflege“ hatten, „und diesbezüglich in Stadt und Land“ (261). Fritz Dross zeigt die besondere Stellung der Badhäuser in Seuchenzeiten in Nürnberg auf (258–278). Und Ralf Rossmeissl macht die Leserinnen und Leser mit den „Seelbädern“ vertraut. Darunter sind spezielle, von frommen Personen oder sozial tätigen Körperschaften eingerichtete Badetage zugunsten von Armen zu verstehen, die sich im Badhaus nicht nur reinigen und stärken, sondern auch von ihren Sünden befreien konnten. Den Stiftern war ein Dank zu ihrem eigenen Seelenfrieden gewiss. Einen Eindruck dieser religiösen Praxis vermittelt eine im Band vollständig wiedergegebene Stiftungsurkunde aus Ansbach, 1410 niedergeschrieben (284–285). Christine Rogler befasst sich mit den „Ehehaften“, gleichfalls ein wenig bekanntes Kapitel des früheren ländlichen Alltags. Gemeint sind damit rechtliche Regelungen zwischen Landesherrschaft und Dorfbevölkerung. Diverse Verordnungen bezogen sich auf die Badstuben und legten die Rechte und Pflichten des Baders fest, wie es die Autorin unter anderem anhand eines für den Markt Au (Kreis Freising) 1651 erlassenen „Ehehafftbriefs“ erklärt (295). Herbert Mays nächstes Thema richtet sich auf die privaten Badstuben in Stadt und Land, die nach und nach, insbesondere in der Frühen Neuzeit, den öffentlichen Anlagen wirtschaftliche Probleme bereiteten. Reichlich sind die wiedergegebenen historischen Pläne, die von Fotos erhaltener Bauten in Oberbayern ergänzt werden (298–315). Abgerundet wird das weite Feld der Badetradition von den „Wildbädern“, wiederum von Ralf Rossmeissl bearbeitet. Prominenteste dieser Einrichtungen, die als Vorläufer der medizinischen Heilbäder gelten können, war das um eine Mineralquelle entstandene Nürnberger Wildbad, 1370 gegründet und im Zweiten Weltkrieg zerstört (318–321).
Susanne Grosser leitet mit ihrem Beitrag „Die Bader als Wundärzte“ den dritten Hauptteil ein und fragt sich, ob deren Beschimpfung als „Stümper“ – ein häufig geäußerter Vorwurf der ab dem späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit universitär ausgebildeten „physici“ – zu Recht bestand oder ob die Erstgenannten eher „Stützen der medizinischen Versorgung“ waren. Die Schmähungen sind auch Zeichen der Mehrschichtigkeit der damaligen Heiler-Branche und deuten auf eine Konkurrenzsituation hin: eine akademische Ärzteschaft mit guten Verbindungen zur Landesherrschaft versus ländliche, handwerklich einzustufende Bader. Fazit: Letzten Endes widerlegen zahlreiche historische Quellen „auch für Franken ganz klar das Bild der wundärztlich tätigen Bader als unwissende Stümper“ (337). Annemarie Kinzelbach wendet sich den frühneuzeitlichen Reichsstädten zu, führt in die Arbeitswelt der Bader und Barbiere ein und bringt Beispiele für deren berufliche Organisation. Vor allem die Barbiere praktizierten häufig auch als Wundärzte, wie es Belege des 16. Jahrhunderts etwa für Augsburg zeigen (346). Schon damals gab es obrigkeitliche Bestrebungen, die Arbeitsgebiete der beiden Gruppen voneinander abzugrenzen. Dieser Prozess zog sich aber häufig bis in das 18. Jahrhundert hin. Auf diese Zeit beziehen sich auch die zweiten Ausführungen von Susanne Grosser, die anhand ausgewählter Quellen „Rezeptbücher, Rechnungsbücher, Inventare“ wundärztlich tätiger Bader vorstellt (356–373). Erfreulicherweise hat eine Reihe solcher Unterlagen – handgeschriebene Kompendien und Nachlassverzeichnisse – nicht nur in den Archiven, sondern auch im privaten Besitz die Zeiten überdauert. Auf diesen ebenfalls fundierten Beitrag folgt eine von Ralf Rossmeissl zusammengestellter Fotokatalog von knapp 20 Epitaphen und Grabstätten, deren Inschriften und Insignien die soziale Wertschätzung des Bader- und Wundarztberufs in einer bürgerlichen Welt bezeugen. Das älteste Beispiel ist 1521 datiert (378). Unter dem Namen und der Berufsangabe „Hans Pravn Pader und / Wvnt Arczt“ sind als handwerkliche Symbole eine Salbenbüchse und ein gebundener Badewedel – unerlässliches Utensil in einem Schwitzbad – dargestellt. Der Abschluss des Bandes – ein Aufsatz von Felix Schmieder mit dem Titel „Die letzten Bader Frankens“ – führt zur jüngeren Vergangenheit hin. Eine Aufnahme von 1969 zeigt Nürnbergs letzten Bader bei der Arbeit. Im Freilichtmuseum Bad Windsheim lebt dieser Beruf zumindest teilweise fort. Eine Fotoserie gibt die Prozedur des Haare- und Bartschneidens wieder, sicherlich Szenen einer didaktisch-pädagogischen Aktion (389).
Resümee: Dem Autorenteam ist ein Werk hoher wissenschaftlicher Kompetenz gelungen. Es ist erfreulich, dass sich die Publikation nicht nur auf das translozierte Badhaus beschränkt, sondern auch zusätzliche Aspekte behandelt. Vielleicht regt der Katalogband zu entsprechenden Forschungen in weiteren Regionen an. Ergänzend dazu: Das kulturhistorische Projekt der Erforschung des Badhauses aus Wendelstein und des Badewesens in Franken, das den Wiederaufbau dieses Gebäudes begleitet hat, fand Anfang Juli 2022 mit einer ähnlich konzipierten Tagung im Freilichtmuseum Bad Windsheim eine Fortsetzung. Veranstalter war die Regionalgruppe Bayern innerhalb des Arbeitskreises für Hausforschung.