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Alexandra Ecclesia
Horace Edouard Davinet. 1839–1922. Hotelarchitekt und Städteplaner
(Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 94), Zürich 2021, Hier und Jetzt, 248 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-03919-525-1
Rezensiert von Esther Gajek
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 24.08.2023
Horace Edouard Davinet, heute kaum noch bekannt, galt im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in der Schweiz als Stararchitekt: Mehr als 85 Planungen für Hotels, Mehrfamilienhäuser, Villen, aber auch ganze Stadtquartiere firmieren unter seinem Namen; die Landeshauptstadt Bern war an zentralen Stellen durchsetzt von seinen 37 Bauten und Entwürfen. Zu einer Zeit, in der Städte viele Menschen anzogen, schnell wuchsen, aber auch in den Bergen an herausragenden touristischen Orten riesige, landschaftsbestimmende Hotels gebaut wurden, hat Davinet prägende Gebäude hinterlassen; manche gelten als Meisterwerke.
Alexandra Ecclesia hat ihre Magisterarbeit in Architekturgeschichte, die bei Dave Lüthi in Lausanne entstand, Davinet (1839–1922) und seinem Werk gewidmet. Die überarbeitete Form liegt hier als Monografie vor, die auf reichem Quellenstudium, zum Beispiel des Nachlasses in Bern, beruht. In bester Tradition von vorzüglichen Werken über Schweizer Hotelarchitektur und – damit verbunden auch – Tourismusgeschichte, die zum Beispiel von Roland Flückiger-Seiler vorgelegt wurden, zeichnet die Autorin ein vollständiges Bild des Werkes von Davinet in seiner Zeit nach und schließt damit eine Forschungslücke.
Zunächst widmet sich Alexandra Ecclesia der Biografie: Davinet, ein gebürtiger Franzose, absolvierte eine Lehre als Zeichner und lernte dann weiter im Architekturbüro seines Schwagers in Bern. Auf die Weiterbildung in Stuttgart folgten zwischen 1865 und 1875 erste Berufsjahre in denen er, inmitten der sogenannten Hotelbauwelle, zu einem der wichtigsten und innovativsten Architekten für Hotels in der Schweiz wurde. Interlaken, wo Davinet mehrere Hotels plante und realisierte, malerisch im Berner Oberland zwischen zwei Seen gelegen und fester Bestandteil jeder damaligen Schweizreise, stand im 19. Jahrhundert für einen wachsenden Tourismus internationalen Zuschnitts und damit für Luxus und Repräsentation. In die Zeit nach der Gründung des eigenen Büros ab 1873 fallen weitere Projekte, allen voran die Planung und Durchführung von Siedlungen, Geschosswohnungsbauten, Villen, aber auch anderen Bauten wie Fabriken, Restaurants und Sanatorien.
Davinet, so die Autorin, war bestens vernetzt und sehr erfolgreich. Er agierte gleichermaßen als Leiter seines Büros, hatte Beteiligungen bei Hotelneubauten, engagierte sich in Genossenschaften, wirkte als Jurymitglied und legte umfangreiche, bedeutende Sammlungen von Kunstwerken, Büchern und stereoskopischer Architekturfotografie an. Aktiv in der Kunstförderung in Bern und der gesamten Schweiz tätig, in vielen Vereinen organisiert, wundert es nicht, dass Davinet, inzwischen 51 Jahre alt, 1890 zum Direktor des Berner Kunstmuseums ernannt wurde. In dieser Position, die er fast ehrenamtlich neben seiner Architektentätigkeit dreißig Jahre lang ausführte, baute er die Sammlung des Hauses im großen Stil aus, förderte Schweizer Künstler und organisierte regionale sowie überregionale Ausstellungen. Er war in der Stadtgesellschaft hochgeachtet, doch bald nach seinem Tod 1922 vergessen und manche seiner Hotelpaläste wurden in den 1950er Jahren, weil sie dem neuen Zeitgeschmack des Schweizer Heimatschutzes nicht mehr entsprachen, abgerissen, viele andere verändert.
Die Monografie wird durch ein ausführliches Werkverzeichnis beschlossen, bei dem alle Gebäude und Planungen von Davinet kartiert und aufgelistet sind. Die chronologische Reihung enthält jeweils Angaben zur Bauzeit, zum Architektenteam, zu den Quellen, die der Autorin zur Verfügung standen, zu weiterführender Literatur und Beschreibungen, Fotos, Bauplänen oder Zeichnungen. Dem Glossar mit Fachbegriffen aus der Architektur folgt das ausführliche Anmerkungs-, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister.
Architektenbiografien und Architekturgeschichte gehören sicher nicht zum engeren Kanon der Vergleichenden Kulturwissenschaft. Was macht den Band von Alexandra Ecclesia trotzdem lesenswert? Zunächst ist die Biografie von Davinet exemplarisch zu verstehen: ein begabter und fleißiger Selfmade-Mann, der zu Ruhm und Ansehen kommt, in einer Zeit, die gleichzeitig Aufbruch verheißt und sich der Traditionen zum Beispiel in überlieferten Baustilen versichert. Allein die Mitgliedschaften Davinets in den verschiedensten Vereinen zeigen die Ambivalenz der Zeit zwischen Rückbesinnung und Moderne: Liedertafel, Schützenfestorganisation, Münsterbau-Vereinigung, aber auch Schulkommission, Geographische Gesellschaft und Verkehrsverein.
Der Architekt wirkte zweitens in einer Ära der (Neu-)Reichen, die ihre Stellung mit prächtigen Fassaden, großen Grundrissen, funktionslosen Türmchen und Kuppeln sowie einer opulenten Innenausstattung zeigen wollten und konnten. Für alle Bedürfnisse des Lebens wurden eigene Räume geschaffen – auch davon zeugen die abgebildeten Grundrisse. Ein dritter interessanter Aspekt gilt der Hotel- und Tourismusgeschichte. Die Tätigkeit Davinets fällt in eine Zeit, in der sich Gasthäuser zu Hotels entwickelten und der Typus des schlossähnlichen Grand Hotels entstand, das – wenigstens temporär – ein aristokratisches Leben mit vielen Bediensteten ermöglichte. Es sind Gebäude, die diskret zwischen lauten (der Arbeit vorbehaltenen) und leisen (der Repräsentation dienenden) Räumen unterschieden. Sie verfügten über eine opulente ästhetische Ausstattung, großzügige Gesellschaftsräume und garantierten jeden Komfort, weil sie dem neuesten Stand der Technik entsprachen: Zentralheizung, fließendes Wasser in allen Zimmern, WC-Anlagen sowie Raumluftsysteme. Um die Hotels herum entstanden Villen, Ladenpassagen, Kursäle und Kunstsalons; diese bildeten eine eigene Infrastruktur für Reisende. Mitten in einer ländlich-dörflich geprägten Landschaft tauchten städtische Architekturen und Verkehrswege mit Schienennetz und Standseilbahn auf – der Wandel zum Luxustourismus und im 20. Jahrhundert dann auch zum Massentourismus wurde vollzogen. Alles in allem: ein präzise recherchierter, umfassend dargelegter und höchst gelungener Einblick in Schweizer Baukultur und Tourismusgeschichte, beispielhaft vorgeführt an Person und Werk von Horace Edouard Davinet.