Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Peter Assmann/Sonja Ortner/Jutta Profanter (Hg.)

Wir Tiroler sind lustig. Die Rolle der Volksmusik für den Tourismus. Katalog zur Ausstellung im Tiroler Volkskunstmuseum, 10.6.2022 bis 27.11.2022

Innsbruck 2022, Tiroler Landesmuseen, 191 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-900083-96-0


Rezensiert von Armin Griebel
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 17.08.2023

Der Begleitband zur Ausstellung, die im Sommer und Herbst 2022 im Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck zu sehen war, vereint Aufsätze und einen Katalogteil, in dem die Exponate – zum großen Teil „Flachware“ – in guter Reproduktion abgebildet sind. Wer wie der Rezensent die Ausstellung nicht sehen konnte, dem vermitteln Szenenfotos der Inszenierung und Planzeichnungen einen Eindruck, wie die Themenbereiche präsentiert wurden (100–119). Wer im mit „Katalog“ überschriebenen Teil (120–185) über die knappe Objektbeschriftung hinaus eine vertiefende Beschreibung und Kommentierung erwartet, kommt nicht auf seine Kosten. Nicht im Katalog vertreten ist auch der für das Ohr bestimmte Teil der Schau, der vom Tiroler Volksliedarchiv konzipiert und umgesetzt wurde. Die in der Einführung erwähnten 17 Video- und Hörstationen, „die die gezeigten Themenfelder und Objekte zum Klingen bringen“ (8), fehlen im Katalog. Etwa die Hörbeispiele im „Audio-Tunnel“ zum zentralen Thema „Tiroler Abend“ oder im „Volksmusikpflege-Tunnel“, die dem Ausstellungspublikum den „akustische[n] Unterschied zwischen volkstümlicher Musik und Volksmusik“ (96) erfahrbar machen.

Neun Aufsätze tragen zu den Themen aus unterschiedlichen Perspektiven bei. Auch wenn der Blick hinter die Kulissen des Musikgenres und sogar hinter die Hochglanz-Optik der opulenten Schau gelenkt wird, die Mythen des 200-jährigen Narrativs schlagen in den Texten gelegentlich durch. Es ist viel von Volksmusik die Rede, wo es, um einen heutigen Verständnis-Begriff zu verwenden, um Ethno-Pop geht.

In seiner Einführung betont der Leiter des Volkskunstmuseums Karl C. Berger, dass erstmals der „Zusammenhang zwischen Volkslied und Fremdenverkehr auf die museale Bühne“ gebracht wird, verbunden mit dem Anspruch, das Thema mit kulturhistorischem Tiefgang und gleichzeitig unterhaltsam zu präsentieren (6). Erhellend sind die Betrachtungen der Ausstellungs-Designerin Regina Tschurtschenthaler, in denen sie die aufwändige Inszenierung und das elegante Design der Ausstellungsräume einschließlich der interaktiven Elemente erklärt und die (intendierte) Wirkung auf das Publikum beschreibt. Leitend für Konzept und Umsetzung ist das Thema „Bühne“ (95).

Um Ludwig Rainer und seine Nationalsänger-Truppe, die berühmten Rainer-Sänger aus dem Zillertal, „The Rainer Family“, wie sie sich für die Tourneen in den USA nannten, geht es im Beitrag von Franz Gratl. Er rekonstruiert aus Nachlassteilen ihr Repertoire zur Zeit des Russland-Aufenthalts von 1856 bis 1868, bei dem sie sich „bevorzugt in den deutschsprachigen Communities von Moskau und St. Petersburg“ bewegten (17). Der Kustos der Musiksammlungen des Tiroler Landesmuseums kann sich auch auf Sandra Hupfaufs Repertoire-Untersuchungen zu den Rainer-Gruppen beziehen, die seit 2016 (zeitgleich mit ihrer Dissertation über deren Tourneen) in Buchform und frei abrufbar im Internet publiziert sind. Das „russische“ Repertoire bestand hauptsächlich aus Chorliedern für Gemischten Chor oder Männerchor und Sololiedern, jeweils mit Klavierbegleitung (12). Besonders beliebt waren Potpourris, die von lokalen Komponisten eigens für die Truppe arrangiert wurden. Dazu hat man, am Publikumsgeschmack orientiert, „sehr heterogene Elemente kombiniert“ (14), zum Beispiel Opernmelodien, Wiener Walzer, Jodlerlieder. Bei Bedarf mündeten sie in eine patriotische Hymne („Heil dir, o Russlands Czaar“). Später, daheim, hat Ludwig Rainers Berühmtheit Gäste in sein Hotel am Achensee gezogen, wo er das Konzertieren mit gastronomisch-touristischen Aktivitäten verband. Das brachte ihm den Ruf als Mitbegründer des Tourismus in Tirol ein. Im Winter ging er weiterhin mit seiner Truppe auf Tournee.

Sonja Ortner vom Tiroler Volksliedarchiv beschreibt mit dem Zithervirtuosen und Sänger Eduard Leo einen Berufsmusiker neuen Typs, der sich um 1900 bei unterschiedlichen Ensembles für wechselnde Rollen verpflichten ließ. Er war schon an die 40 Jahre alt, als er sich ins weitgehend von Tirol abgelöste alpine Unterhaltungs-Genre bewegte. Leos Musikerlaufbahn folgt nur scheinbar dem Vorbild von Vater und Onkel, die als Nationalsänger-Ensemble in den 1820er Jahren Berühmtheit erlangten (Auftritte vor Goethe und dem russischen Zaren). Zu ergänzen wäre, dass inzwischen im Unterhaltungsgewerbe professionelle Beherrschung von Instrument und Gesang wichtiger geworden war als verbürgte Abstammung aus Tirol. Letztere wurde ab den 1920er Jahren in Echtheitsdiskursen gefordert und führte in der NS-Kulturpolitik zu entsprechender Reglementierung. Ortner kann aus der Auswertung von 700 Ansichtskarten Leos Reiserouten und Engagements rekonstruieren. Danach scheint er am häufigsten bei einer oberbayerischen Schuhplattler-Gesellschaft unter Vertrag gewesen zu sein (27), wohl nicht als „Tiroler“. Ortner konstatiert, dass ihre Quellen „Einblick in das Networking und die Logistik eines richtigen Industriebetriebs, nämlich der Unterhaltungsbranche“ bieten (37), was in dieser Verallgemeinerung hoch gegriffen ist. Hier hätte ein Blick auf außertirolische Phänomene gutgetan, etwa auf die „Oberlandler Blaskapellen“, die massentaugliche Variante der Alpin-Ensembles, die um 1900 für das Münchner Oktoberfest kreiert wurden. In diesen Bierzeltkapellen spielten von Anfang an professionelle Musiker aus dem ganzen deutschen Sprachraum, verkleidet als Oberlandler Bauern. Während die Kapellen im Unterhaltungsgeschäft den Musikmoden der Bierzelte folgten, blieb ihr Auftrittskostüm als Marken- und Gütezeichen bis heute erhalten. Der Auftritt in Tracht signalisiert Natürlichkeit und lässt zurücktreten, dass hier Musikerinnen und Musiker mit abgeschlossenem Musikstudium und Bühnenerfahrung in klassischen Fächern wie dem Opernsang in diese Rollen schlüpfen.

Als Spezialistin für das Thema wurde Sandra Hupfauf bereits erwähnt. Ihr pointiert geschriebener Beitrag ist ein Kurzbericht des Forschungsprojekts „Der ‚Tiroler Abend‘. Nationalkonzert – Volkstumsarbeit – Touristenattraktion“. Im Rahmen des Förderschwerpunkts „Erinnerungskultur“ des Landes Tirol untersuchte sie die Entwicklung des folkloristischen Unterhaltungsformats seit dem frühen 20. Jahrhundert, seine Instrumentalisierung für den in der NS-Zeit entstehenden Pauschal- und Massentourismus und seine Transformation „von einer politischen Manifestation zu einer scheinbar unpolitischen Attraktion im Tourismus ab den 1950er Jahren“ (49). Dank langjähriger Beschäftigung mit dem Themenkreis sticht der Beitrag in der Dichte der Informationen und deren wissenschaftlicher Durchdringung hervor. Nach diesem „Appetithappen“ wünscht man sich den Forschungsbericht in extenso.

„Folklore und Olympia“ nennt Gerti Heintschel vom Tiroler Volksliedarchiv ihren Beitrag, in dem sie die Rolle der Volksmusik bei den Olympischen Spielen 1964 und 1976 in Innsbruck beleuchtet. Sie stützt sich dabei auf die mediale Berichterstattung. Zeitlich spannt sie den Bogen bis zum Rahmenprogramm von Sportgroßveranstaltungen der Gegenwart und kommt zu dem Schluss, dass „die verschiedenen Ausformungen von Volksmusik“ dort mittlerweile etabliert sind. Sie „funktionieren […] scheinbar wie eine Art Markenzeichen“ und dienen auch dazu, „einen günstigen Boden zu schaffen für die Verfolgung unterschiedlicher Ziele, seien es nun wirtschaftliche Interessen oder etwa die Bewerbung als Olympia-Austragungsort“ (63). Für die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 entsandten die Verantwortlichen des Zillertal Tourismus für das Austria Haus Tirol einen gemischten Viergesang, der Auftritte unter dem gender-unsensiblen Namen „Zillertaler Sänger“ absolvierte. Zusammengestellt und geleitet hatte ihn der volksmusikaffine Opernsänger Hans Rainer. Die Autorin kann sich den Hinweis auf die Kontinuität zu den „Nationalsängern“ nicht verkneifen: „Die Zillertaler sangen dort unter anderem – wie schon ihre Vorfahren für den Zaren – auch für Präsident Putin, der bei seinem Besuch im Haus mit Tiroler Blasmusik empfangen und später unter Klängen von ‚Tirol is lei oans‘ verabschiedet wurde.“ (63) Das Video auf YouTube zeigt einen lauschenden Putin, sitzend inmitten der „Zillertaler Sänger“.

In drei Beiträgen kommen ehemalige Akteure zu Wort. Hannes Pramstraller, der „in der Zillertaler Touristenmetropole Mayrhofen mit 15.000 Gästebetten“ viele Jahre Geschäftsführer des Veranstaltungszentrums Europahaus war (69), spricht von den „goldenen Jahren“ der volkstümlichen Unterhaltung, die in den 1990er Jahren zu Ende gingen und betont, dass die Einnahmen der „rein ökonomisch ausgerichteten Touristenunterhaltung“ ein breites Kulturangebot für die Einheimischen ermöglichten.

Martin Reiter, der mit seinem Bruder Dietrich von 1979 bis 1990 als „Original Tiroler Duo“ in Deutschland und der Schweiz unterwegs war, lässt, mit Anekdoten verknüpft, Stationen der Laufbahn Revue passieren. Reiter hat sich später als Heimatforscher mit Publikationen zu den Nationalsängern (1989) und Ludwig Rainer (2018) einen Namen gemacht.

Burgi Huber, derzeit Kulturreferentin in Mayrhofen, war von 1980 bis 1993 Tänzerin und Moderatorin bei den „Steinbock Buam“, die als Schuhplattler-Gruppe bei Tiroler Abenden im Europahaus und im Ausland auftraten. Ohne aus dem Nähkästchen zu plaudern und mit starkem Understatement erzählt sie, dass der „Zillertaler Hochzeitsmarsch“ ein beliebtes Zugabenstück der Tanzgruppen für die Touristen war, lange bevor er mit der Geigenmusik der „Zillertaler Schürzenjäger“ die volkstümlichen Hitparaden erkletterte. Vorgetanzt von den fünf Paaren der „Steinbock-Buam“ begeisterte er das Fernsehpublikum von Karl Moiks „Musikantenstadl“. Das mag daran gelegen haben, dass der Live-Act im Playback-Format für die sonst vermisste Natürlichkeit sorgte. Augenzwinkernd vermutet der Rezensent, dass der Erfolg der Tänzerinnen und Tänzer (wie der Sängerinnen und Sänger in Sotchi) der im „Zillertaler Regionalcharakter“ (Jeggle/Korff 1974) verwurzelten Begabung zuzurechnen ist, den Vorstellungen des Publikums vom „Lustigen Tiroler“ zu entsprechen.