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Robert Birnbauer

„Doing market“ – Unternehmerische Praxis und der Diskurs um „ethnische Ökonomie“ im Markt für muslimische Mode in Berlin

Bielefeld 2022, transcript, 328 Seiten, ISBN 978-3-8376-6081-4


Rezensiert von Ina Hagen-Jeske
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 24.08.2023

Geschäfte mit Namen und Waren, die nicht unbedingt als „indigen-deutsch“ einzuordnen sind, prägen seit mehreren Jahrzehnten teils ganze Straßenzüge nicht nur in deutschen Großstädten. Die Arbeitsmigration der Nachkriegsjahre legte nicht nur den Grundstein für diese Entwicklung, sondern auch für weitere grundlegende gesellschaftliche Transformationsprozesse, die sich bis heute im Stadtbild zeigen. Die ersten, inhabergeführten Geschäfte wurden in den 1970er Jahren gegründet, als sich zunehmend abzeichnete, dass einige der Arbeitsmigrantinnen und -migranten vorerst bleiben würden und somit auch der Bedarf an bestimmten Waren steigen würde. Mit dem wachsenden Markt nahm auch das politische wie wissenschaftliche Interesse zu. In den 1990er Jahren etablierte sich folglich innerhalb der deutschsprachigen Migrationsforschung das Konzept der „ethnischen Ökonomie“, welches aufgrund seiner spezifischen Unspezifik mittlerweile umstritten ist, sich jedoch vor allem im politischen Diskurs hartnäckig hält.

Einem Foucault’schen Problemverständnis folgend, bringt Robert Birnbauer in seiner Studie beide Stränge, also die tatsächliche unternehmerische Praxis und den Diskurs um die sogenannte „ethnische Ökonomie“, zusammen: Wie organisieren selbstständige Ladenbesitzerinnen und -besitzer ihren Alltag als Unternehmerinnen und Unternehmer im Kontext eines politischen Diskurses, der sie als „ethnisch“ fremd verortet und damit problematisiert? (15–16). Und wie artikuliert und materialisiert sich der Diskurs um „ethnische Ökonomie“ wiederum in unternehmerischer Praxis? Dabei nimmt er Berliner Unternehmerinnen und Unternehmer und deren Geschäfte in den Blick, deren Sortiment er als „muslimische Mode“ (14) charakterisiert. Diese Läden befinden sich vor allem am Kottbusser Damm, der Neukölln von Kreuzberg trennt, an der Karl-Marx-Straße in Neukölln und in der Badstraße in Wedding. Anhand des Gesprächskreises Migration der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern von politischen Institutionen, der Industrie- und Handelskammer, Unternehmerverbänden sowie Einzelpersonen, analysiert und identifiziert er wiederkehrende Narrative innerhalb des (stadt-)politischen Diskurses.

Seine 2020 am Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldt Universität eingereichte Dissertation verortet Birnbauer in zwei, für ihn zusammenhängenden, Bereichen; „der wirtschaftsanthropologischen Erforschung von Märkten und dem der multidisziplinären Auseinandersetzung mit dem Themenfeld ‚ethnische Ökonomie‘“ (17). Zur Datenerhebung greift er auf ethnografische Methoden zurück. Dazu gehören zahlreiche Gespräche, die er als „friendly conversation[s]“ (23) begreift. Innerhalb von zwei Jahren wurden insgesamt 41 solche Gespräche geführt. Davon entfielen 24 auf zwölf Unternehmen, wobei 15 Inhaberinnen oder Mitarbeiter teils mehrmals befragt wurden. Dazu kommen 17 Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von politischen Institutionen, darunter fasst der Autor auch Unternehmerverbände. Alle Gespräche wurden in deutscher Sprache geführt. Zusätzlich durchgeführte teilnehmende wie nicht-teilnehmende Beobachtungen etwa in Geschäften, bei Verbandssitzungen sowie dem genannten Gesprächskreis wurden in einem Feldtagebuch zusammengetragen. Die so gewonnenen Daten wurden computergestützt mithilfe von MaxQDA in Anlehnung an die Grounded Theory ausgewertet.

Im empirischen Teil arbeitet Robert Birnbauer zunächst die zentralen Modi der Problematisierung von „ethnischer Ökonomie“ heraus. Dies geschieht auf der Basis seiner teilnehmenden Beobachtungen am Gesprächskreis Migration. Hierbei macht er deutlich, dass die zuvor ausführlich erläuterten konzeptuellen Unklarheiten des so genannten ethnischen Unternehmertums sich in sich überschneidenden und dadurch auch unklaren politischen Zuständigkeiten materialisieren. Die zentralen Narrative bewegen sich zwischen Kulturalisierung und Integration, zwischen Marginalisierung und Wertschätzung sowie zwischen Prekarisierung und Kapitalausstattung (in sozialer, kultureller und ökonomischer Hinsicht). Birnbauer versteht die Prozesse der Ethnisierung und des Otherings als narrativen Rahmen für Performanz und Reproduktion von „ethnischer Ökonomie“. Integration wiederum dient hierbei als übergeordnetes Ziel politischer Intervention und ist der Effekt von Ethnisierung. „Analytisch stellen diese Formen der Bearbeitung kulturalisierenden, marginalisierenden und prekarisierenden Narrativen Integration durch Wertschätzung und eine Modifikation der Kapitalkonstellationen ‚ethnischer Unternehmer_innen‘ gegenüber“ (142). Unternehmerverbände fungieren dabei als Vermittlung zwischen Unternehmerinnen und Unternehmern und politischen Akteurinnen und Akteuren. Durch eine Umdeutung von kulturellen Differenzen zur Ressource, so Birnbauer, gelingt ihnen eine positive Umdeutung ihrer Otherness. Gleichzeitig macht er auf ein grundsätzliches Dilemma im Diskurs über „ethnische Ökonomie“ aufmerksam: „So ist […] die Kulturalisierung des Diskurses letztendlich im Interesse beider Seiten, denn beide legitimieren damit ihre Positionen […]. Während Verbände zu Experten für ‚ethnische Ökonomie‘ werden, was sich nicht zuletzt in ihrer Finanzierung niederschlägt, ermöglichen Labels von der ‚bunten, vielfältigen Stadt‘ politischen Institutionen nicht nur die Positionierung Berlins als ‚Global City‘, sondern begrenzen auch ihre Spielräume, und damit ihre Verantwortung, in der Bearbeitung ‚ethnischer Ökonomie‘.“ (143)

Die Ambivalenz zwischen Rekonstruktion und Dekonstruktion von kulturalisierenden Zuschreibungen zeigt sich auch im Kapitel über die Inszenierungen unternehmerischer Praxis. Beispielsweise werden die Schaufenster und Geschäftsräume von den Inhaberinnen und Inhabern mit kulturellen Codes ausgestattet, die sie als türkisch, arabisch, orientalisch und/oder muslimisch erkennbar machen (sollen), gleichzeitig beschreiben sie ihre Läden als „Ort von situativer Offenheit, Flexibilität und Diversität,“ so Birnbauer (151). In Anbetracht der vielfältigen Gesprächspartnerinnen und -partner variiert auch das Verständnis darüber, wodurch sich die als muslimisch charakterisierte Mode überhaupt auszeichnet. Bei der Lektüre entsteht der Eindruck, dass vor allem Unternehmerinnen bestimmte Kriterien liberaler auslegen als ein Teil der männlichen Kollegen, was vom Autor jedoch nicht weiterverfolgt wird. Als übergeordnetes Konzept zur Beschreibung unternehmerischer Praxis und deren Inszenierung wendet Robert Birnbauer das der „cultural broker“ an. Demnach gehen die Unternehmerinnen und Unternehmer mit widersprüchlichen Bedeutungen um und bringen dadurch „in produktiver Art und Weise kulturelle Formen hervor und aktualisieren Codes, Symbole und Ästhetiken“ (151). Damit begreift Birnbauer die Unternehmerinnen und Unternehmer als kulturelle wie kommerzielle Akteure, die an der Modifikation machtvoller Strukturen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beteiligt sind. „Denn die Zuordnung von Kategorien zu Waren und Läden macht diese gleichzeitig zu kulturellen Repräsentanten individueller Vorstellungen des Türkischen oder Arabischen, des Orientalischen und Muslimischen.“ (185)

Im dritten und letzten Kapitel des empirischen Teils über die Performanz einer relationalen Marktordnung, wird einmal mehr die Ambivalenz von kulturalisierenden und damit auch hierarchisierenden Zuschreibungen deutlich. Beispielhaft zeigt sich dies in der Einteilung von textiler Qualität als „chinesisch, arabisch oder türkisch“, wobei von Unternehmerinnen und Unternehmer erstere als minderwertige und letztere als sehr gute Qualität verstanden wird. Zudem arbeitet Birnbauer heraus, wie Konkurrenz und Wettbewerb als Spielarten von Differenzierung und Spezialisierung fungieren. Dabei stellt er in den Gesprächen eine „Verwirrung über die scheinbar zunehmende Auflösung eindeutiger Zuordenbarkeit vestimentärer Stile der Kundinnen“ (199) fest. Mit Blick auf die wechselseitige Strukturierung von Stadt und Markt, vor allem bezogen auf die räumliche Konzentration der Geschäfte, macht er die „Central Place Theory“ (204) in Abgrenzung zum Enklaven-Konzept fruchtbar. Demnach erklärt der Central-Space-Ansatz die hohe Dichte an Standorten und Konkurrenzgefügen „ohne dabei auf ethnisierende Zuschreibungen zurückzugreifen oder ethnisierend zu argumentieren“ (204).

Abschließend plädiert Robert Birnbauer für die Perspektive des „doing market“, denn sie „beschreibt den Markt jenseits der Paradigmen von ‚ratio‘, Gewinnoptimierung und Nutzenmaximierung, die sie weder naturalisiert noch ausblendet, und blickt durch die unternehmerische Praxis statt durch ökonomische Theorie, auf die Ermöglichung von Austausch unter kontingenten sozialen Bedingungen“ (294). In seinem Ausblick reflektiert er explizit die Nutzung des Begriffs der „ethnischen Ökonomie“ und macht auf die Problematik aufmerksam, die mit seiner Nutzung einhergeht: Die Reproduktion von Marginalisierung. Diese Auseinandersetzung und Selbstreflexion ist besonders in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Ausgrenzungsprozessen sehr bedeutsam. Folglich problematisiert Birnbauer die Bezeichnung der „ethnischen Ökonomie“ von Beginn an ausführlich, hält jedoch durchgehend daran fest und schlägt erst im Ausblick als Alternative „ethnisierte Ökonomie“ (294) vor. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Zuschreibung „muslimische Mode“ wie es mit ethnisierter Ökonomie vollzogen wurde, wäre wünschenswert gewesen.

Trotz des komplizierten Duktus einer Dissertation und Redundanzen, gibt Robert Birnbauers Studie einen spannenden Einblick in Fremd- und Selbstzuschreibungen von ethnisierten Unternehmerinnen und Unternehmern und deren Strategien im unternehmerischen Alltag in Berlin. Gleichzeitig gibt sie Aufschluss über Dynamiken zwischen der Re- und Dekonstruktion von kulturalistischen Zuschreibungen – auf Praxis- sowie auf Diskursebene.