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Thomas Schindler/Angelika Schuster-Fox/Luzia Praxenthaler
Schnaps. Hochprozentige Kulturgeschichte in Schlaglichtern
Flörsbachtal 2022, Kalden-Consulting, 306 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-942818-31-5
Rezensiert von Gunther Hirschfelder
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 24.08.2023
Während kulturgeschichtliche Monografien weit über die Geschichtswissenschaften hinaus nach langer Pause inzwischen wieder etabliert sind, fremdelt unser Fach mit diesem Format. Das ist nicht zuletzt deshalb bedauerlich, weil sie eine weit bereitere öffentliche Aufmerksamkeit finden als Aufsätze. Vor diesem Hintergrund ist die hier zu besprechende Monografie besonders zu begrüßen. Sie nimmt sich mit dem auch heute oft als „Schnaps“ bezeichneten Branntwein eines Themas an, dessen Funktion als Indikator für die vor- und frühmoderne Alltagsgeschichte kaum überschätzt werden kann. Wurde Branntwein nach der Entdeckung des Destillationsverfahrens im Hochmittelalter zunächst für den medizinischen Gebrauch produziert, erfuhr er in der Neuzeit eine markante Thematisierungskonjunktur. Nun wurde auf breiter Front vor allem im urbanen Raum Schnaps produziert, mit der Zeit geschmacklich verfeinert oder zu Likör veredelt.
Das Thema ist, wie die Autorinnen und der Autor betonen, deshalb so relevant, weil Branntwein aus ordnungspolitischen und fiskalischen Gründen besonders tiefe Spuren in den Quellen hinterließ. Die vorliegende Schnapsgeschichte trägt ganz zurecht das Wort „Schlaglichter“ im Titel. Es handelt sich um einen kulturgeschichtlichen facettenreichen Abriss, der die Anfänge der Destillation im Mittelalter knapp kompiliert und den Schwerpunkt auf die Frühneuzeit und das 19. sowie das frühe 20. Jahrhundert legt. Die Basis bilden Sekundärliteratur und gedruckte Quellen. Räumlich deckt die Studie primär das deutsche Sprachgebiet ab, fokussiert aber auf ausgewählte meist urbane Beispiele und legt das Schwergewicht auf den oberdeutschen Raum. Dabei bleibt sie in der Darstellung angenehm unaufgeregt und fällt nicht in den süffisanten Unterton der älteren Kultur- und Sittengeschichte. Es handelt sich um einen vornehmlich produktgeschichtlichen Ansatz, und der Konsum wird eher am Rande beleuchtet. Gelegentlich werden Konsumangaben, die ja aus jener Forschung kommen, die hier weitgehend ausgespart wurde, genannt, aber nicht wirklich kritisch beleuchtet. So wird auch kaum erwähnt, dass Destillate meist Luxusprodukte waren, von deren Konsum ein Großteil der Gesellschaft ausgeschlossen war. Im Zentrum der Betrachtung stehen der Fertigungsprozess, die breite Produktpalette, die Orte des Trinkens und auch die dinglichen Komponenten wie Flaschen und Trinkgefäße.
Die Schnapsgeschichte ist im positiven Sinn traditionell aufgebaut. Einer etwas knappen Einleitung folgen in sich abgeschlossene Kapitel etwa zur Herstellung und Etymologie, zur Frühgeschichte und den spezifischen Bedingungen von Herstellung und Konsum paradigmatisch in München und Nürnberg. Anschließend geht es um Brenn- und Trinkorte, besonders lesenswerte Überlegungen zu „Schnaps und Krieg“, die Sonderformen Gin und Absinth, die prominente und bislang viel zu wenig beachtete Bedeutung des Branntweins in der Volksmedizin und seine Erwähnung in den bayerischen Physikatsberichten des 19. Jahrhunderts.
Während die Diskussion der sogenannten „Branntweinpest“, den viel diskutierten vermeintlichen Überkonsum des Pauperismus, etwas mehr Kontextualisierung und Diskussion vertragen hätte, sind die Ausführungen über die Erwähnung des Branntweins in der klassischen Literatur dann wieder adäquat breit angelegt. Als besonders gelungen können etwa auch die Überlegungen zur Rolle das „Jägermeisters“ in der NS-Zeit gelten – der Likör wurde strategisch auf den Markt und in Stellung gebracht und avancierte bald zum Lieblingsgetränk in NS-Kreisen. Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert fallen die Überlegungen dann wieder etwas kursorisch aus.
Was bleibt als Fazit? Wir haben es mit einer breit angelegten, kundig geschriebenen und Lesevergnügen bereitenden Gesamtschau zu tun, die tatsächlich „Schlaglichter“ wirft, dabei aber auch ganz neue Facetten der Branntweingeschichte entdeckt. Sorgfalt, große Belesenheit und breite volkskundlich-kulturwissenschaftliche Verankerung der Autorinnen und des Autors machen die Lektüre angenehm; zwar schöpft das Werk aus Sekundärliteratur und einigen gedruckten Quellen, ist dabei aber durchaus originell und explorativ. Dass der Blickwinkel ein musealer ist, macht das Buch spannend, denn die breite Berücksichtigung von Objekten ist in der Alkoholgeschichte neu. Eine stärkere Kontextualisierung und intensivere kritische Interpretationen wären einerseits wünschenswert gewesen, hätten das Buch aber gewiss auch aufgebläht. In jedem Fall dürfte es zum Standardwerk bei all jenen werden, die sich mit der Geschichte der alkoholischen Getränke beschäftigen.