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Sara Hume

Regional Dress. Between Tradition and Modernity

London 2022, Bloomsbury Visual Arts, XVIII, 251 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-1-350-14798-0


Rezensiert von Lena Krull
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.09.2023

Seit 1963 treten auf dem Place Gutenberg in Straßburg im Sommer regelmäßig Trachten- und Folkloregruppen auf, um Touristinnen und Touristen regionale Kleidung und Tänze des Elsass vorzuführen. Ausgehend von dieser Beobachtung fragt Sara Hume, warum den Menschen vor Ort eine solche Erhaltung und Vermittlung (vermeintlicher) Traditionen ein Anliegen ist und formuliert als These: „The transmission of these stories and dances and costumes through generations is not simply a way of remembering, it is a way of understanding themselves.“ (1) Es geht der Autorin insgesamt um ein „deeper understanding“ von „regional dress“ – im Folgenden übersetzt als regionale Kleidung – als europäischem Phänomen, dem sie sich mit einer Fallstudie zum Elsass und punktuellen transregionalen Vergleichen nähern möchte (2). Sara Hume ist Kuratorin und Professorin am Kent State University Museum in Ohio, dessen Sammlung sich auf die Themen Mode und Kleidung konzentriert. Ihr Buch basiert jedoch weniger auf der Arbeit dort, sondern auf ihrer geschichtswissenschaftlichen Dissertation, die sie 2014 an der University of Chicago vorgelegt hat.

Auffällig an der Publikation ist dabei zunächst, dass es sich um eine mit 200 Textseiten (zuzüglich der Anmerkungen) recht kompakte Studie zur regionalen Kleidung im Elsass handelt, die dennoch den Anspruch hat, das Phänomen vom 19. bis ins 21. Jahrhundert sehr umfassend zu behandeln. Aus der Perspektive der deutschsprachigen Wissenschaft ist zudem auffällig, dass die komplexe Debatte um das Thema „Tracht“, wie sie in der Empirischen Kulturwissenschaft/Europäischen Ethnologie geführt wird, völlig ausgespart bleibt. Die achtseitige Einleitung verweist stattdessen auf Eugen Webers einflussreiche geschichtswissenschaftliche Studie „Peasants into Frenchmen. The Modernization of Rural France, 1870–1914“ von 1976. Aus modernisierungstheoretischer Perspektive untersuchte Weber die Transformation der ländlichen, traditionellen Gesellschaft Frankreichs in einen modernen Nationalstaat. Das Phänomen der regionalen Kleidung, so Sara Hume, widerspreche jedoch einer solchen von Weber angenommenen linearen Modernisierung. Hume verwendet daher zwar „‚traditional‘ as a counterpoint to modernization“ (5–6), möchte aber die längeren und komplexeren Übergänge zwischen beiden Systemen und damit auch zwischen „regional dress“ und „cosmopolitan dress“ betonen. Knapp referenziert werden der Begriff der Authentizität und das Konzept der „invention of tradition“, die jedoch nicht explizit forschungsleitend sind beziehungsweise von Hume kritisch betrachtet werden. Allgemein scheint es der Autorin darum zu gehen, regionale Kleidung als modernes Phänomen mit traditionellen Wurzeln zu beschreiben und dabei besonders Themen wie Säkularisierung, regionale Identität und Gender zu adressieren. Das Elsass sei hierfür aufgrund seiner wechselnden politischen Zugehörigkeit zwischen Frankreich und Deutschland, seiner religiösen Heterogenität und seiner kulturellen Vielfalt geeignet.

Das Buch gliedert sich in fünf thematische Kapitel mit vergleichbarem Umfang. Kapitel 1 widmet sich der „Religious Performance“, denn Hume sieht in religiösen Brauchkomplexen den entscheidenden Ursprung regionaler Kleidung. Das Elsass sei von einer (im französischen Vergleich) außergewöhnlichen Koexistenz katholischer, protestantischer, täuferischer und jüdischer Gruppen geprägt worden. Die Kleidung greife diese Unterschiede auf, so dass sich Katholikinnen und Protestantinnen je nach Ort auf unterschiedliche Art optisch voneinander abgrenzten. Auf täuferischer und jüdischer Seite existierten hingegen andere spezifische religiöse Kleidungsvorschriften; zugleich schließe die enge Bindung der regionalen Kleidung an die religiöse Praxis diese Gruppen von den Kleidungspraktiken der Katholiken und (anderen) Protestanten aus. Anfang des 20. Jahrhunderts nehme die Verbindung zwischen religiöser Praxis und regionaler Kleidung jedoch deutlich ab und letztere werde durch modische, städtische Kleidung („cosmopolitan dress“) ersetzt, wie Hume aus Fotografien von Kommunionen und Konfirmationen ableitet. Anders als in anderen Regionen – Hume verweist hier exemplarisch auf den Aktivismus des katholischen Pfarrers Heinrich Hansjakob in Baden (1837–1916) – setzte sich der Klerus im Elsass gerade nicht für den Erhalt regionaler Kleidung ein.

Ein zentrales Ergebnis dieses Schwindens der Verbindung von regionaler Kleidung und kirchlichen Anlässen war jedoch eine größere Offenheit für säkulare Deutungen, wie Hume im zweiten Kapitel „Visual Representation“ zeigt. Ausgehend von Kostümbüchern des 18. Jahrhunderts geht Hume exemplarisch künstlerischen Darstellungen von Kleidung aus dem Elsass nach und zieht dafür beispielsweise Fotografien, Historiengemälde und Buchillustrationen heran. Etwas eingehender thematisiert wird die Darstellung regionaler Kleidung im Rahmen der sogenannten Elsässischen Renaissance, vor allem durch den Jugendstil-Künstler Charles Spindler (1865–1938). Während bei Spindler die „Alsacienne“, also eine allegorische Frauenfigur mit einer elsässischen Schleifenhaube, als Symbol für die Region stand, wurde sie von anderen Künstlern wie Jean-Jacques Waltz („Hansi“, 1973–1951) zum Symbol der Loyalität mit Frankreich umgemünzt.

Im Fokus des dritten Kapitels steht regionale Kleidung als „Material Goods“, das heißt, Hume fragt nach der Herstellung, dem Vertrieb und dem Besitz von Kleidung. Durch die Auswertung von Sterbefallinventaren aus Truchtersheim kann Hume einige allgemeine Feststellungen machen, etwa eine Entwicklung hin zum Besitz abgestimmter Ensembles statt einzelner Kleidungsstücke. Frauen besaßen dabei mehr und wertvollere Kleidung als Männer und wurden in der entstehenden Konsumgesellschaft als Kundinnen besonders angesprochen. Warenhäuser und Konfektionskleidung führten Ende des 19. Jahrhunderts langfristig zu einem anderen Kauf- und Kleidungsverhalten, obwohl sich einzelne Geschäfte sogar auf regionale Kleidung spezialisierten. Parallel veränderten sich die Ausbildungswege im Handwerk und die Textilproduktion, so dass im Ergebnis ein Verschwinden der regionalen Kleidung zu beobachten sei. Wie schon im ersten Kapitel folgt Hume damit einem modernisierungstheoretischen Narrativ, das sich im Prinzip auch mit den zeitgenössischen Wahrnehmungen und der älteren Trachtenforschung deckt. Hier hätte der Blick auf neuere konstruktivistische Ansätze möglicherweise noch eine andere Perspektive eingebracht.

Zeitgenössische Verlusterfahrungen mit Blick auf die „Volkskultur“ waren es auch, die um 1900 eine verstärkt volkskundliche und museale Beschäftigung mit regionaler Kleidung anregten – das gilt auch für das Elsass, wie das vierte Kapitel „Museum Objects“ zeigt. Hume nennt Weltausstellungen und ethnografische Museen in Paris und Berlin als Vorbilder und stellt dann das Straßburger Musée Alsacien in den Mittelpunkt. Entstanden aus bürgerschaftlichem Engagement im Umfeld der Elsässischen Renaissance, konnte es 1907 als privates Museum eröffnet werden. Hume analysiert knapp Entstehung der Sammlung und Aufbau der Ausstellungen sowie die Aktivitäten des Museums bei der Produktion und Verbreitung konkreter Vorstellungen über regionale Kultur im Elsass. Anschaulich wird in dem Kapitel auch, dass die Akteure mit dem Museum unterschiedliche politische Ziele verbanden, die von einem Arrangement mit der Zugehörigkeit zum Deutschen Reich bis zu pro-französischen Ideen reichten.

Das fünfte und letzte Kapitel „Living History“ widmet sich öffentlichen Repräsentationen regionaler Kleidung, von den Trachtenumzügen und Festen des 19. Jahrhunderts bis hin zu den heute bestehenden Folkloregruppen. Leider erläutert Hume nicht, ob sie sich mit dem Titel auf das Konzept der „Living History“ bezieht und inwiefern der Begriff überhaupt auf Feste angewandt werden kann, bei denen eigentlich eine aktuelle regionale Kleidung dargestellt werden soll. Hume fächert ein breites Spektrum an Festen und Feiern auf und bezieht Vergleichsbeispiele aus der Literatur mit ein; „Folklorismus“ als Forschungsbegriff empfindet sie nicht als hilfreich. Für das Elsass hervorzuheben sind mehrere Besuche des deutschen Kaisers, bei denen die Trachtengruppen auch die politische Zugehörigkeit der Region zu Deutschland unterstreichen sollten. Diese politische Nutzung regionaler Kleidung war auch 1918 bei der erneuten Angliederung an Frankreich zu beobachten. In meinen Augen zu kursorisch thematisiert das Kapitel zuletzt die Rolle regionaler Kleidung während des Nationalsozialismus und im Rahmen eines neuen Interesses für Folklore seit den 1960er Jahren.

Das Fazit wiederholt die These von der regionalen Kleidung als Trägerin regionaler Erinnerungskultur, geht dann aber über die Arbeit hinaus und versucht, eine schlüssige Deutung der aktuellen Nutzung regionaler Kleidung besonders im Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich zu entwerfen. Hier erweist sich das Ziel, eine zeitlich umfassende Darstellung vorlegen zu wollen, als Hindernis, weil die Argumentation stark auf einzelnen Beispielen aufbaut und nicht immer detailliert nachvollzogen werden kann. Auch innerhalb der Kapitel reihen sich die Beispiele teilweise eher aneinander, als kohärent aufeinander aufzubauen. Positiv hervorzuheben sind die durchgängige Bebilderung und der ergänzende farbige Abbildungsteil. Insgesamt handelt es sich um eine kompakte, kluge und unterhaltsam zu lesende Gesamtdarstellung zur regionalen Kleidung im Elsass, bei der Leserinnen und Leser die Verbindungslinien zu deutschsprachigen Forschungsdebatten jedoch selbst ziehen müssen.