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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Hasso Spode

Urlaub Macht Geschichte. Reisen und Tourismus in der DDR

Berlin 2022, BeBra, 208 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-89809-201-2


Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.09.2023

Wer erwartet hat, dass Hasso Spode, Leiter des „Historischen Archivs zum Tourismus“ an der Technischen Universität Berlin und Professor für Historische Soziologie an der Universität Hannover, seiten- oder gar kapitelweise, unter Verwendung der einschlägigen Begrifflichkeit des DDR-spezifischen marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes einschließlich der damit verbundenen Kulturtheorie, die Tourismus-Entwicklung in der DDR nachzeichnet, der wird angenehm überrascht. Dem Autor gelingt es nämlich, konsequent die unterschiedlichen systemischen und lebensweltlichen Handlungsbereiche in ihrer gegenseitigen Verzahnung zu beschreiben, einer Analyse zu unterziehen und auszudeuten, dies alles in kühl-sachlicher Sprache. Er setzt sich mit gesellschaftlicher Macht und Herrschaft sowie, zentral, mit ökonomischen und soziokulturellen Bedingungen des zu untersuchenden Handlungsfelds auseinander, was für die gesamte kurze Geschichte der DDR gilt; und er nimmt auf dieser Basis eine vielfältige Kontextualisierung vor, welche, grob gesagt, die folgenden Themenbereiche betrifft: Touristen und ihre Klassen-, Geschlechter-, Bildungs- und generationalen Verhältnisse, Differenzen und Distinktionen; Besucher und Einheimische, interkulturelle Beziehungen, stereotype Vorstellungen und Vorurteile, Tourismus und Anti-Tourismus, Sexualität und Moral; Formen des Tourismus, Aktivitäten, Sehenswürdigkeiten, Destinationen, Repräsentationen; Planungsebene, Verkehrsmittel, Infrastruktur, Unterkünfte, Versorgungseinrichtungen, Organisationen und Institutionen, gesetzliche Regelungen, Unterhaltungsangebot; Ökonomie sowie Politik. Zugute kam dem Autor dabei der Umstand, dass das ostdeutsche Herrschaftssystem letztlich „versuchte, alle Lebensbereiche zu durchdringen, und dabei Unmengen Papier hinterlassen hat“ (180).

Die Studie setzt ein mit einem Rückblick in die Vorgeschichte dessen, was er „touristische Reise“ (7) nennt, also mit der Zeit um 1800; er arbeitet die zentralen Charakteristika der nationalsozialistischen Tourismuspolitik heraus und vergleicht sie mit den spezifischen Tendenzen des Sozialtourismus in der DDR, dessen Träger zunächst der Gewerkschaftsbund war (FDGB-Feriendienst), später die zum Teil riesigen und mächtigen Betriebe, wobei es aber auch nicht-sozialtouristische Anbieter gab, so zuvörderst das staatliche Reisebüro der DDR. Sämtliche Aktivitäten führten dazu, von der „DDR als Reiseweltmeister“ zu sprechen (121–126), was vor dem konkreten Hintergrund seine Berechtigung erfahren hat, dass, zusätzlich zu den Bemühungen der vorgenannten touristischen Träger, eine Unzahl von lokalen, betrieblichen, bezirklichen, kommunalen und weiteren Akteuren, sogenannten „Kadern“, diesbezüglich eigeninitiativ wurde und somit erfolgreich die sozialistische „Kommandowirtschaft“ (169) unterlief. Im Grunde genommen hatten diese „dem Regime einen Lebensstandard abgetrotzt, der von der Wirtschaftskraft des Landes in keiner Weise gedeckt war“ (172). Die Sphäre des touristischen Reisens als Teil der menschlichen Lebenswelt hat also in massiver Art und Weise mit dafür gesorgt, dass der vermeintlich allmächtige systemische Handlungsbereich ins Wanken geraten ist. Und Hasso Spode hat seinem Lesepublikum die Chance eröffnet, just diese Prozesse nachzulesen und zu verstehen.

Mein einziger Kritikpunkt betrifft den ausführlichen Anmerkungsteil, in dem der Autor sich des unsäglich komplizierten und unpraktischen a.a.O.-Verweissystems bedient. Warum nur?