Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Henriette Herwig/Mara Stuhlfauth-Trabert (Hg.)

Alter(n) in der Populärkultur

(Alter(n)skulturen 13), Bielefeld 2022, transcript, 318 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-5992-4


Rezensiert von Nicole Zielke
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 24.08.2023

Der Sammelband lotet die sehr vielfältigen Darstellungsweisen des Alter(n)s in der Populärkultur aus. 14 Autorinnen und Autoren widmen sich verschiedenen Alterskonzeptionen und den Verhandlungen von Altersprozessen in Film, Serie, Comic, Literatur und Hörspiel. Lange Zeit war die Populärkultur eher mit Werten wie Jugend, Schnelllebigkeit, Aktualität und Dynamik verknüpft. Doch das scheinbare Spannungsverhältnis zwischen Alter(n) und Populärkultur löst sich immer mehr auf. Nicht nur bedingt durch den demografischen Wandel, vielmehr gehen mit der Schaffung eines neuen, jungen und positiv konnotierten Altersbildes bestimmte ökonomische und politische Interessen einher. Die Populärkultur als ökonomisches, soziales, politisches, ästhetisches und subkulturell umworbenes Feld, das sich einer breiten Beliebtheit erfreut, ist prädestiniert dafür, Altersbilder widerspiegelnd, wirklichkeitskonstruierend oder illusionär aufzugreifen. Ihr obliegt die Funktion, Sinnangebote und Handlungsorientierungen bereitzustellen und damit unsere Handlungs- und Deutungsmuster zu beeinflussen (9).

Gerade Filme dienen als Medium der Reflexion kulturellen Wandels und Experimentierfeld für neue Altersrollen sowie Wohn- und Beziehungsformen. Matthias Hurst verdeutlicht mit seiner Analyse von Western der 1940er bis 1990er Jahre, dass die heroischen Darstellungen, die Männlichkeitsbilder und Geschlechterverhältnisse vor dem Hintergrund kolonialer Ausbeutungsmechanismen weder zu gebrauchen noch zu akzeptieren sind, sodass auch der alternde, einstig gefeierte Held zunehmend in Konflikt mit modernen Lebens-, Denk- und Handlungsweisen gerät. Der gesellschaftliche Wandel findet sich im Alterungsprozess wieder. Henriette Herwig zeigt in drei Filmkomödien „teils gelingende, teils scheiternde Interaktion mit Demenzkranken in der Frühphase oder mittleren Phase der Demenz“ (59). Dabei werden jedoch die Spätphasen der Demenz einschließlich Inkontinenz, Aggressivitätsschüben, Immobilität, des Sprachverlusts und vollständigen Rückzugs ausgespart. Zwar hinterfragen die Komödien hegemoniale Männlichkeitskonzepte und zeigen starke Frauenfiguren, jedoch manifestieren sie die Weiblichkeit der Pflegesituationen. Letztlich kommt Herwig zu dem Schluss, dass die Filme „Berührungsängste im Umgang mit demenzkranken Menschen ab[zu]bauen sowie Möglichkeiten des Erhalts von Lebensqualität und häuslicher Pflege aus[zu]loten, und sie plädieren vehement für den Abbau von Scham und für Inklusion“ (ebd.). Matthias C. Hänselmann widmet sich in seinem ersten Text unterschiedlichen Zeichentrickformaten. In seinen dezidierten Analysen wird erkennbar, dass es im Zeichentrickfilm weniger um den prozessualen Charakter des Alterns, der mit der Geburt beginnt, geht, sondern zum Teil um unsterbliche Figuren, „die über Jahre und Jahrzehnte Tag für Tag mit exakt demselben Aussehen auf den Bildschirmen erscheinen und allerhöchstens ein episodisches Gedächtnis“ (78) besitzen. Véronique Sina geht anhand der Amazon-Serie „Hunters“ (2020), „die sich von den historischen Ereignissen der Shoah und des Zweiten Weltkrieges inspirieren ließ“ (11), sowohl auf das hierarchische Relationsgefüge zwischen Alt und Jung als auch die intersektionale Dimension von Diskriminierung ein. Wo bei „Hunters“ die hegemonialen Männlichkeitsvorstellungen stark mit Jugendlichkeit verbunden sind, zeichnet sich demgegenüber Thomas Küppers zufolge die Titelfigur der Serie „Der Alte“ durch Lebenserfahrung und paternale Autorität aus. Im Serienformat „Star Trek“ wird trotz der immensen Diversität der Figuren die Kategorie Alter nahezu ausgespart. Florian Trabert stellt heraus, dass, abgesehen von vereinzelten Darstellungen von Altern als Krankheit, jüngere Figuren dominieren. Sich mit der Endlichkeit des menschlichen Daseins auseinanderzusetzen wird eher über die Transformation der Seele im neuen Körper gelöst. Doch den existenziellen, unabänderlichen Fragen müssen sich die Charaktere nicht stellen, was wiederum auf die Fortschrittsidee und den Frontier-Mythos der Science-Fiction-Serie zurückzuführen ist. Dennis Korus knüpft an die Erörterungen mit der Science-Fiction-Serie „Babylon 5“ (1993) an, in der das Konzept des Altwerdens vor dem Hintergrund der hochgradigen Technisierung und zahlreichen Brüche im Zeit-Raum-Kontinuum mit einem Gefühl der Machtlosigkeit einhergeht. Alter als sozial und kulturell bedeutsame Lebensphase, die trotz fortgeschrittenem Lebensalter noch Möglichkeiten zur Umkehr und Weiterentwicklung lässt, thematisiert Irene Husser mit den seriellen Altersfigurationen in „Twin Peaks – The Return“ (2017). Die Serie stellt heraus, dass die Darstellung des Alterns als Wiederkehr des Ähnlichen, das heißt der gleiche Mensch nur auf eine andere Art und Weise, völlig akzeptabel ist. Hingegen ist die Wiederkehr des Gleichen tragisch (182).

Dietrich Grünewald greift entlang des Comics „Bäche und Flüsse“ (2009) zehn Altersthemen heraus und setzt diese in Bezug zu anderen Comics. Ursula Klingenböck zufolge beschreibt der Comic „Der Sommer ihres Lebens“ (2017) die Geschichte vom Leben als Geschichte vom Altern einschließlich der Geringfügigkeit des menschlichen Lebens in einem Zeitkontinuum. Zugleich werden Themen wie Separierung und die sich damit manifestierende Marginalisierung angesprochen, die gerade durch den Einzug ins Seniorenheim kenntlich gemacht werden. Der Schluss als Übergang vom Leben zum Tod wird langsam und unspektakulär dargestellt (228). Damit entspricht der Comic den gesellschaftlich erwünschten Alterskonzeptionen.

Ähnlich wie im Zeichentrickfilm werden auch in der Literatur die Bösartigkeit und der Neid von Figuren durch die dem Alter zugewiesenen hässlichen/abstoßenden Begleiterscheinungen unterstrichen. Letztlich ist das Alter, wie Sigrid Belzer-Kielhorn feststellt, im Märchen kein Resultat eines gelebten Lebens. Für die Figur der Hexe zum Beispiel gibt es weder Vergangenheit noch Zukunft. „Als übernatürliches Wesen fällt sie aus der Zeitlichkeit heraus.“ (244) Helge Nowak zeigt, dass die Gattung Kriminalroman auf zwei andere Alterskonzepte rekurriert, nämlich einerseits die Darstellung der Altersweisheit, wie zum Beispiel in den Kriminalromanen „Miss Marple“ von Agatha Christie, andererseits die Darstellung der relativen Alterslosigkeit als Kontinuität des Erwachsenendaseins beziehungsweise als Nicht-Altern, wie bei der Kriminalfigur des Detective Inspector John Rebus aus Edinburgh des Autors Ian Rankin. Neu hingegen ist der Anstieg der Pflegeheimkriminalromane. Hier werden die Machtunverhältnisse und Institutionalisierungsweisen zugespitzt. Die Anforderungen einer technisierten, hygienischen und ärztlichen Versorgung geraten zunehmend mit dem Wunsch nach einem lebenswerten, würdevollen Altersabend in Konflikt. Simone Saftig setzt sich mit der Relativität des Alterns und den individuellen Aushandlungsprozessen von Altersbildern in der Gegenwartsliteratur anhand der Analyse von „Fünf Löcher im Himmel“ von Rocko Schamoni (2014) auseinander. Das gelebte und noch zu lebende Leben des 67-jährigen Protagonisten Paul wird durch Retrospektiven und Gegenwartsbezüge auf seine Ressourcen und Möglichkeiten hin untersucht. Anknüpfend an den Essay „Über das Altern“ von Jean Améry aus dem Jahr 1968 treffen die adoleszenten lebensfreudigen und körperlich-agilen Visionen eines späteren Lebens auf die gegenwärtigen dramatischen Formen der Altersarmut und der daraus resultierenden Altersresignation. „Gleichzeitig wird deutlich, dass der Wandel von Lebensumständen kein typisches Merkmal des Alters darstellt, sondern vielmehr als Konstante des Lebens gesehen werden muss.“ (299)

Der zweite Beitrag von Matthias Hänselmann beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen hohem Alter und dialektaler Ausdrucksweise im Hörspiel. Hier begegnen sich Hoch- und Dialektsprache als Repräsentanten gegensätzlicher kulturell-politischer Positionen, indem die Dialektsprache als Vehikel der Demonstration von Bodenständigkeit, Volksnähe und Regionalbezug eingesetzt wird (307).

Der vorliegende Sammelband ist ein durchaus umfassender, inspirierender Versuch, sich den Alterskonzeptionen in der Populärkultur zu nähern. Insbesondere die Verknüpfungspunkte zwischen den einzelnen Beiträgen fallen konstruktiv auf, wie zum Beispiel zwischen Westernfilm und Hörspiel. Wie der alte, traditionsverbundene, patriarchale Westernheld, der seine Wertvorstellungen gegen eine moderne, diverse Welt zu verteidigen versucht, auf den alten, dialektsprechenden Menschen trifft, der seine traditionellen, oft natur- und heimatverbundenen Wertvorstellungen gegen eine moderne natur- und traditionsvergessene Welt zu verteidigen versucht. Besonders ist auch, wie die Darstellung von Alterskonzeptionen verschränkt ist mit dem Wandel bestimmter medialer Formate. So im Zeichentrickfilm, der eine Diskrepanz zwischen Alterskonstruktionen und deren Vergegenwärtigungen aufweist und dementsprechend aus der Zeit fällt – und zugleich ebenso als Kunstform dem Zeitgeist der Digitalanimationen weichen muss.

In manchen Beiträgen hätte ich mir mehr Visualisierungen gewünscht, vor allen Dingen im Film-, Serien- und Comicbereich. Ebenso hätten mich bei den Beiträgen der Autorinnen und Autoren die Auswahlkriterien beziehungsweise -entscheidungen für die spezifischen Serien-, Film-, Comic-, Literatur- und Hörspielformate interessiert. Diese haben sich mir nicht immer erschlossen. Der lesenswerte, anregende und eröffnende Sammelband nährt sich vom Potenzial zur theoretischen wie methodischen Reflexion der Darstellungen von Alterskonzeptionen in der Populärkultur. Er ist zugleich ein analytisch fundiertes Zeugnis als auch eine anregende Aufforderung zu weiteren Forschungen in einem hochrelevanten Feld.