Aktuelle Rezensionen
Nicolas Jagla
Steckbriefe und Diebeslisten als Quellen der historischen Kleidungsforschung. Ein kritischer Vergleich
(Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte 108), Bamberg 2021, Universität Bamberg, 115 Seiten mit Diagrammen, ISSN 0721-068X.
Rezensiert von Monika Ständecke
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 07.09.2023
Der Autor setzt sich mit Steckbriefen und Diebeslisten aus dem Staatsarchiv Bamberg auseinander, die als „Akten des Zent- und Fraischgerichtes (Malefizamt) des Hochstifts Bamberg“ archiviert sind (26). Sie stammen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ziel der vorliegenden Arbeit sollte sein, dieses Material quellenkritisch einzuordnen und auf das Potential hin zu untersuchen, das es für „die Rekonstruktion historischen Kleidungsverhaltens“ haben könne (15). Leider versäumt es Nicolas Jagla den Rahmen vorzustellen, der ihn zur Auseinandersetzung mit dem Thema veranlasst hat. Das Ergebnis ist jedenfalls ein schmales Buch, das wie eine gedruckte Seminararbeit wirkt. Es referiert anfangs über Quellen („Sachkultur“, „Bilder“, „Schriftgut“) und Forschungsliteratur (7–24). Anschließend geht es um Entstehungskontext, Form, Aufbau und Unterschiedlichkeit der titelgebenden Schriftstücke (25–40). Dem folgen die Abschnitte „Auswertung“ mit den Kapiteln „Männer“- und „Damenkleidung“ (41–98) sowie „Fazit“ (99–103) und „Anhang“ (104–115). Letzterer beinhaltet ein Quellen-, Literatur-, Grafiken- und Tabellenverzeichnis. Seine Erkenntnisse gewinnt der Autor, indem er aus den Personenbeschreibungen der Archivalien „Nominaldaten“ gewinnt und in einer Tabelle zusammenführt. Daraus ermittelte Werte führte er in 24 Grafiken und 20 Tabellen vor Augen, die er wiederum interpretiert. Jagla arbeitet mit einer Tabelle, in der er pro Person eine Zeile angelegt hat. Jede Zeile geht über mehrere Spalten, von denen ein Teil Bezug hat zur Kleidung, der andere „Demografische Merkmale“ (Beruf, Alter, Geschlecht, Familienstand, Angaben zur Sesshaftigkeit) enthält.
Lohnend ist die Lektüre des Kapitels „Quellenkundliche Einordnung“ und die „Auswertung“, sofern sie quellentypische Darstellungstendenzen benennt (31–50). Wesentliches fasst dann das „Fazit“ zusammen. Was den im Titel angekündigten „kritischen Vergleich“ der beiden Quellenarten Steckbrief und Diebesliste angeht, kann der Leser beziehungsweise die Leserin sicher etwas mitnehmen. Ansonsten zeigt sich, wie viele Fallstricke die Kleidungsforschung bereithält. So ist zum Beispiel der Vielfalt der Begriffe, die es für Stoffarten und Kleidungsteile gegeben hat, sowie deren relativer Flexibilität, methodisch kaum Rechnung getragen. Ohne tiefer in faktisches Wissen einsteigen zu müssen, was Rohstoffe, Stoffherstellung, Schnitt oder Mode angeht, wäre erforderlich gewesen, zumindest klar zwischen den vorgefundenen historischen Begriffen und denen zu unterscheiden, die man selbst als formal definierende heranziehen möchte (auffällig changierend bleibt z. B. „Mütze“, 85–86). Ungenauigkeiten führen in Sackgassen. „Blaugrün“ kann ja zum Beispiel heißen a) farblich in einem Ton zwischen Blau und Grün, b) blau mit grünen Partien (Randstreifen, Aufschlägen, Kragen, Besätzen etc.) oder mit einem Muster in den Farben Blau und Grün. Solche in den Archivalien verwendeten Komposita als „Farbkombination“ anzusprechen, ist schlichtweg irreführend.
Das Pfund, mit dem die Quellen wuchern können – die Tatsache, dass hier alltägliche, in Gesellschaft getragene Kleidung eine Rolle spielt, die auch noch bestimmten Trägerinnen und Trägern zugeordnet ist – bleibt weitgehend unangetastet. Grafiken und Tabellen sind wie Folien – nicht raumbildend. Was bringt es, genannte Einzelteile gruppenweise zusammen zu fassen (z. B. „Ober- und Unterkleidung“, „Überkleidung“ etc.), um ein „Farbspektrum“ zu eruieren, wie es der Autor tut? Vordergründig können damit vielleicht stereotype Bilder von milieu- oder regionalspezifischer Kleidung bestätigt oder widerlegt werden. Aber die sagen – was hinlänglich bekannt ist – wenig über Kleidungsrealität aus. Die untersuchten Akten enthalten Informationsbündel. Warum sollte es zweckdienlich sein, sie zu zerteilen und neu zu gliedern, bevor man sie interpretiert? Bezüge und Relationen sollten keinerlei Vereinheitlichung weichen, sondern in den Vordergrund gerückt werden. Forschung kann gerne mit gewissenhafter Objekt- und Begriffserfassung beginnen. Jedenfalls reizen die vorgestellten Quellenarten dazu, aus den Personenbeschreibungen in den Akten herauszulesen, wie geläufig wann und wo bestimmte Begriffe waren. Darüber hinaus gilt es, nach Information Ausschau zu halten, die über sich hinausweisen. Wenn zum Beispiel 1720 in bambergischen Akten eine Schnürbrust im pfälzischen Stil oder ein Kamisol im sächsischen Stil genannt werden (90), kann man sich fragen, wie es dazu kommt. Auch was es mit „weisse Maynzer Hauben“ oder der „bayerischen Lappen=Haube“ auf sich hat, macht neugierig (84). Nicht das Durchschnittliche, die Auffälligkeiten sind es wohl, die den Reiz weiterer Auswertungen von Personenbeschreibungen in Steckbriefen und Diebeslisten ausmachen dürften.