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Aktuelle Rezensionen


Susanne Richter

„Hallo Schönheiten!“ Aushandlungen der Geschlechterordnung in der YouTube Beauty Community

(Hildesheimer Geschlechterforschung 4), Frankfurt am Main/New York 2021, Campus, 364 Seiten, ISBN 978-3-593-51403-1


Rezensiert von Martina Röthl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.09.2023

Bei der hier zu besprechenden Studie handelt es sich um eine Publikation des Zentrums für Geschlechterforschung (ZfG) Hildesheim und um die Druckfassung der von Susanne Richter 2020 in Bielefeld an der Fakultät für Soziologie eingereichten Dissertation. Die Autorin macht YouToube Beauty-Videos zum Gegenstand geschlechtersoziologischer Forschung, das Interesse gilt den Fragen, „welche Performances von Weiblichkeit in der Beauty Community hervorgebracht und wie die Position von Weiblichkeit in der Geschlechterordnung ausgehandelt wird“ (14–15). Der Korpus der Studie umfasst 27 Beauty-Videos und deren Kommentardiskussionen sowie – ergänzend – auch Daten von YouTube-Informationswebseiten (133); bezogen auf Letzteres steht hier immer wieder die „YouTube Creator Academy“ im Vordergrund. Es handelt sich bei dieser Untersuchung um eine empirisch-qualitative Analyse, die auf die Erörterung der „Situierung der Beauty Community auf YouTube“ zielt (66) – dies diskurstheoretisch beziehungsweise maßgeblich an der Situationsanalyse Adele Clarkes orientiert.

Richter vermerkt einführend, dass Beauty-Videos auf YouTube mit anderen virtuellen Räumen (zum Beispiel Accounts der Akteurinnen und Akteure auf sozialen Netzwerken, Webauftritten journalistischer Berichterstattung) und der analogen Welt (Events, Frauenzeitschriften, Fantreffen etc.) in Verbindung stehen, diese aber „aus der Analyse weitgehend ausgeschlossen“ sind (24). Im Mittelpunkt stehen die Performances der videoproduzierenden Akteurinnen und Akteure, welche Richter treffend als „[p]rofessionelle Amateur_innen“ (142–144) rahmt. In die Analyse einbezogen sind vielfältige Vernetzungen und somit auch: Kommentierende, an Situationen partizipierende Netzwerke und Organisationen. Einbezogen ist auch die Seite der Rezipientinnen und Rezipienten. Zuschauende analysiert Richter in Anlehnung an Clarke als „Implizite Akteure“, die Studie lenkt den Blick zum Beispiel auf das Narrativ „naive Kinder“ beziehungsweise auf darauf rekurrierende Zuschreibungen, für die in Anschlag gebracht ist, dass sie auf der Seite der YouTuber und YouTuberinnen traditionelle Formen von Weiblichkeit an- beziehungsweise aufrufen, so etwa die Verpflichtung zu moralischer Verantwortung und Positionierungen in der Fürsorgerolle (vgl. 201–204). Das untersuchte Videomaterial möchte Richter als „ein neues Format ‚natürlicher Daten‘“ (13) verstanden wissen. Auf „tatsächliche“ lebensweltliche Kontextualisierungen zielt die Untersuchung insofern nicht, als dass diskurs- beziehungsweise situationsanalytische Implikationen nicht auf Materialen treffen, die weitergehende Rückschlüsse auf Erfahrungen und Lebensrealitäten der beforschten Akteurinnen und Akteure zulassen. Direkte Interaktion mit ihnen sieht das Forschungsdesign der Studie nicht vor.

Der umfangreiche und sehr detaillierte Forschungsbericht ist in sieben Kapitel unterteilt: Ein einführendes Kapitel legt Forschungsperspektive, Gegenstand und zentrale Begrifflichkeiten sorgfältig dar. Die Erörterung des Begriffs der „Beauty Community“ lässt bereits erkennen, worauf es der Untersuchung auch ankommt: die Trivialisierung des Genres zu hinterfragen – und auch zu erörtern, inwieweit die Beauty Community sich (überhaupt?) von politisch agierenden Gruppierungen unterscheidet, die „widerständig gegen hegemoniale, oppressive Strukturen positioniert sind“ (27). Kapitel zwei, das sich „Weiblichkeit“ im Sinne einer hierarchisierten Position in der Geschlechterordnung zuwendet, changiert zwischen theoretischer Grundlegung beziehungsweise der Diskussion theoretischer Anschlüsse der Relevanzbereiche Performanz, Weiblichkeit und Schönheit (mit Fokus auf Judith Butler, Andrea Maihofer, Sandra Lee Bartky und Michel Foucault) auf der einen und dem Aufzeigen widersprüchlicher feministischer Positionen auf der anderen Seite: Die Entkopplung von Schönheit und Weiblichkeit kann als feministisches, gegen die Aktualisierungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gerichtetes Anliegen in Erscheinung treten. Schönheitshandeln per se als „patriarchal, komplizinnenhaft und unterwürfig“ zu verstehen, kann aber seinerseits auf die Stabilisierung androzentristischer Logiken zulaufen (109). Den sich hier anbahnenden Analysebegriff der „unaufrichtigen Weiblichkeit“ (114–117) nimmt Richter mit in ihre Situationsanalyse, deren methodischen Zuschnitt sie in Kapitel drei umreißt. Die darauffolgenden und ins Fazit mündenden Analysekapitel „Die Beauty Community als Situation“ (Kapitel 4), „Die Arena ‚Profit‘ und ‚Authentizität‘“ (Kapitel 5) und „Die Arena ‚Schönheit‘“ (Kapitel 6) machen Umsetzung und Erkenntnisweg(e) transparent. Ein kurzes und ans Ende von Kapitel vier gesetztes Zwischenfazit erläutert, inwieweit „Profit“ und „Authentizität“ als diskursive Arenen perspektiviert und als solche „ergründet“ wurden, um die Schlüsselkategorie „Schönheit“ zu ergänzen und zu strukturieren (172–174). Unter Punkt 6.4 kommt die Folie der Souveränität beziehungsweise der Aspekt des souveränen Umgangs mit – durchaus ambivalenten – Vorgaben hinzu.

Als Qualifikationsarbeit folgt die Darstellung den Vorgaben einer klassischen Gliederung, wobei „klassisch“ in diesem Fall auch bedeutet, dass Lesende sich 187 Seiten lang gedulden müssen, bis sie mit direkt am Material entfalteten Deutungen konfrontiert werden. Durch die mitreißende und erfrischende Art, wie Argumentationsstränge der Forschungsliteratur referiert, gegeneinander abgewogen und zugespitzt weiterentwickelt werden, ist die Studie von Susanne Richter dennoch inspirierend – dies vor allem auch durch die offene und präzise Darlegung der heuristischen Ausgestaltung. Und ihre Ergebnisse sind aufschlussreich: Schönheitshandeln ist nicht nur als Ausdruck sozialer Zugehörigkeit und unter Aspekten des Zugangs zu Ökonomien von Macht und Status in den Blick zu nehmen, sondern auch als Praxis der Herstellung normativer Weiblichkeit. Im Rahmen der binären Geschlechterordnung ist diese normativ gewünscht (z. B. 237), kann aber auch konterkariert werden. Die videoproduzierenden Akteurinnen und Akteure sind vergeschlechtlichter Hierarchisierung ausgesetzt, sie widersetzen sich der Geschlechterordnung aber auch aktiv. Richter verneint explizit, „dass die Akteur_innen durch die Herstellung betonter Weiblichkeit ausschließlich traditionelle, eigentlich rückständige Geschlechterpositionen einnehmen, in die sie normativ gezwängt werden“ (317). Die binäre Ordnung weist Richter als persistent und weiterhin beständig aus, gleichzeitig kennzeichnet sie die von ihr untersuchten Akteurinnen und Akteure als „notgedrungen renitent“ (286, im Original hervorgehoben).

Richters Untersuchung leistet einen Beitrag in die Richtung, die am Ende der Studie als für die analytische und praktische Arbeit essentiell eingefordert ist – und die sich als Folie sicherlich auch für die Bearbeitung anderer Felder empfiehlt, nämlich „die perfide Dynamik offenzulegen, mit der Marginalisierten zum Vorwurf gemacht wird, dass sie den Anforderungen nachkommen, die wirkmächtig an sie gestellt werden“ (340). Manche der dazu in den Analyseteilen direkt am Videomaterial vorgenommen Deutungen wirken „gewagt“, was aber womöglich nur dem Umstand geschuldet ist, dass die gelernte Europäische Ethnologin Interpretationen vorzugsweise über lebensweltlich-biografische Daten und Einsichten abgesichert sehen will. Die genannte Wahrnehmung läuft also nicht auf eine konkrete Kritik zu, wohl aber, dass sich bei der Lektüre von Richters Studie leider der Verdacht erhärtet, diese sei in großer Eile publiziert worden. Ein Korrektorat hätte sich gelohnt.