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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Katharina Wohlfart

Emanzipation durch Hauswirtschaft. Die Wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande in Miesbach (1902–1939)

(Forschungen zur Landes- und Regionalgeschichte 16), Sankt Ottilien 2022, EOS, 204 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8306-8101-4


Rezensiert von Jan Ocker
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.09.2023

Die Geschlechter- und dabei in Sonderheit die Frauengeschichte hat mit Blick auf zahllose Veröffentlichungen zu mehr oder minder bekannten Protagonistinnen im Spezifischen und zu weiblichen Lebenswelten im Generellen seit einigen Jahren wahrlich Hochkonjunktur. Während im Gefolge dieses zu begrüßenden Forschungswandels doch mitunter leider auch wenig substanzielle Beiträge vorgelegt werden, so lohnt die Lektüre der 2021 mit dem Förderpreis der „Gesellschaft für Agrargeschichte“ ausgezeichneten und erfreulicherweise alsbald danach publizierten (Master-)Arbeit von Katharina Wohlfart definitiv. Bei der Studie zu dem 1902 in Bayern gegründeten „Verein für Wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande“ mit der 1903 in Geiselgasteig/Grünwald eröffneten, 1909 bereits nach Miesbach verlegten und 1939 verstaatlichten Schule handelt es sich um ein übersichtlich gestaltetes, verständlich geschriebenes und insgesamt informatives Werk.

In sieben Kapiteln und mit 14 Schwarz-Weiß-Abbildungen beleuchtet die Arbeit die Lehranstalt und ihre Akteurinnen, wobei in der Einleitung zunächst die Konzeption, der Forschungsstand, die Quellen sowie die Methodik vorgestellt werden. Als Kernthese formuliert Wohlfart, dass die „Frauenschülerinnen eine Geschlechterrolle [entwickelten], die von Aktivität, Sportlichkeit, Pflichtbewusstsein und Arbeitsfreude geprägt war“ (13). Die „Selbstdarstellung bzw. Inszenierung der Schülerinnen“ (20) könne anhand erhaltener Fotoalben, die aus dem Archiv des Staatlichen Beruflichen Schulzentrums Miesbach, dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, der Bayerischen Staatsbibliothek und dem Stadtarchiv Miesbach kommen und als relativ seltene Ego-Dokumente dienen, nachvollzogen werden.

Der zweite Abschnitt befasst sich mit dem Entstehungskontext der in Bayern errichteten Schule und setzt auf übergeordneter Ebene sinnvollerweise 1895 ein, als Ida von Kortzfleisch, die aus Ostpreußen stammende Begründerin des ab 1913 als „Reifensteiner Verband“ firmierenden „Vereins für Wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande“ und der damit verbundenen Landfrauenschulen, das programmatische Heft „Der freiwillige Dienst in der Wirtschaftlichen Frauen-Hochschule“ zum Abdruck brachte. Das von Wohlfart in der Kapitelüberschrift genannte (Veröffentlichungs-)Jahr 1895 sucht der Leser beziehungsweise die Leserin im Text vergeblich, was zu Recht irritieren mag. Und bezogen auf die nachstehend ausgeführte Entwicklung im bayerischen Raum erscheint die Aussage, dass bei dem inhaltlichen Aufbau das preußische Königreich eine „gewisse Vorbildfunktion“ (22) innegehabt habe, als etwas (zu) schwach, da die aufgegriffenen Impulse vielmehr maßgeblich von Preußen ausgingen und lediglich lokal angepasst wurden. Nachdem 1896 in Hannover der Verband ins Leben gerufen worden war, formierte sich 1902 der Regionalverein in Bayern, der sogar „Aufmerksamkeit und Förderung durch Mitglieder des bayerischen Königshauses“ (34) erhielt.

Die konkrete Ausgestaltung von der bayerischen Vereinsgründung über den baldigen Ankauf der Gutsanlage Geiselgasteig mit der sich einige Jahre später anschließenden Standortverlegung nach Miesbach bis hin zum Beginn des Ersten Weltkriegs fokussiert der dritte Abschnitt. In der Überschrift hätte sowohl aus pragmatischen als auch aus inhaltlichen Gründen das Startjahr 1902 (statt 1903) ungleich besser gepasst – nicht zuletzt mit Bezug auf den Titel des Gesamtwerks, das (bewusst) den 1902 initiierten Verein und nicht die Schuleinweihung von 1903 herausstellt. Die Verfasserin spürt dem Erziehungsziel nach, das in der „Stärkung der Gesundheit sowie [der] Bildung des Charakters durch die Arbeit im Freien und in der Natur“ (38) bestanden habe. Wohlfart bettet die einzelnen Aspekte in den Gesamtzusammenhang der seinerzeitigen Frauen-, Gartenstadt- sowie Landerziehungsheimbewegung ein, wobei sie bei der Frauenbewegung der Akteurinnen wegen noch einmal genauer in (städtische) Haus- und (dörfliche) Landfrauen differenziert. Eine besondere Zuwendung erfahren danach die Schülerinnen, die als „Maiden“ bezeichnet wurden – verwiesen sei etwa auf Ida von Kortzfleisch und das 1910 ihrerseits vorgelegte „Maidenbuch“ – und deren großer Zuspruch im Jahre 1909 den Umzug nach Miesbach erforderlich machte. Die Schule sei in der Anfangszeit vor allem ein Lernort für junge Damen mit einer „verklärt-bürgerliche[n] Sicht auf die Natur und das Landleben“ (56) gewesen; dieser Umstand zeige sich auch in den Lehrplänen, da der Unterricht „stärker auf die klassischen bürgerlichen Tätigkeiten einer Hausfrau ausgerichtet war als auf die Kenntnisse einer Land- oder Gutsfrau“ (58). Wohlfart hebt als Ergebnis der ausgewerteten „Miesbacher Frauenschul-Zeitung“ sowie eines Fotoalbums für das zur Schau gestellte Frauenbild die Attribute „Aktivität, Pflichtbewusstsein, Sport, Freude an der Natur und an der Arbeit“ (67) hervor.

Der vierte Teil betrachtet die kurze, aber prägnante Phase des Ersten Weltkriegs, für deren Beurteilung die Verfasserin im Hinblick auf die Schule in Miesbach nach „Katalysator bzw. Umbruch“ (68) fragt. Während die Lehranstalt seit August 1914 zunächst für mehrere Monate den Betrieb eingestellt hatte, um als Lazarett und somit unmittelbar für militärische Zwecke genutzt werden zu können, fanden sich nach der Wiedereröffnung im Mai 1915 in der schuleigenen Zeitung wiederholt Beiträge, in denen unmissverständlich die „vaterländische Pflicht“ (69) angemahnt wurde. Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass es einerseits zu einer verstärkt agrarwirtschaftlichen Ausrichtung der Schule mit der bedeutenden Thematik der Selbstversorgung und andererseits aufgrund der erhöhten Nachfrage seitens potenzieller Schülerinnen zur Einrichtung einer zweiten „Wirtschaftlichen Frauenschule auf dem Lande“ in Bayern – namentlich in Rothenburg ob der Tauber – kam. Wohlfart gelangt schließlich zu dem Resultat, dass die Kriegsjahre von 1914 bis 1918 als „Katalysator bzw. als Verstärker bereits bestehender Entwicklung“ (76) wirkten. Die „Maiden“, für die ein Fotoalbum das Element der Gemeinschaft unterstreicht, hätten ihre „Arbeit als Dienst am Vaterland oder als Dienst an der Volkswirtschaft“ (79) verstanden; direkte Kriegseinwirkungen seien (nach 1915) vor Ort nicht in besonderem Maße wahrnehmbar gewesen.

Die Zeit der Weimarer Republik mit dem im Entstehen begriffenen Prozess einer „landwirtschaftliche[n] Professionalisierung“ (87), wie Wohlfart für die Schule in Miesbach konstatiert, wird im fünften Kapitel untersucht. Nach dem in vielerlei Hinsicht einschneidenden Ersten Weltkrieg waren (gut) ausgebildete Frauen nunmehr überall gefragte Arbeitskräfte. Und die Verfasserin ergänzt: „Der unbedingte Appell zur Tätigkeit war nicht mehr nur durch die Not des Vaterlandes, sondern auch durch die ‚Volksideeʻ bedingt, das heißt die Verantwortung der Frauen für die Wahrung des ‚Deutschtumsʻ.“ (90) Im Rahmen dieser deutschnationalen Orientierung nahmen an der Schule die „Prinzipien der Rationalisierung“ (93) und die „zunehmende Annäherung an die Landwirtschaft bzw. der Ausbau des landwirtschaftlich-hauswirtschaftlichen Netzwerks“ (95) eine exponierte Stellung ein. Die mithilfe zweier Fotoalben grafisch fassbaren „Maiden“ liefern Wohlfart zufolge für die späten 1920er und frühen 1930er Jahre das Bild sowohl der „tüchtigen, aktiven, arbeitsfreudigen Frauenschülerin“ (109) als auch des „nüchternen, sportlichen, unabhängigen ‚Girlsʻ“ (ebd.), was einen „neue[n] Typus der rationalen, aktiven, modernen ‚Neuen Land- oder Hausfrauʻ“ (ebd.) kennzeichne.

Mit den Jahren von 1933 bis 1939 und der Frage, welchen Einfluss der Nationalsozialismus auf die Schule in Miesbach hatte, beschäftigt sich der sechste Abschnitt, der auf institutioneller Ebene anschaulich von den finanziellen Herausforderungen und der letztlich durchgesetzten Verstaatlichung berichtet. Für die Landwirtschaft mit ihrem „besonderen ideologischen Wert“ (111) hätte, zumal bei der Nennung Richard Walther Darrés, ein Hinweis auf das von ihm herausgegebene Periodikum „Odal. Monatsschrift für Blut und Boden“ sowie auf dessen Publikationen, von denen das erstmals 1929 vorgelegte Werk „Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse“ herausgegriffen sei, und überhaupt ein kurzer quellenbasierter Abriss (anstelle der in den Anmerkungen sehr knapp gehaltenen Forschungsliteratur) sicherlich nicht geschadet. So könnte der von Wohlfart angesprochene „Kampf gegen die Landflucht“ beispielsweise mit dem 1939 von Max Simoneit im „Odal“-Magazin veröffentlichten Beitrag „Erhaltung des bäuerlichen Menschentums. Gedanken eines Wehrpsychologen zum Landfluchtproblem“ belegt werden. Für die „Maiden“ in Miesbach leitet die Verfasserin aus einem Fotoalbum das Bild der „rationalisierte[n], technikaffine[n] Haus- und Landfrau“ (126) und mehr noch der „brauchtumspflegenden Landfrau“ (ebd.) her, die dem „NS-Staat grundsätzlich positiv gegenüber[ge]standen und die soziokulturelle sowie ideologische Aufwertung des Haus- und Landfrauendaseins“ (127) willkommen geheißen habe.

Die Schlussbetrachtung fasst in drei Punkten die wesentlichen Erkenntnisse der Studie zusammen, wobei es sich um die bewahrte Eigenständigkeit der Akteurinnen, die fortgesetzte „geschlechtsspezifische Arbeitsteilung“ (130) und den relevanten Aspekt des Ländlichen (131) handelt, ehe die Anmerkungen als Endnotenapparat, die Quellen- und Literaturübersicht sowie das Orts- und Personenregister folgen.

Der Arbeit gelingt es, am Beispiel der anfangs in Geiselgasteig und später in Miesbach beheimateten „Wirtschaftlichen Frauenschule auf dem Lande“ die allgemeine Frauengeschichte mit den bedeutungsvollen Themenkomplexen der Bildungs- und Landwirtschaftshistorie zu verknüpfen, und sie zeigt überdies, dass Bilder unbedingt als (kritisch) einzuordnende Quellen mitberücksichtigt werden dürfen oder gar sollten. Wird etwa von den „weiblichen Studentinnen“ (9), einigen kleinen Schreibfehlern (so beispielsweise: „anschafft“ [74] statt „angeschafft“; „dass“ [103] statt „das“) und der Tatsache, dass der in Anmerkung 392 dargereichte Literaturtitel von 1997 nur schwerlich die Auflösung des „Reifensteiner Verbands“ im Jahre 2020 belegen kann, abgesehen, überzeugt die gefällige Studie inhaltlich und sprachlich. Der von Wohlfart geäußerte Wunsch nach weiteren und vor allem auch vergleichenden Regionalstudien – über Bayern hinaus – ist nach der anregenden Lektüre in jedem Falle berechtigt.