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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Peter Fassl/Corinna Malek (Hg.)

Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken

(Irseer Schriften. Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte, N.F. 15), Konstanz 2022, UVK, 431 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7398-3212-8


Rezensiert von Rainhard Riepertinger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 28.09.2023

Die Publikation präsentiert die Ergebnisse einer Tagung, die 2016 anlässlich des fünfhundertjährigen Jubiläums des Bayerischen Reinheitsgebots zu den Alltagsphänomenen Wirtshaus und Bier in der Schwabenakademie Irsee stattfand. Hintergrund war unter anderem, dass Schwaben in der Bayerischen Landesausstellung 2016 „Bier in Bayern“ im niederbayerischen Aldersbach nicht behandelt worden sei (15). Obwohl dies nicht zutrifft, so können in einem Tagungsband die Themenfelder Bier- und Wirtshauskultur sicherlich umfassender und regionalspezifischer dargestellt werden. Eine Aufarbeitung ist auch für Bayerisch-Schwaben wichtig, selbst wenn es hier keinen so ausgeprägten Identifikationsbezug zum Bier gibt wie in Altbayern oder Oberfranken. 16 Beträge widmen sich unterschiedlichen Aspekten aus den Themenbereichen „Bier, Wirtshaus und Gesellschaft“ (II), „Recht und Herrschaft“ (III) und „Regionale Bier- und Wirtschaftsgeschichte“ (IV). Nur drei Beträge gehen dezidiert auf Franken ein, was den Titel des Bandes hinsichtlich der regionalen Benennungen etwas konstruiert erscheinen lässt. Vor allem im Teil IV vermisst man eine fränkische Fallstudie. Jeder Beitrag verfügt über ein Literatur- und Quellenverzeichnis sowie einen Anmerkungsapparat. Abgerundet wird der Band durch ein Orts-, Personen- und Brauereiregister.

Peter Fassl eröffnet den Themenbereich II mit einem Überblick über die Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und betont die mit der herrschaftlichen Kleinräumigkeit verbundenen Schwierigkeiten. Zurecht merkt er an, eine Bier- und Wirtshausgeschichte von Bayerisch-Schwaben „ist erst noch zu schreiben“ (29). Er verweist auf Forschungsdesiderate und seine Skizze soll zu vertieften Forschungen anregen. Allerdings wirken seine Ausführungen etwas zusammenhanglos und gehen über eine bloße Aneinanderreihung von Fakten manchmal nicht hinaus. Marita Krauss richtet den Blick in ihrem lesenswerten Beitrag „Vom Sozialen Trinken zum einsamen Alkoholiker“ auf die ambivalente Rolle des Rausches in unserer Kultur von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Dabei schildert sie eindringlich den Rahmen des Trinkens in Deutschland, geht auf obrigkeitliche Maßhaltegebote, gemeinschaftliche Berauschung und den Wandel der Konsumpraktiken ein. Sie schließt mit den Worten: „Ermahnungen helfen im 21. Jahrhundert ebenso wenig wie im 16. und 17. Jahrhundert.“ (75) Der Beitrag von Felix Guffler rückt die schwäbischen Physikatsberichte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und deren Aussagen zum Bier in den Fokus. Bier war auch dort ein überaus beliebtes Getränk, wobei offenbar konfessionelle Unterschiede beim Bierkonsum festzustellen sind. Über den bekanntermaßen unterschiedlich zu bewertenden Quellenbestand skizziert der Autor ein Bild des Bierkonsums in Schwaben. Ein eher vernachlässigtes Thema greift Günter Dippold in „Wirtshaus und Verkehrswege“ auf: „Weit mehr als Kirche und Wirtshaus aber gehören Straße und Wirtshaus zusammen.“ (101) Er geht auf die Standorte der Wirtshäuser ein, auf die Wasserstraßen oder die Folgen des Eisenbahnbaus. Letzteres spiegelt sich sowohl im Niedergang von Wirtshäusern als auch im Aufstieg des Typs der Bahnhofsgaststätte. Sein Fazit mag – wie der Autor selbst sagt – wenig überraschend sein: „Neuerungen im Verkehrswesen führten zu Wandlungen bei Wirtshäusern.“ (113) Dennoch ist es verdienstvoll, diesen weiterführenden, relevanten Aspekt aufgegriffen zu haben. In dem knappen Beitrag zum Bierkonsum in Schwaben stellt Felix Guffler die Ergebnisse einer Umfrage des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde aus den Jahren 1908/1909 vor. Die Antworten aus 107 in Schwaben gelegenen Ortschaften beleuchten Alltagskultur, Bräuche oder Trinkgewohnheiten. Ein fränkisches Thema behandelt Birgit Speckle mit „Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 am Beispiel von Unterfranken“. Als ausgewiesene Expertin geht sie anhand der Sachkultur sowie der Bedeutung für Personal und Gäste kenntnisreich auf die nicht selten mythenhaft verklärten Dorfwirtshäuser der 1950er und 1960er Jahre ein. Sie erläutert eine Art Prototyp des Gasthauses und beschreibt Einrichtungstypik sowie soziales Leben im Wirtshaus. Abschließend führt sie Möglichkeiten der Forschung auf, die dazu beitragen können, nicht nur melancholisch-verklärt aufs Wirtshaus zu schauen. „Dann kann dem Klischee der heilen Welt des Dorfwirtshauses ein ein [sic] der Realität näheres Kontra entgegengesetzt werden.“ (149)

Der dritte Themenbereich „Recht und Herrschaft“ wird eröffnet mit einem Beitrag von Wilhelm Liebhart. Der Autor umreißt die Entwicklungsgeschichte des bayerischen Reinheitsgebots von 1516, das am 24. (nicht 23.) April 1516 verabschiedet worden war, wie richtig angemerkt wird. Eingegangen wird auch auf diverse Vorläufer in einigen Städten wie Bamberg und München oder dem Teilherzogtum Bayern-Landshut. Es endet mit der Landesordnung von 1616 und den darin enthaltenen Relativierungen des Reinheitsgebots, die den Mythos einer durchgängigen Gültigkeit widerlegen (161). In „Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit“ zeigt Alois Koch die Verschiedenartigkeit der diversen Braurechte auf, die sich aus der Herrschaftszersplitterung erklären. Vergleichend berücksichtigt werden zwar auch Altbayern und Nürnberg, im Mittelpunkt stehen aber die schwäbischen Reichsstädte, das Hochstift Augsburg, das Fürststift Kempten und andere Herrschaften der Region. Eine hochinteressante Fallstudie eines Bierkonflikts zwischen der Stadt Ebermannstadt und dem Dorf Pretzfeld im heutigen Oberfranken schildert Thomas J. Hagen in  „Der Krieg ums Bier“. Dieser vieljährige Konflikt, hinter dem nicht zuletzt wirtschaftliche Motive standen, mündete sogar in bewaffnete Auseinandersetzungen mit hohem Gewaltpotenzial. Dass dies keine absolute Ausnahme war, belegt der Autor durch Vergleichsfälle. Ins frühe 20. Jahrhundert führt der Beitrag „Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg in Bayern und Bayerisch-Schwaben“ von Corinna Malek, eine bisher wenig untersuchte Thematik. Die Autorin nimmt eine Bewertung der Auswirkungen des Kriegs auf das bayerische Brauwesen vor und liefert somit einen wichtigen Baustein für die landesgeschichtliche Forschung über die Kriegswirtschaft 1914 bis 1918. Detailreich beschreibt sie Zuständigkeiten, Verwaltungsabläufe, Qualitätseinbußen beim Bier und Mangelwirtschaft und zeigt die Bedeutung der Geschäftsbeziehungen der Brauereien zum Militär auf. Eines ihrer Resümees lautet, dass „der Erste Weltkrieg auch für den bayerischen Brausektor als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann“ (233).

Der vierte Themenbereich „Regionale Bier- und Wirtshausgeschichte“ beinhaltet regional- beziehungsweise lokalhistorische Fragestellungen. Hermann Bienen nimmt in  „Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben bis zur Industrialisierung des Brauwesens“ die gesamte Region in den Blick. Angesprochen werden Aspekte wie die Rolle von Klöstern und Wirtshäusern, Brautechnologie, verschiedene Biersorten und anderes mehr. Es folgen vier lokalgeschichtliche Darstellungen zum Brauwesen. Christian Schedler behandelt Mindelheim unter erstmaliger Auswertung von Quellen im dortigen Stadtarchiv. Auch auf eine Art „Mindelheimer Reinheitsgebot“ (299) aus dem Jahr 1590 oder auf den dortigen Hopfenanbau in großem Stil im 19. Jahrhundert kann der Autor in seiner quellennahen Studie verweisen. Franz-Rasso Böck widmet sich dem Braugewerbe von Stadt und Stift Kempten unter Hinweis auf die dortige Doppelherrschaft. Seine Erläuterungen führen zurück bis ins Mittelalter – unter anderem mit der These: „Womöglich war das Allgäu früher als die Hallertau ältestes deutsches Hopfenzentrum.“ (314) Corinna Malek wendet sich in zwei stadtgeschichtlichen Beiträgen erneut dem Ersten Weltkrieg zu. Sie will verdeutlichen, wie sich die Bierbewirtschaftung in Kempten und Kaufbeuren 1914 bis 1918 entwickelte. Dabei geraten bei den Ausführungen zu Kempten die vier Kriegsjahre etwas aus dem Blick, was auch der dünnen Quellenlage geschuldet sein mag, auf die die Autorin verweist (337). Näher am Thema bleibt Malek in ihrem Beitrag über Kaufbeuren, wo die Brauwirtschaft relativ unbeschadet durch den Krieg kam, wie die dargelegten Firmengeschichten verdeutlichen. Vereinzelt konnten die Brauereien sogar vom Krieg profitieren (383–384). Die Biergeschichte eines kleineren Orts stellt Felix Guffler in „Bierbrauen auf dem Land. Die Entwicklung der Brauereien in Zusmarshausen und ihre lokale Bedeutung“ vor. In dem kleinen Ort westlich von Augsburg waren die Verhältnisse im Brauwesen über Jahrhunderte stabil. Der Autor führt zeitlich bis ins 20. Jahrhundert, als die meisten dortigen Brauereien ihre Produktion einstellen mussten. Damit folgte das ländliche Brauwesen der allgemeinen Entwicklung in Bayerisch-Schwaben: „Die in den Städten bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts sich abzeichnenden Konzentrationsprozesse schlugen aufgrund der kleindimensionierten ländlichen Strukturen erst verzögert, dann jedoch massiv durch.“ (410) Die Ausführungen von Guffler belegen einmal mehr die in der Forschung oft unterschätzte Bedeutung von mikrohistorischen Studien.

Alles in allem bietet der Tagungsband „Bier- und Wirtshauskultur“ aufschlussreiche Einblicke in die facettenreiche Geschichte des Brauwesens vor allem in Bayerisch-Schwaben. Dass es zu einigen Redundanzen gekommen ist, dürfte sich bei einer Aufsatzsammlung, die aus einer Tagung erwachsen ist, kaum vermeiden lassen. Wer sich für die Biergeschichte dieser Region interessiert, der findet hier viele Details und etliche Anregungen für weiterführende Forschungen. Letzteres gilt auch für all jene, die sich mit der Geschichte des Biers insgesamt oder an Orten außerhalb von Bayerisch-Schwaben befassen.