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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Landesgemeinschaft der Krippenfreunde in Rheinland und Westfalen e. V. (Hg.)

Die Weihnachtskrippe. 66. Jahrbuch 2022

Münster 2022, Waxmann, 128 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8309-4653-3


Rezensiert von Thomas Schwarz
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 28.09.2023

Auf insgesamt 128 Seiten werden in elf Aufsätzen und zwei kürzeren Beiträgen Weihnachtskrippen in ihren unterschiedlichen Dimensionen unter die Lupe genommen. Die relativ kleine Schrifttype und die vorhandene Informationsfülle werden durch die reiche Bebilderung harmonisiert. Das Werk wird mit drei Rezensionen zu Themen der religiösen Kultur abgerundet.

Der Sammelband verzichtet auf langatmige theologische oder geschichtliche Erläuterungen und ist in einem gut lesbaren, stets aufs Neue Interesse weckenden Stil geschrieben. Das Werk findet stattdessen eine passende Balance zwischen den historischen, theologischen, kunsthandwerklichen und menschlichen Dimensionen der Krippe. Die Weihnachtskrippe steht als gegenständliches Kulturzeugnis, das in unterschiedlichen Kontexten jeweils unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt, im Mittelpunkt: Trost spenden, Menschen begeistern, ein finanzielles Einkommen sichern und Frömmigkeit erzeugen sind nur ein paar Beispiele in einem Kaleidoskop an Funktionen, die Krippen erfüllen.

Die Herausgeberschaft führt die Leserinnen und Leser vom Mikrokosmos des zerstörten Ahrtals über den nationalen Rahmen der Bundesrepublik Deutschland in den Makrokosmos der Jesuitenmission in Asien (100–106). Gleichzeitig wird eine optimistische Tendenz deutlich, die sich von Vernichtung hin zu weltweiter Begeisterung für Krippen und den christlichen Glauben entwickelt. Den Abschluss des Hauptteils bildet der Aufsatz von Helmut Groschwitz, der die Krippenkultur von Marktredwitz als immaterielles Kulturerbe beleuchtet. Im Sammelband kommt also die Bedeutung der Krippe sowohl im regionalen als auch internationalen Rahmen sehr schön zur Geltung.

Es zeigt sich aber auch die alltagskulturelle Relevanz der Krippe, sei es bei partizipativen Ansätzen wie der Mitgestaltung zweier Krippen durch Passantinnen und Passanten beziehungsweise Schülerinnen und Schüler (21–25; 121) oder aber bei der Verknüpfung einer Krippe mit deutsch-deutscher Transitionsgeschichte mit der Familiengeschichte ihrer Besitzerinnen und Besitzer (56–61). Es werden am Beispiel der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 die Schicksale der dort stehenden Krippen mit denen seiner Bewohnerinnen und Bewohner verbunden, die ihr Leid wiederum kreativ in der Krippenkunst verarbeiten (18–19). Die Krippe wird insgesamt als ein sozialer Knotenpunkt beschrieben, der Menschen unterschiedlichster Herkunft verbindet. Dass die Autorinnen und Autoren sowie die in den Aufsätzen beschriebenen Akteurinnen und Akteure christlich motiviert handeln, wird immer wieder deutlich (23, 26). Diese müssen von ihrem Einsatz für die Krippenkultur begeistert sein, um ein solches Werk auf die Beine zu stellen, auch wenn dabei vereinzelt die Objektivität zurücktritt – zum Beispiel, wenn von den „(Irr-)Lehren des Arius“ (96) die Rede ist. Zudem findet eine Solidarisierung von Katholiken und Protestanten statt (19), wobei auch – wie im Falle der Kölner Veedelskrippe – Brücken zu denjenigen, die nicht kirchlich engagiert sind, geschlagen werden (24).

Die Autorinnen und Autoren porträtieren die Krippe jedoch keinesfalls als statisch – im Gegenteil: Der dynamische Charakter der Weihnachtskrippe wird beispielsweise an den Heiligen Drei Königen in der Pfarrkirche St. Briktius in Malborn offenkundig. In der Gestalt von Kaiser Konstantin, Kopernikus und Kiwanuka – dem ersten afrikanischen Bischof – stellen sie jeweils Wendepunkte in der Kirchengeschichte dar und betten die Krippe damit in den stets aktuellen Diskurs im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Politik, Naturwissenschaft und verschiedenen ethnischen Gruppen ein (96–98). Somit ist die Krippe in ihrer Anpassungsfähigkeit eine Konstante im Leben der Christinnen und Christen und ein Ort, an dem gesellschaftlich relevante Themen ausgedrückt und verhandelt werden können. Doch auch die technische Entwicklung macht vor der Krippe nicht halt. Um zeitgemäß und auch für die jüngere Generation interessant zu bleiben beziehungsweise zu werden, gibt es im Egerlandmuseum in Marktredwitz seit 2021 die „virtuelle Landschaftskrippe“, die den Besucherinnen und Besuchern mithilfe einer VR-Brille einen neuen, intensiven Zugang zu den Krippenfiguren und -szenerien ermöglicht (114).

Alles in allem eröffnet das Jahrbuch in seiner Vielseitigkeit neue Perspektiven auf die Sachkulturforschung. Es handelt sich bei dem vorliegenden Sammelband um eine Lektüre sowohl für Krippenfreunde als auch für Kunstinteressierte, aber auch für Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler, die sich verstärkt mit materieller Kultur auseinandersetzen.