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Steffen Damm/Lukas Drevenstedt

Clubkultur. Dimensionen eines urbanen Phänomens

Frankfurt am Main 2020, Campus, 158 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-593-51176-4


Rezensiert von Anja Schwanhäußer
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.09.2023

Die Clubkultur und die dazugehörige Szene sind ein „Markenzeichen Berlins“ (14), so eine der zentralen Thesen dieser Studie zu Geschichte und Gegenwart der lokalen Clubkultur. Sie ordnet sich damit ein in eine Reihe anderer Publikationen der vergangenen zwei Dekaden zu den Verflechtungen von Subkultur, Szene und Stadt. Den Anfang machte der in Deutschland kaum rezipierte soziologische Essay Alan Blums zu „Scenes“. Seitdem sind unter dem Signum „Sound und Stadt“ mehrere Stadt-Studien entstanden, unter anderem über Liverpool (Sara Cohen), Marseille (Daniel Tödt) und Berlin (Anja Schwanhäußer). Darüber hinaus gibt es eine Reihe popwissenschaftlicher Texte zu diesem Thema. Obwohl es in Feuilletons und auf Blogs geradezu Mode geworden ist, über Szenen im Kontext von Stadt nachzudenken (und umgekehrt über Stadt im Kontext von Szenen), bleibt die Zahl empirischer Arbeiten jedoch überschaubar.

Besonders bemerkenswert an dieser aktuellen Studie zur Berliner Clubkultur ist ihr Entstehungskontext. Sie ist innerhalb der zwei Jahre 2018 und 2019, also in sehr kurzer Zeit, entstanden, und zwar nicht an der Universität; vielmehr wurde sie vom Marktforschungsinstitut Goldmedia durchgeführt und durch einen Text von Steffen Damm erweitert. Auftraggeber dieses vom Berliner Senat geförderten Projekts ist der Verband Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter („Clubcommission“) mit dem damaligen Geschäftsführer Lukas Drevenstedt. Das Buch richtet sich neben Forschenden aus den Sozial- und Kulturwissenschaften auch und in erster Linie an die Clubszene selbst, außerdem an Politik, Verwaltung und Medien sowie an eine nicht weiter definierte Personengruppe, die mit dem betriebswirtschaftlichen Begriff „Stakeholder“ (9) belegt wird. Das heißt, es geht weniger um Erkenntnisse im streng wissenschaftlichen Sinn, sondern mehr um „representation politics“. Die Berliner Szene und ihr Beitrag zur Stadtkultur soll auf der politischen Bühne noch wahrnehmbarer werden. Ein zentrales Argument der Studie ist denn auch in diesem Kontext zu sehen: Clubkultur ist nicht einfach nur ein Teilbereich der Musikwirtschaft, also nicht einfach eine Abspielstation für Musik, sondern eine eigenständige Größe innerhalb der Stadtkultur.

Die Untersuchung versteht sich als Aktualisierung und Weiterführung der „Studie über das wirtschaftliche Potenzial der Club- und Veranstalterbranche in Berlin“ von 2007. Ging es damals noch lediglich um die ökonomische Bedeutung von Clubs im engen Sinn (Umsatz, Zahl der Beschäftigten etc.), so ist inzwischen durch den Publizisten Richard Landry die Rede von der „Creative City“ auch in der Stadtpolitik angekommen und findet entsprechend Eingang in die Studie. Mehr noch: Mit dem Kultursenator Klaus Lederer, der den Club nicht als Wirtschaftsfaktor, sondern als kulturellen Ort begreift – seit November 2020 gelten in Berlin die Clubs verwaltungstechnisch als Kulturstätten, vergleichbar mit Theatern und Opernhäusern – rücken die symbolischen Formen des Partyfeierns und seine sozialen und ästhetischen Dimensionen in den Mittelpunkt.

In ihrem Ton oszilliert die Untersuchung zwischen Wirtschaftsbericht, kulturhistorischem Essay und einer Ronald-Hitzler-artigen Soziologie. Im ersten Teil wird die „Ausgangslage“ (15) geschildert, wobei auf verschiedene statistische Quellen zurückgegriffen wird, um die Berliner Clubs in ihrer Anzahl, ihrer Vielfalt, ihrer Verbreitung über den Stadtraum und ihrem wirtschaftlichen Potenzial zu erfassen. Im zweiten Teil, „Was ist ein Club?“ (20), wird unter Bezugnahme auf bereits bestehende Clubkultur-Analysen dargestellt, warum es zu kurz greift, die Clubkultur lediglich als Bestandteil der Musikwirtschaft zu interpretieren. Der dritte Teil liefert einen Überblick über „Die Berliner Clubkultur von den 1960er Jahren bis zur Gegenwart“ (38). Der vierte Teil entwickelt ein Modell der „Clubkultur als kultureller Formation“ (85).

Die Leistung der Studie ist es, Stadtkultur und Stadtgeschichte von einem symbolischen Ort aus, dem Club, zu beschreiben. Sie liefert eine Fülle statistischer Zahlen, die den Club als ökonomischen Faktor und als Landmarke im Stadtbild greifbar machen. Sie präsentiert Ergebnisse einer Umfrage unter Berliner Clubbetreibenden zu ihrem Selbstverständnis, ihrem Programm, ihrer Größe etc. Und sie trägt informelles Wissen zur Berliner Clubgeschichte zusammen, das deutlich macht, dass Clubgeschichte auch Stadtgeschichte ist. In der historischen Skizze öffnen sich zu allen zeitlichen Abschnitten erhellende Bezüge: Ob es um den Sonderstatus Westberlins geht, den Mythos Kreuzberg, die DDR Bohèmekultur, den Mauerfall oder den Aufstieg der Stadt zu einem „Mekka“ der internationalen Partyszene. Fraglich ist, ob diese kleine Kulturgeschichte tatsächlich am besten über die Clubs aufschließbar ist oder nicht zum Beispiel über die Straßenfestivals, Paraden, Open Airs, den Sound der Stadt oder die Alternativkultur. Diese Auseinandersetzung wird übergangen. Was außerdem weitestgehend fehlt, sind Clubs außerhalb der üblichen Berlin-„Bubble“. Verschiedene Communities haben oft ihre speziellen Clubs, zum Beispiel die türkische, russische, vietnamesische, afrikanisch-karibische Gemeinschaft. Es fehlen außerdem die mit den Szene-Clubs eng verwandten Treffpunkte wie Jugendzentren oder Kneipen. Gewinnbringend ist in jedem Fall, dass hier Stadt gestalthaft, das heißt, in Bezug auf einen Ort, ein Medium, ein Objekt, in Erscheinung tritt.

Damit liefert diese Studie außerdem eine praktische Bestimmung des Begriffs des „Clubs“: Er ist ein Ort, der zeithistorische Entwicklungen reflektiert und das „imago“ der Stadt verkörpert. Und er zeichnet sich dadurch aus, dass er mit einer bestimmten Szene oder Community verbunden und nicht einfach ein Ereignis mit beliebigem Publikum ist. Das dreiteilige Modell, das die Autoren darüber hinaus noch zusätzlich entwickeln, in dem der Club als Einheit mit ökonomischer, sozialer und ästhetischer Dimension aufgefächert wird, bleibt etwas schematisch. Auch werden die klassischen Arbeiten der britischen Cultural Studies zu Subkultur und Subversion weitestgehend ignoriert. Und Queerness und LGTBQ werden nur indirekt adressiert. Die Analyse des Clubs als Kristallisationspunkt von Stadtgeschichte und als Katalysator urbaner Szenen überzeugt aber.

Durch ihren Entstehungskontext reflektiert die Publikation nicht nur einen wichtigen Teil Berliner Stadtkultur und -geschichte, sie ist auch selbst Resultat dieser Kultur. Sie basiert auf intensiven, internen Diskussionen mit Akteurinnen und Akteuren der „Clubcommission“ und des Archivs der Jugendkulturen. Das heißt, die Studie greift auf zwei Institutionen zurück, die selbst aus der besonderen Berliner Stadt- und Clubkulturgeschichte hervorgegangen sind. Der ins Feld geführte Begriff der „Kollaboration“ (7) ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen – damit beschreibt der Journalist und Migrationsforscher Mark Terkessidis eine mit der historischen Protestkultur verflochtene Form der Kooperation, bei der viele Stimmen gehört werden und unterschiedliche Personen zusammenarbeiten –, wohingegen hier die singuläre Autorschaft klar gekennzeichnet ist. In jedem Fall profitiert die Studie aber von den Reflexionen der Berliner Szene über sich selbst. Sie liefert nicht nur einen praktischen, kulturwissenschaftlich informierten Überblick über die Berliner Clubkultur, sondern ist zudem ein beachtliches zeithistorisches Dokument.