Aktuelle Rezensionen
Rainer Loose (Hg.)
Hezilo und die Freien von Tschengls. Von Kanzlern, rätischen Urkunden, Freien im Vintschgau und einer adeligen Grablege
(Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 49), Innsbruck 2021, Wagner, 228 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Felix Schulz
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 26.09.2023
Bislang von der Forschung kaum beachtet, stellt die aus dem Vintschgauer Niederadel stammende Familie der Herren von Tschengls (erste urkundliche Erwähnung 1149, Aussterben im Mannesstamm 1421/22) den Untersuchungsgegenstand des vorliegenden Sammelbandes dar, der nach langjähriger Arbeit 2021 erschienen ist und aus drei Beiträgen von Rainer Loose, David Fliri und Leo Andergassen besteht. Jeder der drei Beiträge umfasst ein eigenes Quellen-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis, der Beitrag von Loose beinhaltet zudem eine Zeittafel (S. 97), welche allerdings bereits Anfang des 14. Jahrhunderts endet. Abschließend wird dem Leser der Zugriff durch ein Orts- und Personenregister sowie eine extra beigefügte Stammtafel erleichtert. Aufgrund der klaren Dreiteilung des Bandes sollen die drei Beiträge getrennt voneinander vorgestellt werden.
Zu Beginn versucht Rainer Loose, die Geschichte der Herren von Tschengls zu erfassen und somit „einen Beitrag zur Geschichte noch wenig erforschter niederadeliger Familien des Vintschgaus und des mittleren Alpenraums zu leisten“ (S. 13), wobei gleich zu Beginn deutlich gemacht wird, dass der Begriff „Herren“ nicht im Sinne einer Standeszugehörigkeit, sondern ausschließlich im Sinne von Herrschaftsausübung über Land und Leute zu verstehen sei (S. 9). Korrekterweise wird jedoch die äußerst problematische Quellenlage betont und unumwunden deutlich gemacht, dass „Manches Hypothese bleiben muss“ (S. 13).
Dennoch gelingt es dem Autor, hauptsächlich auf Basis diplomatischer Quellen die Grundzüge der Geschichte der Herren von Tschengls zu rekonstruieren und eine ältere (in Anlehnung an die prominentesten Vertreter auch „Hezilonen“ genannt) und eine jüngere Linie (Ministeriale und somit Angehörige des Ritter- oder Niederadels in nachmeinhardinischer Zeit) zu unterscheiden. Beide Linien traten vor allem als Inhaber des Kanzleramts in Erscheinung und waren somit für die Verschriftlichung von Rechtsfällen und die Einhaltung der Rechtsbräuche verantwortlich, weshalb sie im Vintschgau durchaus eine hervorgehobene Stellung innehatten, auch wenn das Kanzleramt im Verlauf des Spätmittelalters aufgrund des aufblühenden Notariatswesens zunehmend an Bedeutung verlor. Auf Basis wichtiger Dokumente wie der Erbteilungsurkunde von 1430 versucht der Autor, den Besitz der Familie näher zu bestimmen (S. 32-44). Kurze topographische Beschreibungen der erhaltenen und nicht erhaltenen Burgen und Türme aus ihrem Besitz (S. 44–52) sowie Überlegungen zur „memoria“ (S. 52–60) schließen sich an, wobei auch die St. Johanneskapelle in Prad berücksichtigt wird, die als Grablege der Familie diente. Hiervon zeugt eine Grabplatte aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, auf der noch Wappen und Helmzier zu erkennen sind und die „von Größe und Ruhm der Herren von Tschengls Kunde gibt“ (S. 59). Zuletzt wird versucht, eine Genealogie beider Linien zu erstellen (S. 60–85). In diesem Zusammenhang wäre es überlegenswert gewesen, diese an den Beginn des Beitrags zu stellen.
David Fliri zeichnet in seinem knappen Beitrag das Leben der Anna von Eschenloch († 1396) nach, der Ehefrau Hilprands von Tschengls († 1378/79) und Mutter Sigmunds von Tschengls († 1421/22). Außerordentlich gewinnbringend für die künftige Forschung ist Fliris anschließende Edition von 17 ausgewählten Urkunden, beginnend 1286 und endend 1421, in denen „Mitglieder der Adelsfamilie von Tschengls als Aussteller und/oder Empfänger bzw. als Vertragspartner fungierten“ (S. 105).
Abschließend stellt Leo Andergassen die Begräbniskirche der Herren von Tschengls, St. Johann in Prad, vor und bietet eine ausführliche Einordnung und Interpretation der spätromanischen und gotischen Wandmalereien, die durch zahlreiche Bildtafeln veranschaulicht werden. Dabei bringt der Autor die Ausmalungen mit der Stifterfamilie in Verbindung, einzelne Bildprogramme wie etwa der auf der Triumphbogenwand dargestellte Kult der Vierundzwanzig Ältesten der Apokalypse scheinen „individuell auf die Bedürfnisse einer Stiftermemoria abgestimmt“ (S. 151). Obwohl im Text die Verweise auf die Nummern der beigefügten Bildtafeln fehlen und so das Auffinden der jeweiligen Abbildung etwas umständlich ist, werden die Besonderheiten der Malereien in der Kirche sehr gut deutlich, auch im Vergleich zu anderen Kirchen im (Süd-)tiroler Raum.
Insgesamt ist das Vorhaben des Herausgebers und der beiden weiteren Autoren eindrucksvoll gelungen: Für jede künftige Beschäftigung mit den Herren von Tschengls stellt der Band ein unverzichtbares Referenzwerk dar. Der Band erfüllt zudem insofern ein Desiderat, als dass er einen Versuch unternimmt, jenen Stand der „Freien“ („homo liber“, „liberi“) näher zu charakterisieren (S. 25–32), der in Zeugenreihen wiederholt in Erscheinung tritt und deren Angehörige den früheren Sozialstatus als niederadliges Prädikat im Namen tragen. Die Freien waren ein „soziologisches Merkmal der alten Grafschaft Vintschgau“ (S. 25) und stellten „eine starke soziale Komponente der ländlichen Bevölkerungsstruktur“ dar (S. 27). In Anlehnung an die Forschungen von Otto Stolz (Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden, Bd. 4: Die Ausbreitung des Deutschtums im Vintschgau und im Eisacktal und Pustertal, München/Berlin 1934, 76–85; Ders., Bauer und Landesfürst in Tirol und Vorarlberg, in: Theodor Mayer (Hg.), Adel und Bauern im deutschen Staat des Mittelalters, Leipzig 1943, 170–212, hier 174–177) sind als zentrale Merkmale dieses Standes die Unabhängigkeit von grundherrschaftlichen Verpflichtungen, die Unteilbarkeit des freien Grundbesitzes sowie die Rechtsmündigkeit anzusehen; personenrechtliche Bindungen und Pflichten (Freiendienst) bestanden jedoch weiterhin. Herkunft und Verbreitung dieses speziell in der Grafschaft Tirol verbreiteten sozialen Elements harren jedoch weiterer Untersuchungen (S. 32).
Trotz aller Verdienste muss dennoch auf die Grenzen verwiesen werden, an die der Band ob der schwierigen Quellenlage stößt: Eine größere zusammenhängende Darstellung ist nicht möglich, nur bruchstückhaft können einzelne Begebenheiten schlaglichtartig erhellt werden. Auch die sich an die genealogische Untersuchung anlehnende beigefügte Stammtafel ist mit vielen Fragezeichen versehen und beruht zu weiten Teilen auf (wenn auch gut begründeten) Hypothesen und Mutmaßungen (vgl. S. 30: „Bestenfalls sind prosopographische Skizzen möglich, oft aber auch nicht einmal dies.“). Als Sinnbild für Chancen und Grenzen des gesamten Bandes kann das Stifterbild in der Grablege der Herren von Tschengls in St. Johann in Prad dienen (S. 159). Obwohl stark beschädigt, lohnt es sich, die erhaltenen Elemente zu betrachten und durch begründete Schlussfolgerungen zu versuchen, eine ungefähre Vorstellung vom ursprünglichen Aussehen des Bildes zu erhalten.
So kann der Band als Ermutigung angesehen werden, entsprechende Studien zu anderen Geschlechtern nicht nur für Tirol, sondern auch für den süddeutschen Raum anzustreben.