Aktuelle Rezensionen
Peter Geiß/Peter Arnold Heuser/Michael Rohrschneider (Hg.)
Christen und Muslime in Mittelalter und Frühneuzeit. Ein Schlüsselthema des Geschichtsunterrichts im transepochalen Fokus
(Wissenschaft und Lehrerbildung 7), Göttingen 2022, Vandenhoeck & Ruprecht, 284 Seiten
Rezensiert von Maria Teresa Börner
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 18.10.2023
In Hinblick auf die Herausforderungen um den Ost-West-Konflikt und die zunehmende Migrationsbewegung fordert der nordrhein-westfälische Kernlehrplan, Geschichte für die Sekundarstufe 2 Gymnasium/Gesamtschule das Thema „Islamische Welt – christliche Welt. Begegnung zweier Kulturen in Mittelalter und Früher Neuzeit“ zu bearbeiten. Dies wird im vorliegenden Sammelband in elf Beiträgen aufgearbeitet. Dazu wurde von der Abteilung für Didaktik der Geschichte des Instituts für Geschichtswissenschaft, dem Zentrum für Historische Friedensforschung und dem Institut für Orient- und Asienwissenschaft (Islamwissenschaft) der Universität Bonn am 16./17. November 2017 im Haus der Geschichte Bonn eine Tagung veranstaltet. Der Band richtet sich vornehmlich an die Lehrkräfte der Sekundarstufe II, da das Thema für Lehrer sprachlich schwierig zu durchdringen und schlecht überschaubar ist. Der Tagungsband soll eine Handreichung für den Geschichtsunterricht bieten.
Der Band ordnet seine elf Beiträge – mit jeweils einem Quellen- und Literaturverzeichnis am Ende – drei Teilen zu, die interdisziplinär aus Geschichtswissenschaft, Didaktik der Geschichte und Islamwissenschaft erarbeitet wurden: Teil I führt zum Thema hin und lotet die konzeptionelle Gestaltung von Geschichtsunterricht aus, Teil II thematisiert Kulturbegegnung und Kulturtransfer im Mittelalter. „Christen und Muslime. Kontakte und Konflikte in der Frühen Neuzeit“ – unter diesem Aspekt stehen die Beiträge im Teil III des Bands.
Im ersten Beitrag untersucht Stephan Conermann in „Islam und Christentum – ein schwieriges Verhältnis“ (S. 23–47) die Entwicklung der Islam-Wahrnehmungen im Spiegel der großen Zeitepochen. Im 13. Jahrhundert begann die Auseinandersetzung mit dem Islam als kriegerischer Bewegung gegen die Christen, weniger als religiöses System. Erst mit dem Einfall der Mongolen in Europa wurde der Islam stärker als Geisteshaltung wahrgenommen. Da er Gemeinsamkeiten mit der christlichen Religion aufwies und diese auch als solche erkannt wurden, setzte eine intensive Beschäftigung mit ihm auf wissenschaftlich-gelehrter Ebene ein. Mit dem Vordringen der Osmanen nach Europa wurde der Islam zur Bedrohung. Mit der Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Indien erweiterte sich das europäische Weltbild, was die Bedrohungsempfindung gegenüber dem Islam wiederum relativierte. Infolge der Aufklärung wurde der Orient wieder vom religiösen Aspekt getrennt betrachtet; erst die Anschläge vom 11. September 2001 auf die USA rückten den Islam als Religion erneut ins Bewusstsein und führten zur Betonung der europäischen Identität, die sich an einer jüdisch-lateinisch-christlichen Leitkultur orientiert.
Peter Geiss eröffnet seinen Beitrag „Das Thema Religion im Geschichtsunterricht – fachspezifische Fragen und Zugänge“ (S. 49–76) mit der Eroberung Jerusalems im Jahr 1099 und dem Massaker an der nichtchristlichen Bevölkerung in der Darstellung des Kanzlers des christlichen Königreiches, Wilhelm von Tyrus. Er beschreibt dessen Bericht als mögliche Blaupause für die Verwendung von zeitgenössischen Quellen des Mittelalters im Geschichtsunterricht: Der mittelalterliche Autor rechtfertigt das Massaker mit der Leidensgeschichte Jesu. Geiss plädiert daher dafür, kritisches Bewusstsein im Umgang mit Zeitzeugenberichten und deren Inhalten, insbesondere gegenüber jeder Begründung von Gewalt durch religiöse Motive, zu fördern. An diesem Punkt wäre eine scharfe Trennlinie zwischen Religions- und Geschichtsunterricht zu ziehen, was jedoch das Dilemma der Trennung zwischen säkularer und religiöser Sphäre mit sich bringt. Nicht zuletzt zeigt sich hier die Ambivalenz von Religion: Menschlichkeit und Massaker sind gleichermaßen möglich. Die Trennung beider Fächer ist für Geiss einerseits immanent, denn Religionsunterricht basiert immer auf Bekenntnis; der Geschichtsunterricht andererseits kann sich religiöses Wissen bei der Interpretation von Quellen zu Nutze machen. Eine zu strikte Abgrenzung zwischen Religiösem und Staatlichem führe indes zu einer Verengung des Interpretationsspielraumes, aus religiöser Unkenntnis heraus kann kein adäquates Verständnis historischer Vorgänge erfolgen. Die Trennung von religiöser und säkularer Sphäre postuliert zudem die Unterscheidung zwischen säkularem Okzident und theokratischem Orient. Dies führe, wie auch im Lehrplan manifestiert, zu einer Verengung auf zwei Kulturen und zwei Lebenswelten. Im Mittelalter war die Frage nach der Trennung von Weltlichem und Kirchlichem virulent, allerdings stand im Mittelalter die Herrschaft, und nicht der Staat im Vordergrund. Menschlichkeit und Gewaltexzesse scheinen in Bezug auf Religiosität widersprüchlich, insbesondere im Geschichtsunterricht wird das deutlich. Der Ausweg im Unterricht könnte in Neutralität bestehen, die monotheistischen Religionen weder zu idealisieren noch zu verteufeln, sondern als historisch veränderliche und vielfältige Zentralkräfte von Geschichte zu benennen. Am Ende wird klar, dass Religion ein Faktor der Weltgeschichte ist.
Florian Helfer und Sandra Müller-Tietz setzen in ihrem Beitrag „Begegnungen zwischen Islam und Christentum im Schulbuch. Konzeptsensibilität, Interkulturalität und Normativität im Geschichtsunterricht“ (S. 77-101) die Ausführungen von Peter Geiss fort, indem sie prüfen, inwieweit in den Lehrwerken Geschichte für die Oberstufe in Nordrhein-Westfalen Eurozentrismus sowie eine einseitige Sichtweise auf den Islam reproduziert werden. Auch wenn sich die Schulbücher nicht konkret zu Stereotypen äußern, so erlaubt die Aufarbeitung der Themata einen Rückschluss auf Narrative und Stereotype, was Pauschalisierungen zum Islam Vorschub leisten kann.
Sind Friedens- und Gewaltpotentiale Religionen immanent, stellt sich die Frage, welche Mittel und Verfahren zur Bewältigung und Vermeidung entwickelt wurden, so Peter Arnold Heuser in seinem Beitrag „Religion und Konfessionen als Dimension einer historischen Friedens- und Konfliktforschung. Anmerkungen zu einem ambivalenten Aspekt islamisch-christlicher Kulturbegegnung in Geschichte und Gegenwart“ (S. 103-126). Konflikte gehen mit Gewalt einher, dennoch bleibt die Frage, wie das Diktum der friedfertigen Religion erfüllt werden kann. Einerseits wohnt allen monotheistischen Religionen ein Gewaltpotential inne und sie lassen sich instrumentalisieren. Die Chance für den Lehrer besteht nun darin, anhand semantischer Betrachtung von Termini wie beispielsweise dem „Dschihad“, der von der militärischen Aktion zur Verteidigung des Glaubens bis hin zur individuellen Anstrengung zur gottgefälligen Lebensführung reicht, die Sensibilität für Herkunft und Entstehung von Werten einer Gesellschaft zu schärfen.
Den dritten Teil des Bandes eröffnet Katharina Gahblers Aufsatz „Feindbilder verstehen – Präsenz und Funktion von sogenannten Sarazenen in mittelalterlichen Quellen“ (S. 129-147). Die lateinisch-christlichen Autoren des Mittelalters nahmen die Sarazenen als Synonym für Muslime wahr, einerseits als Invasoren und Kriegstreiber, aber auch als Bündnispartner oder auf Gesandtschaften. Dies wird anhand der Pelagius-Legende der Hrotsvit von Gandersheim und der Vita des Johannes von Gorze dargestellt. Trat im erstem Fall der junge Pelagius in Cordoba märtyrerhaft als idealtypischer Christ den feindlichen und gewaltbereiten Sarazenen entgegen, so empfing der lothringische Mönch Johannes von Gorze in einer Gesandtschaft des ersten Kalifen von Cordoba, Abd ar-Rahman III., wobei er gegenüber Anfeindungen standhaft blieb und den Sarazenen zum Einlenken brachte. Im Vergleich zeigt sich, dass das Bild des Sarazenen in der zeitgenössischen Literatur je nach empfundener Bedrohung, die von den Sarazenen ausging, flexibel war.
Alheydis Plassmann geht in ihrem Beitrag „Gewalteskalationen im Kontext des Ersten Kreuzzuges“ (S. 149-170) der Frage nach, ob es in Kriegen mit unterschiedlicher religiöser Ausrichtung der Kriegsparteien verstärkt zu Gewaltexzessen kommt und inwieweit Gewalt thematisiert wird. Religion war einer der Faktoren, aber auch die Unvertrautheit mit dem Gegner bedingte in vorauseilender Abwehr Gräueltaten. Ein Anhang mit einschlägigen Quellen beschließt den Beitrag.
Der Aufsatz „Convivencia als hierarchischer Religionspluralimus. Regulierung und Rezeption des Zusammenlebens von Juden, Christen und Muslimen auf der Iberischen Halbinsel (7.-17. Jahrhundert)“ von Daniel G. König (S. 171-191) beschließt den Abschnitt, der sich mit dem Teilaspekt des Kulturtransfers beschäftigt. König zeigt, dass die als Musterbeispiel zitierte „convivencia“ der iberischen Halbinsel stark von der jeweiligen gesellschaftlichen Konstellation geprägt war. Gewalt- und Zwangsmaßnahmen gegen die Gläubigen waren unter der „convivencia“ ebenfalls möglich.
Die venezianische Wahrnehmung osmanischer Führungseliten anhand der Depeschen der Botschafter der Republik Venedig erarbeitet Arne Karsten in seinem Beitrag „Feindbild oder Vorbild? Die Führungselite des Osmanischen Reiches und ihre Wahrnehmung durch die venezianischen Botschafter im Konstantinopel des 16. Jahrhunderts“ (S. 195-202). Die osmanische Führungselite entstammte nicht einer adeligen, durch Tradition und Herkunft legitimierten, gesellschaftlich herausgehobenen Führungsschicht, sondern einfachsten Verhältnissen. Sie mussten sich in Kriegen erst beweisen und wurden mit dem entsprechenden Rang belohnt. Dies stärkte das Selbstbewusstsein der osmanischen Führungselite, da sie sich ihren Rang durch Leistung im Krieg und nicht durch Geburt erwarb. Die venezianischen Berichte äußerten sich über diese Emporkömmlinge einerseits abwertend, andererseits bewundernd, da sie sich als zuverlässige Gefolgsleute erwiesen hatten.
In „Vertragspartner, ‚Erbfeind‘, Akteur im Hintergrund? Zur Bedeutung der Osmanen für den Westfälischen Friedenskongress“ (S. 203-227) fragt Maria-Elisabeth Brunert, ob die Türken trotz der mittelalterlich geprägten negativen und feindlichen Einstellung als Erb- oder Erzfeinde der Christen auf dem Westfälischen Friedenskongress als Vertragspartner in Erscheinung treten konnten: Hatte doch die intellektuelle Elite von der Zuverlässigkeit der Türken als Vertragspartner Kenntnis.
Einen Spezialfall soziokultureller Betrachtungsweise bietet Dorothée Goetze in „De la Motrayes Reisen in die Morgenländer. Interreligiöses und interkonfessionelles Zusammenleben im frühneuzeitlichen Osmanischen Reich im Reisebericht Aubry de la Motrayes“ (S. 229-251) für den Geschichtsunterricht. Aubry de la Motraye bereiste in achtzehn Jahren den Mittelmeerraum und das Osmanische Reich, darüber verfasste er einen dreibändigen Reisebericht, der für die Schwerpunkte „Religion und Staat“ und „Das Osmanische Reich und Europa in der Frühen Neuzeit“ des Lehrplanes im Unterricht herangezogen werden kann. Damit regt Aubry de la Motraye als Quellenlektüre im Schulunterricht zu Diskussionen über das Zusammenleben von Angehörigen unterschiedlicher Religionen im Osmanischen Reich an.
Im letzten Beitrag des dritten Teils stellt Michael Rohrschneider mit „Das diplomatische Zeremoniell am osmanischen Hof als Gegenstand der Zeremonialwissenschaft des frühen 18. Jahrhunderts“ (S. 253-281) das Quellenkorpus zeremonialwissenschaftlicher Werke vor. Die Schilderungen sind Spiegelungen kollektiver Charaktereigenschaften der Osmanen. Aus festgestellten Unterschieden wurde zivilisatorische Überlegenheit deduziert, dies galt für den Faktor Religion gleichermaßen.
Insgesamt bietet der Band eine hilfreiche Grundlage für die Gestaltung des Geschichtsunterrichts in Bezug auf die zwei Inhaltsfelder des nordrhein-westfälischen Kernlehrplans Geschichte. Einerseits liefert er die theoretischen Grundlagen und bereitet Material für den Unterricht auf. Einen großen Raum nimmt die Auseinandersetzung mit negativen Narrativen und Denkmustern ein. Dies kann helfen, die in der Einleitung angesprochene Zielsetzung der kritischen Auseinandersetzung mit Fremdem oder Anderem zu erreichen.
Der Band zeigt eindrücklich, dass der Faktor Religion ein wesentliches Merkmal bei Fremdheits- und Überlegenheitsgefühl bereits im untersuchten Zeitraum war. Zugleich bekräftigen die Beiträge von Brunnert und Karsten die Bedeutung von Bildung in Bezug auf die Einschätzung der „Anderen“.
In diesem Sinne sei den Herausgebern ein breites Leserpublikum gewünscht!