Aktuelle Rezensionen
Dieter J. Weiss/Erich Schneider (Hg.)
Renaissancen in Franken. Die Epoche des Fürstbischofs Konrad von Thüngen (1519-1540)
Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft für fränkische Geschichte in Zusammenarbeit mit dem Museum für Franken am 12. und 13. September 2019 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe IX: Darstellungen aus der fränkischen Geschichte 61), Neustadt an der Aisch 2021, Ph.C.W. Schmidt, 348 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Gerrit Walther
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 18.10.2023
Skeptisch späht der stämmige, vornehm gekleidete Mann am Betrachter vorbei aus dem Bild heraus. Das Barett hat er tief in die Stirn gezogen. Die zusammengepressten Lippen verraten gespannte Aufmerksamkeit. Offenbar aber will er sich nicht anmerken lassen, dass er in der Ferne etwas registriert, das außer ihm niemand bemerkt.
Mag das Porträt Konrads von Thüngen im Würzburger Museum (vgl. Abb. 1, S. 57) auch erst nach seinem Tod 1540 datieren, verrät es doch viel darüber, wie sich das Zeitalter Machiavellis einen Politiker (auch einen geistlichen) vorstellte. Weniger als einen Experten für Rhetorik und Poesie, nicht als einen humanistischen Ästheten, sondern eher als einen kühlen Praktiker der Macht, der gewohnt ist, auf alles zu achten, alles im Blick zu behalten, mit allem zu rechnen, kurz: als einen „Renaissance-Menschen“, wie ihn etwa auch die Florentiner Büste Lorenzos des Prächtigen oder die Fürstenporträts eines Cranach, Holbein oder Tizian darstellen.
So beglaubigt schon Konrads äußere Erscheinung die These des ihm gewidmeten Sammelbands: dass man in Franken vor 1550 zwar nicht „die“ Renaissance entdecken könne, wie Jacob Burckhardt sie um 1860 für Italien postulierte, wohl aber „Renaissancen“, nämlich je ortstypische Variationen italienischer Kunst- und Politikstile, wie die fränkischen Künstler und Auftraggeber sie auf ihren Italienreisen kennengelernt hatten und nach der Heimkehr in ihrem Umkreis nach ihrem Verständnis nachzuahmen suchten. Aus dieser Perspektive entwerfen fünfzehn Aufsätze ein beeindruckendes Panorama von Bischof Konrads dramatischer Regierungszeit.
Dramatisch war sie, weil sich zwischen 1519 und 1540 gleich mehrere Gegner der bischöflichen Herrschaft erhoben: Anwälte vorreformatorischer Reformbewegungen, die Anhänger der Reformation und schließlich die Landbevölkerung (deren Rebellion 1525 Ulrich Wagner später ebenso quellennah wie spannend schildert). Parallel zu deren Abwehr musste, so betont Dieter J. Weißʼ konzentrierter Einleitungsessay, die schon lange zuvor angelaufene Kirchenreform auf Landes- wie auf Reichsebene fortgeführt werden. Offenbar lag diese Aufgabe Konrad von Thüngen umso mehr am Herzen, als er alle Merkmale in sich vereinigte, die (nach Alois Schmid) einen „Humanistenbischof“ charakterisierten (S. 10 f.). Gleichwohl kamen solche Bemühungen nur schleppend voran. Winfried Romberg erklärt dies damit, dass Konrads gesamte Regierungszeit „in einer anhaltenden Krisensituation inmitten von diffusen, unübersehbaren Gemengelagen und nicht einmal ansatzweise gegenzusteuernden Eigendynamiken“ (S. 23) stattfand und er daher sehr vorsichtig agieren musste. Trotzdem habe er Würzburg frühzeitig zu einem „Sammlungsort altkirchlicher Beharrungskräfte“ (S. 36) entwickelt, den selbst ein Johannes Eck zu den wenigen sicheren Bastionen des Alten Glaubens zählte.
Besonders gefährlich schien, dass zusehends auch Ritter zur Reformation übertraten, darunter Zweige von Thüngens eigener Familie, die in den Netzwerken des Hochstifts Würzburg omnipräsent war und entsprechenden Einfluss besaß. In einem weit ausgreifenden Essay behandelt Helmut Flachenecker paradigmatisch die Herren von Thüngen „auf dem Weg zur Reichsunmittelbarkeit“, bevor Klaus Rupprecht die Wandlungen des ritterlichen Selbstverständnisses im 16. Jahrhundert darstellt, nämlich die Tendenz des aufstrebenden Niederadels, sich zusehends als kleine Landesfürsten zu inszenieren – ein wichtiges Motiv für „Renaissancen“ in der Ritterlandschaft Franken.
Ein prägnanter Artikel von Rainald Becker fragt nach der geographischen Verteilung der „Humanistenbischöfe in Franken“ (S. 105). Sie richtete sich, so zeigt er, nach räumlicher Nähe zu (beziehungsweise Ferne von) gelehrten Zentren (wie der Universität Ingolstadt), nach Dichte und Dauer der dort zusammenkommenden Zirkel und nach dem Verhältnis zwischen diesen und den Landesherren. Entsprechend fielen Augsburg und Eichstätt durch ein lebhaftes humanistisches Engagement auf, während ähnliche Aktivitäten in Bamberg oder Würzburg „eher verhalten“ (S. 117) blieben. Die konkurrenzlose „Sonderstellung Nürnbergs“ (S. 119) erklärt Stefan W. Römmelt vor allem mit der in Dürer und Stoss gipfelnden bildenden Kunst, während Volker Schier die (sonderbar konstante) Liturgie der städtischen Kirchen aus konfessionellen Konstellationen herleitet. Aus Bambergs kultureller Blässe schließt Martin Ott, dass eine avancierte Infrastruktur noch keine reiche Kultur garantiere. Die „Renaissancen“ der Markgraftümer subsumiert Christof Paulus unter der Überschrift „Gelehrtes Trinken in Ansbach“ (S. 197).
Wie alle „Renaissancen“ erwuchsen auch die fränkischen aus den Ideen und Initiativen Einzelner. In Bischof Konrads Umfeld war dies vor allem Lorenz Fries, sein Sekretär und Chronist, den Karl Borchardt mit dem für die oppositionellen Grafen von Castell wirkenden Paulus Papius vergleicht, im Bereich der bildenden Künste der erstaunlich vielseitige Riemenschneider-Schüler Peter Dell der Ältere (Claudia Lichte). Ein Verwandter des Bischofs, der Domherr Andreas von Thüngen, war nicht nur stolzer Besitzer eines reich verzierten Elefantenstoßzahns, wie man ihn als „Eingehurn“ („Einhorn“) in höfischen „Wunderkammern“ bestaunte (Andrea Huber), sondern auch der Wiedererbauer des Thüngenʼschen Stammschlosses Burgsinn nach dem Bauernkrieg 1525. Konrad selbst könnte der Auftraggeber des bemerkenswerten sogenannten Renaissancesaals gewesen sein, dessen architektonischer Formensprache Susanne Freifrau von Thüngen eine luzide Analyse widmet. Insgesamt, so resümiert Erich Schneider, war Franken reicher an Renaissance-Architektur als ein populäres Vorurteil behauptet. Dass große Bauprojekte gleichwohl selten blieben – eine Ausnahme wäre das kurmainzische Schloss Johannisburg in Aschaffenburg (1605/16) –, erklärt er mit Investitionsscheu in kriegerischen Zeitläuften. Die Zeitgenossen „ließen manches Gotische lieber stehen, als dass sie es angesichts der ungewissen Zukunft rigoros hinwegfegten“ (S. 334). Konrad von Thüngens argwöhnischer Blick zum Horizont entsprach einer Zeitstimmung. Dieses informative, sorgsam und schön gestaltete Werk hilft uns, sie besser zu verstehen.