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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Carolin Keim/Nina Lutz/Petra Weber (Hg.)

Kaufbeuren unterm Hakenkreuz. Eine Stadt geht auf Spurensuche

Regensburg 2022, Friedrich Pustet, 147 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Tobias Scheurer
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 09.11.2023

Mit der Dokumentation der Ausstellung „Kaufbeuren unterm Hakenkreuz. Eine Stadt geht auf Spurensuche“, gezeigt im Stadtmuseum Kaufbeuren vom 1. November 2019 bis zum 23.August 2020, tragen die Herausgeberinnen des Museumskataloges, die sich auch für das Ausstellungskonzept verantwortlich zeigen, zu einer würdigen Aufarbeitung der NS-Zeit auf lokaler Ebene bei. Die gezeigten Exponate und herausgearbeiteten Biografien reihen sich freilich in eine Vielzahl von bereits gezeigten Beispielen aufgearbeiteter NS-Geschichte in Deutschland ein. Bemerkenswert ist jedoch, wie die Ausstellung samt Katalog dazu beiträgt, das kollektive Gedächtnis in Kaufbeuren zu schärfen. Wie bereits andere Ausstellungskataloge zuvor, wie etwa aus der Arbeit des NS-Dokumentationszentrums München hervorgegangen, ist das zu besprechende Buch Beispiel für eine Hybridform zwischen musealem Text und einer didaktisch klug begründeten Aufklärungsarbeit.

Die Ausstellung, wie im Katalog dokumentiert, legt großen Augenmerk auf die Einbeziehung von Zeitzeugenberichten. Neben der geschichtswissenschaftlich relevanten Praxis der Verschriftlichung und damit einer Konservation der einbezogenen Stimmen stellt der Katalog hiermit auch einen direkten Lebensweltbezug zur Leserschaft her, welche vermutlich meist aus der näheren Umgebung stammt. Diese Exemplarität trägt maßgeblich zu einer gelungenen Präsentation der erforschten Sachbestände bei und sichert nebenbei die Aufmerksamkeit und Relevanz einer breiten Leserschaft, die durch die Lektüre einen umfangreichen Abriss der NS-Geschichte in Kaufbeuren erhält.

Daneben vermag es der Katalog, auch zeitgenössische Kommentare sinnvoll in den thematisch gegliederten Aufbau mit einzufüttern. Besonders herauszustellen ist hierbei die Kollaboration mit zwei Kaufbeurer Gymnasien im Rahmen derer P-Seminare. Die ausgewählten Zitate der Schüler spiegeln die Rezeption einer jungen Generation wider, die als ungewollte Pioniere der deutschen Geschichte die NS-Verbrechen nicht mehr aus erster Hand erzählt bekommen können. Dieser zeitlich bedingte Wandel stellt eine Herausforderung für die Geschichtswissenschaft, insbesondere der Geschichtsdidaktik, dar.

Gemäß der Gedächtnistheorie nach Jan und Aleida Assmann befindet sich der Zeitraum 1933 bis 1945 kurz davor, sich im Rahmen eines kollektiven Gedächtnisses von einer kommunikativen Ebene hin zu einer kulturellen zu bewegen. Für die Museumskultur bedeutet dies, dass man sich nicht mehr auf die persönlichen Erfahrungen und erzählten Geschichten der Betrachter verlassen kann. Eine moderne Ausstellung braucht demnach eine verschriftlichte Einbindung von Zeitzeugen sowie eine klare Orientierung an fachdidaktischen Prinzipien, um das Publikum gelungen und würdig an das Geschehene erinnern zu können. In jenem Zuge bietet der Katalog auch Einblick in die Gedanken der Besucher, die mit ihren Impressionen der Ausstellung selbst zu einer gelebten Erinnerungskultur beitragen.

Das Zielpublikum der Veröffentlichung ist klar gesetzt. Das Buch soll interessierte Menschen aus der Region sowie Besucher der Ausstellung ansprechen. Der stark bebilderte und sprachlich einfach gehaltene Katalog bietet der Leserschaft einen möglichst barrierefreien Zugang zu den lokalhistorischen Themengebieten und setzt sich insofern ab von einem klassischen Fachbuch über vergleichbare geschichtliche Arbeitsfelder.

Das Buch kann darüber hinaus als „Statement“ gelesen werden. Die kommunal betriebene Geschichtspolitik setzt demnach ein klares Zeichen und wirkt in diesem Sinne aufgeklärt und selbstbewusst. Ein Beispiel hierfür ist die auf einer Metaebene angesetzte Diskussion rund um die vorangegangene Ausstellung im Stadtmuseum, die von den Herausgeberinnen durchaus kritisch betrachtet wird. Die Ausstellung samt Dokumentation stellt hierbei ein Korrektiv dar, dessen Aufgabe es neben der würdigen Aufarbeitung des Geschehenen auch ist, museumsdidaktische Prinzipien neu zu denken und zu präsentieren.

Doch der Katalog bietet auch neue Erkenntnisse und Praktiken für Geschichtswissenschaftler an. Weniger auf fachlicher Ebene, jedoch als Beispiel für eine gelungene Verzahnung von Didaktik und Fachwissen kann die Veröffentlichung vom interessierten Fachpublikum in die Hand genommen werden. Die Publikation reiht sich ein in ein neues Verständnis von selbstbewusster Erinnerungsarbeit, getragen von verschiedensten Akteuren des öffentlichen Lebens. Der Einbezug städtischer sowie privater Sammlungen, die Förderung des Projektes vonseiten der Stadt Kaufbeuren sowie die institutionsübergreifende Arbeit zwischen Museum, Schule und staatlich geförderten Präventionsstellen ist beispielhaft für eine moderne Erinnerungsarbeit über die NS-Zeit. Diese zeichnet sich durch einen würdigen Umgang mit dem Geschehenen, sowie eine klar in die Zukunft gerichtete Perspektive aus. Den Herausgeberinnen ist dieser Spagat mit der Ausstellung sowie dem vorliegenden Museumskatalog bravourös gelungen.