Aktuelle Rezensionen
Joachim Hamberger (Hg.)
Beiträge zur Forstgeschichte. Festschrift zur Ruhestandsversetzung von LWF-Präsident Olaf Schmidt
(Forstliche Forschungsberichte München 218), Weihenstephan 2020, Zentrum Wald - Forst - Holz, 214 Seiten
Rezensiert von Rudolf Neumaier
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 15.11.2023
Leider ist bei der Veröffentlichung, die zu besprechen ist, der Titel unklar. Wird auf dem Cover der als DIN-A4-Broschur erschienenen „Festschrift zur Ruhestandsversetzung von LWF-Präsident Olaf Schmidt“ ein „Forum Forstgeschichte“ angekündigt, so heißt es auf Seite 1: „Beiträge zur Forstgeschichte“. Da in beiden Fällen von Geschichte die Rede ist, vermag es jedenfalls das Interesse von Historikerinnen und Historikern zu wecken.
Die Frage, ob die 27 Beiträge dieser Festschrift kennen muss, wer sich in der Umweltgeschichte im Allgemeinen oder in der Forstgeschichte im Besonderen umtut, kann schnell beantwortet werden: eher nein. Wer hingegen mit einem epistemologischen Ansatz das Wesen der Forstwirtschaftswissenschaft untersuchen will, kann die Aufsatzsammlung als Quelle verwenden. Nur ein Sechstel der 36 Autoren hat sich in geisteswissenschaftlichen Fächern profiliert, noch weniger sind Historiker – der Großteil kommt aus dem Forstwesen. Müssten sie sich nicht zu Recht der Fachanmaßung zeihen lassen oder gar einer gewissen Hybris, würden Historikerinnen und Historiker einem verdienten Kollegen, der sich für Waldwirtschaft interessiert, eine Festschrift mit Studien zur Waldbewirtschaftung widmen? Allein die Geschichtswissenschaften sind wohl nicht mit finanziellen Mitteln für derlei Eskapaden ausgestattet.
Bemerkenswert ist gleichwohl ein Beitrag, in dem die Frage erörtert wird, ob das Forstwesen einen Hippokratischen Eid brauche. Der Aufsatz rekurriert auf den Förstereid von Iphofen in Unterfranken aus dem Jahr 1520; in diesem Zusammenhang wird ein Wertekanon für die Ausbildung in forstlichen Bildungsstätten vorgeschlagen, der unter anderem „den Zusammenhalt der Forstleute in einer bunter und aggressiver werdenden Welt“ fördere. In dem Beitrag kommt zum Ausdruck, dass sich Förster aufgrund ihrer seit jeher und immer noch vorwiegend ökonomischen Interpretation des Begriffs Nachhaltigkeit in die Enge getrieben fühlen und meinen sich formieren zu müssen. Ihr Erfolg bemisst sich am Holzertrag.
Als überaus lesenswert kann man eine Abhandlung des Archäologen Volker Arnold über „übersehene Spuren einstiger Beackerung unter bayerischen Wäldern“ und eine kritische Betrachtung des Fichtenanbaus aus der Feder des inzwischen verstorbenen Forstbehördenleiters Günter Biermayer bezeichnen. Arnold hat in der bewaldeten Landschaft Zeichen entdeckt, die auf einen Feldbau in urgeschichtlicher Zeit hindeuten. Biermayer wiederum ruft in Erinnerung, dass die Wälder von heute ein menschliches Erzeugnis früherer Jahrhunderte sind. Die natürlichen Laubwälder seien spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg in Südbayern zerstört worden. In diesen ausgeplünderten Wäldern habe sich die Fichte seit dem 16. Jahrhundert ausgebreitet – mit der Zeit auch immer mehr durch das Zutun von Förstern. „Die Erfahrung der überragenden Zuwachsleistung und der gegenüber Laubbäumen viel höheren Nutzholzanteile ließ die Stimmen nach und nach verstummen, die vor Übertreibung warnten.“ Obwohl schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üble Folgen der Monokultur unter anderem durch Windwurf zum Vorschein kamen, hielten die Förster an der Fichte als Hauptbaumart fest. Auch in anderen Beiträgen, wie etwa in dem Artikel „Zur Frühgeschichte des Biotopbaumschutzes in bayerischen Wäldern des 19. Jahrhunderts“ von Andreas Mölder sind Belege für die Dominanz der „forstökonomische[n] Sichtweise“ über Artenschutzgedanken zu finden.
Beim Großteil der Beiträge handelt es sich um Miszellen, die mitunter durch auffallend viele Zwischenüberschriften künstlich verlängert wurden. So weist eine einzige Seite in einem Beitrag über die Roman- und Filmgestalt Bambi nicht weniger als vier Überschriften von Kapiteln auf, von denen sich eines in einem und ein weiteres in drei Sätzen erschöpft. Dass der dadurch neuneinhalb Seiten lang gewordene Beitrag mehr als 50 Titel in der Literaturliste aufführt und dennoch maßgebliche Fachliteratur wie etwa Nikola Roßbachs Aufsatz „Rehe sind die besseren Menschen. Felix Saltens Bambi zwischen Weltflucht und Kulturkritik“ entbehrt, lässt auf einen eher dürftigen wissenschaftlichen Anspruch von Herausgeber Joachim Hamberger blicken. Bei ihm handelt es sich ausweislich seines Vorworts, das er mit dem Leiter der bayerischen Forstverwaltung Hubertus Wörner verfasst hat, ebenfalls um einen geschichtlich interessierten Vertreter der akademischen Forstwirtschaft.
Laut diesem Vorwort ist die „Forstgeschichte in Bayern lebendig und identitätsstiftend“. Gewisse Skrupel bei der Frage, ob die Forstgeschichte tatsächlich für einen offenbar geschlossenen und finanziell gut ausgestatteten Försterzirkel Identität stiften soll und ob sie somit tatsächlich Forstwirtschaftlern vorbehalten bleiben soll, bekommen bei der Lektüre reichlich Nahrung. Zum Beispiel geißelt ein ehemaliger Forstbetriebsleiter aus dem Spessart und hier praktizierender Hobbyhistoriker auf eine denkbar tendenziöse Art die „Zerschlagung der ruhmreichen Bayerischen Staatsforstverwaltung“ bei der Forstreform von Edmund Stoiber im Jahr 2005.
Für eine umweltgeschichtliche Analyse über das Selbstverständnis bayerischer Forstleute böte diese Publikation eine solide Quellenbasis. Tatsächlich sind Studien über die Forstgeschichte ein Desiderat. Sie könnten zeigen, unter welchen Zwängen, Nöten und zu welchen Zielen und gegen welche Vorbehalte Waldbau betrieben wurde. Sie könnten Wurzeln ökologischen Bewusstseins im Forstwesen ebenso hinterfragen wie den Einfluss von Förstern auf einzelne Parteien und Verbände in jüngerer Zeit untersuchen. Sie könnten zugleich Kontinuität und Wandel der forstlichen Ökosystemleistung analysieren, auch wenn dieser Begriff selbst noch jung ist. Dazu braucht es aber ein gewisses Maß an (geschichts-)wissenschaftlicher Distanz und Neutralität sowie entsprechende Methoden. Am besten gedeiht solche Forschung mit geschultem Personal, das keine Identität für eine Interessengruppe stiften muss.