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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Klaus Garber/Hartmut Laufhütte/Johann Anselm Steiger (Hg.)

Sigmund von Birken (1626–1681). Ein Dichter in Deutschlands Mitte

(Frühe Neuzeit 215), Berlin/Boston 2019, De Gruyter, 328 Seiten


Rezensiert von Werner Wilhelm Schnabel
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 06.12.2023

Es ist nicht eben ein Ruhmesblatt für die sonst so verdienstvolle Deutsche Forschungsgemeinschaft, dass sie einem der ambitioniertesten und ertragreichsten Editionsprojekte der Barockforschung 2011 mitten in einer intensiven Arbeits- und Publikationsphase die Förderung gestrichen hat. Der umfangreiche Dichternachlass Sigmund von Birkens, der im Archiv des Pegnesischen Blumenordens (Depositum im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg) verwahrt wird, ist eine einzigartige Quelle für die Vernetzung der ‚respublica litteraria‘ von den späten 1640er bis in die frühen 1680er Jahre. Von keinem anderen Autor der Zeit ist neben zahlreichen unveröffentlichten Werkmanuskripten eine solche Fülle von Korrespondenzen und Briefkonzepten erhalten wie von Birken; sie konnten nur zu einem kleinen Teil ediert und kommentiert werden und sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Die letzten Bände der Reihe, die bereits 1988 begonnen wurde und seit 2005 in schöner Regelmäßigkeit neue gewichtige Bände vorlegen konnte, sind – mit Hilfe anderer Förderinstitutionen – 2018 erschienen. Damit ist das Editionsunternehmen nach 15 Bänden (in 29 Teilbänden) bis auf weiteres unterbrochen. Kleinere Teile aus dem handschriftlichen Birken-Nachlass werden mittlerweile in der Reihe „Betuliana“ im Passauer Ralf Schuster Verlag herausgegeben, die aber leider bislang nur wenig Beachtung findet. Zumindest Digitalisate und Rohtranskriptionen der zahlreichen noch nicht edierten Korrespondenzen sollen künftig in einem „Birken-Portal“ elektronisch (und ohne Zugangshürden) zur Verfügung gestellt werden. Der seinerzeit nicht absehbare Siegeszug der digitalen Präsentation im Internet hat immerhin viele gedruckte Schriften Birkens leichter zugänglich gemacht, die vor Jahren nur in Sonderlesesälen vor Ort zugänglich waren. Auf Kommentar und Einordnung muss in diesen Fällen allerdings verzichtet werden.

Es ist nach so umfänglichen Vorarbeiten deshalb an der Zeit gewesen, dem so reichhaltig dokumentierten Präses des Pegnesischen Blumenordens 2013 eine eigene autorenbezogene Tagung zu widmen – eine Ehre, die seinen unmittelbaren Dichterkollegen Georg Philipp Harsdörffer und Johann Klaj vorher (Nürnberg 2004 und Berlin 2007) bzw. nachher (Nürnberg 2016) ebenfalls widerfahren ist. Der Tagungsband, erst 2019 erschienen, umfasst eine Reihe von Beiträgen, die aus der Feder der Verantwortlichen der Birken-Ausgabe, aber auch von Forschern der mittleren und jüngeren Generation stammen. Er deckt – leider ohne irgendeine inhaltliche Struktur – verschiedene Aspekte des nach wie vor ‚unterforschten‘ Barockautors ab.

So gilt die Aufmerksamkeit zum einen dem Wirken und der Rolle des historischen Autors. Dieser inszenierte sich selbst mit Vorliebe pastoral und deutete dabei bereits auf das empfindsame 18. Jahrhundert voraus (Klaus Garber). Fokussiert wird weiter die Laureaturpraxis, in der Birken durch die Dichterkrönung von Frauen ein durchaus ‚eigenmächtiges‘ Wirken entfaltete (Claudius Sittig). Die Bedeutung des Autors als Förderer jüngerer Kollegen wird ebenso untersucht (Hartmut Laufhütte) wie das Verhältnis von Poet und Maler, das anhand der Zusammenarbeit mit Joachim von Sandrart konturiert wird, der entworfenen idealisierten Reihe historischer Vorbilder aber nicht ganz gerecht wurde (Esther Meier).

Ein zweiter Komplex ist eher werkzentriert bzw. widmet sich analytisch, kontextualisierend und interpretierend dem literarischen Schaffen des Nürnbergers. In Augenschein genommen werden einzelne Werkkomplexe Birkens wie die Figurendichtung (Thomas Borgstedt), die Morgenpoesie (Stefanie Arend) oder das „Ballet“ (Marie Thérès Mourey); behandelt werden poetologische Stellungnahmen in Paratexten zu Werken anderer (Dirk Niefanger). Detaillierte Interpretationen gelten einzelnen Dichtungen wie einem Sommerlied (Johann Anselm Steiger), der „Fried-erfreueten Teutonie“ (Ferdinand van Ingen) oder einem Epicedium für den Sulzbacher Hof (Rosmarie Zeller).

Schließlich enthält der Band auch zwei rezeptionsgeschichtliche Untersuchungen, die einmal Birken selbst als produktiven Leser Johann Arnds zeigen (Thomas Ilg), dann aber auch die Wahrnehmung des Poeten in einer Gelegenheitsdichtung Johann Georg Pellicers verfolgen (Axel E. Walter).

Von der strengen Fixierung auf den Nürnberger Ordenspräses entfernt sich endlich ein kurzer Beitrag, der sich den weiblichen Mitgliedern des Blumenordens im 17. Jahrhundert widmet, die v.a. durch Birken Aufnahme gefunden haben (Ralf Schuster).

Die hier separierten Themenkomplexe werden im Band selbst leider nicht voneinander abgegrenzt; auf eine Hinleitung oder Zusammenfassung seitens der Herausgeber wurde verzichtet. Die – methodisch durchaus unterschiedlichen und sprachlich im Einzelfall von fast hymnischem Lobpreis geprägten, meist aber in angemessener Distanz formulierten – Einblicke in das reichhaltige Schaffen des Nürnbergers sollten jedenfalls als Ansporn verstanden werden, das bereits vorliegende und hoffentlich künftig noch ergänzte Material auch produktiv zu nutzen. Damit wäre den Editoren der „Werke und Korrespondenzen“ die beste Würdigung für ihre langjährige und entsagungsvolle Arbeit erteilt.