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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Christian Feldmann

Benedikt XVI. Sein Leben, sein Denken, seine Botschaft

Regensburg 2023, Friedrich Pustet, 204 Seiten


Rezensiert von Ralph Weimann
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 18.12.2023

Die Theologie von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. wird für die Erneuerung der Kirche und der theologischen Wissenschaft eine große Bedeutung haben. Dies liegt nicht nur an der Genialität und Tiefe seiner Gedanken, sondern auch an der theologischen Methode und seiner feinsinnigen Sprache. Von daher versteht sich, dass es viele unternommen haben und unternehmen, sich mit seinem Leben und Denken zu beschäftigen.

Christian Feldmann hat das Buch „Benedikt XVI. Sein Leben, sein Denken, seine Botschaft“ kurz nach dem Tod des Papstes im Pustet Verlag veröffentlicht. Er selbst hat Theologie studiert, u.a. bei Joseph Ratzinger, arbeitet aber vor allem als Journalist. So folgt auch der Stil seines Buches den Kriterien des Journalismus. Auf der einen Seite wirkt dieser ansprechend und anregend, auf der anderen Seite kommt das Proprium der Theologie Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. nicht zum Tragen oder wird gar verzeichnet, zumal es nicht basierend auf den Kriterien des Journalismus erfasst werden kann.

Das Buch von Feldmann beginnt mit der Wahl des Papstes, die mit der mysteriösen Erwählung des Dalai Lama verglichen (S. 9) wird. Selbst der theologische Laie müsste wissen, dass solche Aussagen wenig hilfreich sind, um der Seriosität des Themas gerecht zu werden. Mehr noch, oft werden plumpe Klischees bedient, wie z.B. „Vom Hitlerjungen zum Papa Ratzi!“ (S. 23). Ausdrucksweisen, wie der jüngere Ratzinger studierte „wie besessen Augustinus und Martin Buber, Dostojewskij“ (S. 27), sollten für den theologisch gebildeten Menschen ein Tabu sein, ebenso der Vergleich seines theologischen Lehrers mit „Querdenkern“ (S. 28). Warum dies unzutreffend ist, beschreibt Ratzinger in seiner Autobiographie. Er gibt dort eine Aussage seines Doktorvaters Gottlieb Söhngen wieder, der gegen die Definition des letzten marianischen Dogmas war. Als er gefragt wurde, was er täte, wenn es dennoch komme, erklärte er, „dann werde ich mich daran erinnern, dass die Kirche weiser ist als ich, und ihr mehr vertrauen als meiner eigenen Gelehrtheit“ (Joseph Ratzinger, Aus meinem Leben. Erinnerungen, München 1998, S. 66). Demnach war Söhngen gerade kein „Querdenker“, wobei schon dieser Begriff äquivok verwendet wird.

Leider sind viele theologische Begriffe und Begrifflichkeiten unklar oder journalistisch so aufbereitet, dass sie auf Kosten der Präzision und Genauigkeit gehen. So wird der renommierte Professor Michael Schmaus als Repräsentant einer auf der Vorkriegszeit stehengebliebenen Theologie dargestellt (S. 33). Mit derartigen Fehlurteilen und Simplifizierungen wird die eigentliche Problematik verzerrt dargestellt, um die es in Ratzingers Habilitationsschrift ging, in der er sich mit dem mittelalterlichen Theologen Bonaventura – nicht also mit der Nachkriegszeit – befasste. Josef Kardinal Frings war alles andere als ein „aufmüpfiger Kardinal“ (S. 38 f.), wie plakativ behauptet wird; derartige Aussagen verkennen die historischen Fakten. Die journalistischen Klischees, die in dem Buch bedient werden, sind wenig hilfreich, verstellen vielmehr den Blick auf das Wesentliche. In diesem Stil wird auch das letzte Konzil plakativ als „Revolte“ (S. 40) bezeichnet, bei der die Vertreter der Weltkirche als die „Guten“ und die Mitarbeiter der Kurie als die „Bösen“ dargestellt werden (S. 40).

Problematisch erweist sich zudem das Klischee, dass es einen Ratzinger I und einen Ratzinger II gegeben hätte (S. 45). Diese Annahme ist von vielen namhaften Experten längst widerlegt worden. Der Umgang von Kardinal Ratzinger mit der Befreiungstheologie wird ebenso klischeehaft dargestellt wie der mit den deutschen Katholiken (S. 67-73). Dass die Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst „ein Erfolg der Ratzinger eigenen Disziplin“ (S. 76) gewesen sei, ist schlichtweg Unsinn.

Die Bedeutung der Heiligen Schrift für Joseph Ratzinger (S. 36), seine prophetische Weitsicht im Hinblick auf das Entstehen eines Neuheidentums (S. 37) in der Kirche und sein Einsatz für die Studenten (S. 37) werden treffend dargestellt. Ebenso das Problem der theologischen Fakultäten, die kein „Bollwerk gegen die marxistische Versuchung“ (S. 49) bildeten. Aber all diese Dinge werden in Ratzinger Autobiographie beschrieben und sind daher keine Neuheit. Schön dargestellt ist die Zentralität der Liebe bei Joseph Ratzinger, sie fordert Unsterblichkeit (S. 54). Sehr treffend beschreibt der Autor Karol Wojtyła und Ratzinger mit folgenden Worten: „Radikal Glaubende und mitreißende Visionäre waren sie beide, der eine auf seine leise Art, der andere in der stürmischen Umarmung der Massen.“ (S. 62)

Umso mehr verwundert es, dass Feldmann Joseph Ratzinger an anderer Stelle ganz gegenteilig präsentiert, wenn er beispielsweise schreibt: „Die schleichende Verwandlung des debattierfreudigen Wissenschaftlers in den Chefideologen der Hierarchie vollzog sich vor aller Augen. Etwa in seiner Silvesterpredigt 1979 im Münchener Dom.“ (S. 58) Nicht nur die Wortwahl tut der Seriosität der Ausführungen Abbruch, sondern auch der Inhalt, der sich wieder journalistischer Klischees bedient. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. So werden dem Präfekten der Glaubenskongregation „zwei Seelen“ attestiert (S. 64 f.), wie eine Art Schizophrenie. Das gleiche Motiv greift der Autor auch am Ende des Buchs auf, wenn er Benedikt XVI. als „römischen Hamlet“ verzeichnet, der von einem „Panzer aus Misstrauen“ (S. 188) umgegeben gewesen sei. Leider disqualifiziert sich der Autor durch derartige Ausführungen selbst, vor allem, wenn er von „Hamlet Benedikt“ (S. 189) und von „Prinz Hamlet“ spricht, den er als „Träumer“ bezeichnet mit einer „Heidenangst“ (S. 190). Auf diese Weise wird wohl kaum ein Leser dem Autor abnehmen, dass Benedikt ein „Theologenpapst“, „ein Philosoph, ein Vordenker“ gewesen sei (S. 192). Wenn Feldmann an anderer Stelle über Werte, Moral, Menschenwürde – alles wichtige und große Themen bei Benedikt XVI. – spricht, wird der Leser eines solchen Buchs dies nach solchen Aussagen kaum mehr ernst nehmen können.

Weniger Journalismus und mehr Theologie wären nötig gewesen, um dem Denken, dem Leben und der Botschaft Joseph Ratzingers und dem Eigentlichen der Theologie Benedikts gerecht zu werden. Ansätze dazu gibt es viele, wie z.B. die Aussage, dass er ein Leben lang „dafür gekämpft hat, dass es eine Wahrheit gibt und nicht nur eine Vielfalt von Überzeugungen, die alle gleich viel wert sind“ (S. 112); dass „der Verzicht auf Wahrheit nichts löst, sondern im Gegenteil zur Diktatur der Beliebigkeit führt“ (S. 113); dass „wir den Maßstab Gottes, den Maßstab der Ewigkeit“ (S. 114) nicht aus den Augen verlieren dürfen; dass „die Heiligkeit des Lebens, die unteilbare Menschenwürde, den unendlich kostbaren Wert jeder noch so unscheinbaren menschlichen Existenz“ (S. 115) darstellt.

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. war auch deswegen ein Großer, weil er Grundwerte (vgl. S. 116) und unverhandelbare Werte begründet, die nicht er-, sondern gefunden werden (S. 120). Dabei ermöglicht erst die Wahrheit den Dialog, der wiederum die Begegnung mit der Wahrheit (Jesus Christus) ist (S. 125). Diese wegweisenden Aussagen, die die Theologie Joseph Ratzingers/Benedikt XVI. charakterisieren, hat Feldmann nicht ins Zentrum gerückt. Vielmehr bedient er die Klischees des Journalismus, auch im Hinblick auf Glaube und Moral (vgl. S. 138-141). Gerade damit gelingt es dem Autor aber nicht, das Leben, Denken und die Botschaft von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. darzustellen. Dies ist auch dem Sprachstil geschuldet, der sich nicht selten einer polemischen Sprache bedient, die Benedikt XVI. ganz fern war. Feldmann bezeichnet beispielsweise den Brief des emeritierten Papstes im Hinblick auf den Missbrauchsskandal als „zornigen Rundumschlag“ (S. 180), ähnlich sprachgewaltig äußert er sich an vielen Stellen.

Auch wenn das Buch viele interessante Aspekte anspricht, wird der Leser, der sich mit dem wirklichen Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. beschäftigen will, diesen in seiner Autobiographie („Aus meinem Leben“) finden, oder auch im Standardwerk von Peter Seewald, Benedikt XVI. Ein Leben, München 2020, bzw. dessen Kurzfassung, Benedikts Vermächtnis, Hamburg 2023.