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Esteban Mauerer (Bearb.)
Die Protokolle des Bayerischen Staatsrats. Band 4: 1811 bis 1812
(Die Protokolle des Bayerischen Staatsrats 1799 bis 1817, 4), München 2021, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1044 Seiten
Rezensiert von Emanuel Lechenmayr
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 08.01.2024
Eines der quelleneditorischen Großprojekte der vergangenen Jahre zur Geschichte der bayerischen Regierungsbehörden, nämlich die Edition der Protokolle des Bayerischen Staatsrats (bzw. der Geheimen Staatskonferenz und des Geheimen Rats) der Jahre 1799 bis 1817, hat jüngst den vierten von insgesamt fünf geplanten Bänden hervorgebracht. Herausgegeben wurde der Band von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Prof. Dr. Reinhard Stauber und von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns durch Dr. Margit Ksoll-Marcon. Bearbeiter war auch hier wieder Dr. Esteban Mauerer.
Dieser neueste Band, der den – verglichen mit den übrigen Bänden – recht kurzen Zeitraum vom 3. Januar 1811 bis 31. Dezember 1812 abdeckt, ist zugleich von allen bislang erschienenen der umfangreichste. Dabei umfasst er zum allergrößten Teil die Sitzungsprotokolle eines einzigen Gremiums, nämlich des 1808 ins Leben gerufenen Geheimen Rats, zu dessen Aufgabenbereich nunmehr die wichtigsten innenpolitischen Fragen zählten. Der Geheime Rat ist hier mit 96 von insgesamt 98 in dem Band edierten Protokollen vertreten: Er trat also fast jede Woche zusammen. Die übrigen zwei Protokolle dokumentieren zugleich die letzten zwei nachweisbaren Sitzungen der Geheimen Staatskonferenz (20. August und 16. September 1811), die danach höchstwahrscheinlich auch nicht mehr tagte. Hier fand der sich seit 1803 abzeichnende Bedeutungsverlust der Geheimen Staatskonferenz, die nur im Jahr 1808 (hier mit 22 Sitzungen) noch einmal eine kurze Phase erhöhter Aktivität verzeichnet hatte, seinen Abschluss.
In der Einleitung werden die Organisation der beiden Gremien, die Arbeitsfelder und inhaltlichen Schwerpunkte in den Beratungen sowie die personelle Zusammensetzung erläutert. Letzterem Aspekt wird hier besonders viel Raum gegeben (S. 19-27), wobei vor allem Joseph Maria Freiherr von Weichs als neues Mitglied in der Finanzsektion des Geheimen Rats vorgestellt wird. Am Ende der Einleitung wird kurz die Einrichtung des vorliegenden Editionsbandes erläutert, gefolgt von den Verzeichnissen der Abkürzungen und Siglen sowie einem Verzeichnis der Protokolle und ihrer Tagesordnungspunkte.
Nicht nur war die Sitzungsfrequenz der Geheimen Staatskonferenz im Jahr 1811 gegenüber der des Geheimen Rates verschwindend gering, auch ihr Aufgabenfeld war ungleich schmaler und konzentrierte sich nur noch auf einzelne Finanzfragen wie die Einrichtung einer Schuldentilgungskasse und Themen aus dem Bereich des Militäretats (S. 351-362, 402-410). Das Aufgabenspektrum des Geheimen Rates war hingegen sehr breit gefächert. Dementsprechend war das Gremium auch in drei Sektionen für die Bereiche Inneres, Finanzen und Justiz untergliedert. Weiterhin hatte der Geheime Rat auch gerichtliche Kompetenzen: So oblag es ihm, Entscheidungen bei „Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gerichts- und Verwaltungsstellen“ (S. 13) zu treffen, sowie zu entscheiden, ob straffällig gewordene Staatsdiener vor Gericht zu stellen seien. Er fungierte als letzte Instanz bei Rechtsstreitigkeiten, die zum Bereich der Verwaltung gehörten, sogenannten „kontentiösen administrativen Gegenständen“ (zit. nach S. 13). In der Funktion der letzten gerichtlichen Instanz trat der Geheime Rat allerdings, wie anhand der Protokolle von 1811/12 deutlich wird, nun vor allem in sogenannten Rekurssachen (Berufungsfällen) hervor. Thematische Schwerpunkte bildeten in diesem Bereich Streitfälle rund um die Verteilung von Gemeindegründen, um Gewerbeausübungen und um die Aufteilung von Kriegs- und Einquartierungskosten. In solchen Fällen werden die Auswirkungen besonders deutlich, die das Ausgreifen des modernen Staates mit seinen Reformmaßnahmen vor allem auch in der ländlichen Lebenswelt mit sich brachte.
Einige weitere Themengebiete, mit denen sich der Geheime Rat befasste, wären noch hervorzuheben: beispielsweise die Debatten über die staatliche Festsetzung des Bierpreises (insgesamt sieben Sitzungen, S. 144-191, 293-295), über Fragen des Lehensrechts (u.a. S. 337-351, 368-371, v.a. rund um die Klassifikation und Allodifikation von Lehen), die Deckung des finanziellen Bedarfs bzw. die Aufgabenbereiche der Kommunen (S. 589-612), die Frage nach einer allgemeinen Dienstbotenordnung (S. 833-845; die Einführung einer solchen wurde letztlich abgelehnt), die gutsherrliche Gerichtsbarkeit (S. 766-798, 802-818) sowie die rechtliche Stellung bzw. die Vorrechte des begüterten Adels, die in einem neuen Adelsrecht geregelt werden sollten (S. 258-264).
Im Hinblick auf den Inhalt der Beratungen und Entscheidungen ist noch ein weiterer Aspekt zu betonen: Die Konstitution von 1808 zeigt sich hier ganz und gar nicht als abstrakter, nie wirklich in den politischen Alltag integrierter Fremdkörper, sondern sie tritt, ganz im Gegenteil, sehr deutlich als maßgeblicher Bezugsrahmen für alle Entscheidungsfindungsprozesse im Geheimen Rat hervor. Demgemäß sprechen hier auch etliche explizite Formulierungen in den Protokolltexten eine deutliche Sprache. So versuchte man, „ohne Verlezung der beschwornen Konstituzion“ (S. 258) Entscheidungen zu treffen, die eben keinesfalls „dem Buchstaben, dem Sinne und dem Geiste der Konstituzion widersprechen“ (S. 258) bzw. „der Konstituzion zuwider“ (S. 384) laufen durften, man bezog sich auf „Grundsäze […], welche sich mit der Konstituzion und der Gerechtigkeit […] vereinigen laße [!]“ (S. 636), etc.
Die Protokolltexte sind, wie schon in den vorangegangenen Bänden, im Volltext wiedergegeben. Zusätzlich sind den einzelnen Tagesordnungspunkten jeweils knappe Überschriften mit den zentralen Schlagwörtern sowie Regesten mit einer Zusammenfassung des Inhalts inklusive des Beschlusses vorangestellt. Tagesordnungspunkte, in denen Rekurssachen behandelt werden, sind zur schnelleren Orientierung im Titel eigens mit (R) gekennzeichnet. Im Protokolltext selbst sind die Beschlüsse des jeweiligen Gremiums stets im Schriftbild eingerückt, was die jeweilige Darstellung der Entscheidungsfindung übersichtlicher macht. Die den Beratungen vorangehenden Vorträge der jeweils zuständigen Referenten werden nicht eigens ediert, jedoch häufig im Anmerkungsapparat angeführt und dort teilweise auch in Auszügen wiedergegeben. Selbiges gilt für die damit einhergehenden Gesetzes- und Verordnungsentwürfe, was die Genese der dokumentierten Entscheidungen nachvollziehbarer macht. Ansonsten beinhaltet der Anmerkungsapparat Begriffsdefinitionen, Informationen zu Orten und Personen (oft mit Biogrammen bzw. entsprechenden Querverweisen auch zu vorangegangenen Bänden) sowie auch zu weiteren, den jeweiligen Entscheidungen zugrundeliegenden Texten, beispielsweise zu Verordnungen, Edikten, Gutachten etc., aus denen zuweilen auch wörtlich zitiert wird. Zum Schluss eines jeden Protokolls wird die Stellungnahme des Königs zu den Anträgen (meistens die Genehmigung) mit Datum (sofern überliefert) wiedergegeben.
Den Beteiligten ist es – vor allem durch die Gestaltung der Kommentierung und der Regesten, aber auch durch die graphische Aufbereitung der edierten Quellentexte – gelungen, die Quellenedition bei all ihrer inhaltlichen Fülle und Dichte zu einer sehr benutzerfreundlichen Publikation zu machen. Die quelleneditorische Basis für die Erforschung der Verwaltungs- und Regierungspraktiken im Montgelas’schen Reformstaat und der mit ihm einhergehenden Umbruchszeit ist somit um einen weiteren wichtigen Baustein ergänzt worden. Man darf auf den fünften und letzten Band der Reihe, der die letzten Jahre Montgelasʼ in den Blick nimmt, gespannt sein.