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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Ludwig Brandl/Claudia Grund/Peter Stockmann (Hg.)

Der Dom zu Eichstätt

Mit Fotografien von Anton Brandl, Regensburg 2021, Friedrich Pustet, 208 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Rainer Florie
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 08.01.2024

Es gibt Ereignisse, die im allgemeinen Bewusstsein längst keine Rolle mehr spielen, deren Folgen aber auch nach Jahrhunderten noch sichtbar sind. So verhält es sich mit dem Aufbruch des heiligen Willibald aus seiner angelsächsischen Heimat in den Jahren 720 oder 721, um auf dem europäischen Festland als Missionar zu wirken, und dem Ort, an dem er als Bischof amtieren und bestattet werden sollte, und der bis heute das Zentrum des Bistums Eichstätt bildet. Dieser Beginn der Eichstätter Bistumsgeschichte vor 1300 Jahren motivierte das Projekt, eine umfängliche Darstellung und Würdigung des Eichstätter Domes vorzulegen. Verantwortlich für diesen großen Sammelband mit insgesamt 15 Artikeln zeichnen Mitarbeiter des Eichstätter Ordinariats, Ludwig Brandl, Peter Stockmann und Claudia Grund als Leiterin des Diözesanmuseums. Bischof Gregor Maria Hanke OSB steuerte ein Geleitwort bei (S. 7). Von Anton Brandl stammen die prächtigen, großformatigen und detailgenauen Bilder, die das Werk zu einem „opulenten“ (S. 9) Band werden lassen. Der Veranschaulichung dienen ferner verschiedene Skizzen zu Baubestand und -geschichte, eine Liste der 81 Nachfolger Willibalds auf dem Eichstätter Bischofsstuhl sowie ein Personenregister. Der Einführung (S. 8 f.) folgend soll der Dom durch dieses Buch hervortreten als Identifikationspunkt für die Gläubigen verschiedener Jahrhunderte, als Kunst gewordene Gotteserfahrung und Hoffnung (S. 8). Um den Reichtum der langen Jahrhunderte und die Fülle der Eindrücke zu strukturieren, ist der Band in vier Kapitel gegliedert.

Der erste Abschnitt ist mit drei Beiträgen der Herausgeber dem Bistumspatron Willibald gewidmet: seinem Leben (S. 13–17), seinen Grablegen und Verehrungsorten im Dom (S. 19–23) sowie dem Willibaldsdenkmal (S. 25–29), das als Meisterwerk der Renaissance die Person des Bischofs, sein Amt und seine bleibende Bedeutung im Raum eindrücklich präsent macht.

Die Baugeschichte des Doms als „Ort des Glaubens“ steht im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Eine Gesamtschau der archäologischen Erkenntnisse über die Vor- und Frühgeschichte des Dombezirks bietet Andrea Bischof (S. 35–47). Die weitere Entwicklung der Anlage aus dem Geist der verschiedenen Epochen, vor allem der bis heute das Erscheinungsbild prägenden Zeit der Spätgotik, schildert Claudia Grund (S. 49–67), die noch Ausführungen über die beiden Hauptportale als theologische Schlüssel für den Eintretenden hinzufügt (S. 69–73).

Das dritte Kapitel ist „Ort des Gebetes“ überschrieben. Einen eher allgemein gehaltenen Ausflug in die Liturgiegeschichte anhand der grundlegenden liturgischen Orte unternimmt Jürgen Bärsch (S. 77–83). Domorganist Martin Bernreuther stellt die Domorgel vor (S. 85–87). Ludwig Brandl nähert sich über Kunstwerke außerhalb wie innerhalb der Kirche dem Marienpatrozinium des Doms an (S. 89-101). Benno Baumbauer betrachtet detailreich und mit neuen Erkenntnissen zur Entstehungsgeschichte den Hochaltar (S. 103–113) wie das Pappenheimer Retabel im nördlichen Querschiff (S. 127–134). Claudia Grund widmet sich der weiteren Altarausstattung (S. 115–125).

Ein umfassendes viertes Kapitel beschäftigt sich mit dem Dom als „Ort des Gedenkens“. Als besonderen Niederschlag humanistischen Gedankengutes stellt Daniel Parello das Mortuarium vor, eine dem Dom angebaute Grablege des Domkapitels, die in dieser Form ein Eichstätter Spezifikum ist (S. 139–161). Zwei weitere Beiträge von Kerstin Merkel (S. 163–185) bzw. Claudia Grund (S. 187–193) reisen anhand der Grabmäler von Bischöfen und Kanonikern, die sich im Dom befinden, in verschiedene Zeiten der Bistumsgeschichte. Eine eingehende Würdigung, wie sie hier der im späten 20. Jahrhundert geschaffenen Bischofsgrablege zuteilwird, wäre auch für die modernen liturgischen Orte im Altarraum wünschenswert gewesen.

Der vorliegende Bildband stellt im besten Sinne ein Porträt des Eichstätter Domes dar: es werden viele Einzelheiten eingehend beleuchtet, die sich aber zu einem Gesamtbild zusammensetzen und einen sich über Jahrhunderte entwickelnden, lebendigen Raum vor Augen stellen. Die wohl als Lesehilfe gedachte Einteilung in vier große Kapitel erweist sich dabei allerdings nicht wirklich als schlüssig. So werden die liturgischen Orte wie die theologische Gesamtkonzeption des Doms als Marienkirche – allesamt Ausdrücke des Glaubens – unter die Rubrik „Ort des Gebetes“ eingeordnet. Das Mortuarium als zentraler Gedenkort zeigt sich in seiner künstlerischen Gestaltung und seiner früheren liturgischen Funktion ebenso als Glaubens- wie als Gebetsort. Die Abgrenzung von Glaubens-, Gebets- und Gedenkorten bleibt unscharf. Die Einführung setzt die vorliegende Darstellung von anderen „Kirchenführern“ bewusst dadurch ab, dass sie die Kunst – in Anlehnung an Michelangelo – präsentieren möchte als Verweis auf das, was für den Menschen Bedeutung hat, ja notwendig ist (S. 8). Diesen Anspruch, mehr zu bieten als kunsthistorische Erkenntnisse, lösen unterschiedliche Beiträge ein, indem sie Glaubenshaltungen und Glaubenspraxis oder theologische Ansätze verschiedener Epochen thematisieren. Doch beschränken sich diese Hinweise auf die Rahmenteile der Artikel, sind eher Zusatz als leitende Perspektive. Das mag auch dem Versuch geschuldet sein, ein Buch für möglichst viele Adressaten vorzulegen, den Kunst- und Geschichtsinteressierten ebenso wie den Gottesdienstbesucher und Beter. In unserer Zeit besitzen Bild und mediale Inszenierung einen hohen Stellenwert, der christliche Glaube ist vielen fremd geworden. Raum und Kunst könnten also in der Tat Wege darstellen, Zugänge in die Welt des Glaubens zu eröffnen.

Wer diesen schön gestalteten Band zur Hand nimmt, kann sich in Wort und Bild mitreißen lassen von Geschichte und Aussage großer Kunstwerke. Er kann einen Ort des Glaubens und der Kultur entdecken und dadurch auch den Zusammenhang von lebendigem Glauben und Kultur neu bedenken.