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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Elisabeth Grünenwald

Oettingisches Urbar und Teilungslibell um 1370. Ämter Wallerstein, Deggingen, Alerheim, Wemding, Spielberg und Vogtei Offingen

(Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft 5), Friedberg 2022, Likias, 248 Seiten


Rezensiert von Alexander Wolz
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.01.2024

Die Geschichte der Grafschaft Oettingen reicht bis weit in das Hochmittelalter zurück. Als eines der ersten Mitglieder der Grafen von Oettingen taucht Ludwig I. in der Mitte des 12. Jahrhunderts auf. In der nächsten Generation erscheint Ludwig II. als Zeuge in zahlreichen Königsurkunden. Seine Nachfolger wiederum legten den Grundstein für die Grafschaft Oettingen, indem sie alle wichtigen Städte, Burgen und Vogteien im Nördlinger Ries an sich brachten. Dem Aufstieg folgte eine Phase innerer und äußerer Bedrohungen durch Erbteilungen und das Vormachtstreben der Wittelsbacher. Mit der Aufteilung in die Linien Oettingen-Wallerstein und Oettingen-Oettingen zu Beginn der Neuzeit erhielt dieser Zustand Strukturcharakter; die konfessionelle Spaltung im 16. Jahrhundert – die Linie Oettingen-Oettingen ging zum Protestantismus über – wirkte hier als zusätzlicher Katalysator. Am Ende des Alten Reiches existierten die – mittlerweile gefürsteten – Linien Oettingen-Wallerstein (erweitert um den Hauptanteil der im Jahr 1731 ausgestorbenen Linie Oettingen-Oettingen) und Oettingen-Spielberg; ihre Ländereien gelangten an die Königreiche Bayern und Württemberg. Mitglieder der Familien spielten auch im 19. Jahrhundert noch wichtige Rollen in politischen Ämtern, wie etwa Ludwig Fürst von Oettingen-Wallerstein, der in den 1830er Jahren als bayerischer Innenminister wirkte.

Dieser langen staatlichen wie auch dynastischen Kontinuität ist es zu verdanken, dass die Geschichte der Grafschaft heute als außerordentlich gut dokumentiert gelten kann. Dies lässt sich zum einen an den Archiven der beiden Linien Oettingen-Wallerstein und Oettingen-Spielberg ablesen, die heute gemeinsam auf Schloss Harburg (Landkreis Donau-Ries) verwahrt werden. Von Kriegsverlusten und Aktenzersplitterungen verschont sind diese Archivbestände heute nahezu intakt und bieten reichhaltiges Quellenmaterial für Forschungen.

Zum anderen ist festzustellen, dass die verfassungsrechtlichen Grundlagen und die verwaltungsgeschichtlichen Entwicklungen der Grafschaft Oettingen durch verschiedene Publikationen gut dokumentiert sind. Zu verweisen wäre hier etwa auf das umfangreiche Werk von Rolf Kießling/Bernhard Brenner, Die ländlichen Rechtsquellen aus der Grafschaft Oettingen (Augsburg 2005, Wißner, 696 Seiten) sowie auf das Grundlagenwerk von Dieter Kudorfer, Die Grafschaft Oettingen. Territorialer Bestand und innerer Aufbau (um 1140 bis 1806) (München 1985, Kommission für bayerische Landesgeschichte, 304 Seiten), welches in der Reihe „Historischer Atlas von Bayern“ erschienen ist.

Ausgerechnet für das älteste und vielleicht bedeutendste Dokument, das Oettingische Urbar von 1369 bzw. 1370, fehlte bislang eine entsprechende Edition. Dieser Band bildet nicht nur die älteste heute bekannte Übersicht über die territorialen Verhältnisse in der Grafschaft, sondern dokumentiert auch – aus Anlass diverser Todesfälle und Erbanfälle geschrieben – die oettingische Landesteilung von 1370 (Beteiligte: Friedrich II., Ludwig VIII. und Ludwig X.), und bildet damit gleichsam den Auftakt zu der komplexen territorialen und dynastischen Entwicklung der Grafschaft von Oettingen und ihrer Herren. Leider bezieht sich dieses Urbar nur auf einen Teilbereich der Grafschaft, ein noch älteres Urbar der Gesamtgrafschaft gilt heute als verschollen.

Wenn man einen Grund für das Fehlen einer Edition suchen möchte, so könnte man ihn vielleicht darin sehen, dass das Original dieses Urbars heute nicht im Gesamtarchiv der oettingischen Häuser liegt, sondern im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München verwahrt wird. Schuld sind aber nicht, wie sonst so oft, die archivischen Verwerfungen rund um Säkularisierung und Mediatisierung nach 1803, als bayerische Kommissäre aus den aufgelösten Ständen Frankens und Schwabens alles mitnahmen und nach München verbrachten, was für die neuen Machthaber von Interesse schien. Dieses Urbar schlummerte schon viel länger in den Archiven der bayerischen Herzöge. Tatsächlich kam das Urbar bereits im Jahr 1487, als der Landshuter Herzog Georg der Reiche das Wallersteiner Drittel der Grafschaft Oettingen erwarb, aus der oettingischen Kanzlei in das Archiv der Herzöge in Landshut. Weil die Kaufsumme auch nach Rückgabe des Gebiets an die Oettinger niemals erstattet wurde, blieb das Urbar im Besitz der Wittelsbacher. Über den Umweg des Archivs von Pfalz-Neuburg, wo es von dem bekannten Archivar Georg Gottfried Roth erstmals archivisch erfasst wurde, gelangte das Urbar schließlich in das Münchner Zentralarchiv. Dort befindet sich der Band heute in einem der im 19. Jahrhundert von bayerischen Archivaren gebildeten Pertinenzbestände (BayHStA, Mediatisierte Fürsten Oettingen 71), deren Formierungsgrundsätze von der heutigen Archivwissenschaft nicht mehr geteilt werden. Es ist absehbar, dass auch das Oettingische Urbar einmal umsigniert und einem provenienzreinen Fonds zugewiesen werden wird.

Nun liegt erstmals eine kritische Edition dieses Urbars vor, besorgt von Elisabeth Grünenwald, die selbst viele Jahre lang die Hüterin des Archivs in Oettingen gewesen ist und in der Vergangenheit bereits einige wichtige Zeugnisse der oettingischen Geschichte ediert hat, wie etwa das älteste Lehenbuch der Grafschaft Oettingen (Das älteste Lehenbuch der Grafschaft Öttingen. 14. Jahrhundert bis 1471 [1477], Öttingen und Augsburg 1975/1977, 2 Bde.). Allerdings hat die ausgewiesene Kennerin der oettingischen Geschichte die Publikation des Bandes nicht mehr erlebt, sie verstarb hochbetagt im Jahr 2018.

Die Edition bietet in solider Weise eine vollständige und getreue Transkription des Urbars. In 1256 Einträgen erfährt der Leser – nach Ämtern gegliedert – alles über die Beständer, die Hofgrößen, die Zinsen und Abgaben sowie die vorhandenen Äcker und Wiesen in diesem Teil der Grafschaft. Der umfangreiche Anmerkungsapparat erläutert Besonderheiten der Handschrift und gibt historische Einordnungen. Ausführliche Orts- und Personenregister erleichtern die Orientierung. Eine ausführliche und fachkundige Einleitung stellt die Archivalie eingehend vor und geht dabei insbesondere auf die Datierung der Handschrift, die Schreiberproblematik sowie die Grundsätze der Textgestaltung ein. Ein ergänzender Beitrag des Leitenden Archivdirektors Reinhard H. Seitz informiert über die Geschichte und das Schicksal der Handschrift. Einige Anhänge bieten weiterführende Informationen zu der Grafschaft und den Grafen von Oettingen.

Fast zwangsläufig drängt sich heute bei jedem Editionsprojekt die Frage auf, ob Editionen von Urbaren oder auch anderen Formen von Amtsbüchern in Buchform überhaupt noch zeitgemäß sind. Die Staatlichen Archive Bayerns verfügen seit kurzem über eine Erfassungsmaske, die es erlaubt, unterhalb der Archivalieneinheit Metadaten zu erheben, also bei Amtsbüchern etwa auf der Ebene der einzelnen Einträge. Freilich fehlen angesichts der Menge der in den bayerischen Staatsarchiven verwahrten Amtsbücher die Kapazitäten, um eine so tiefgehende Erschließung generell zu bieten. Vor diesem Hintergrund bleibt der Wunsch der Forschung nach kritischen Editionen unverändert bestehen. Gerade bei den Urbaren, deren Bedeutung in der Forschung, neben den klassischen Feldern wie Agrar-, Siedlungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte etwa im Hinblick auf den symbolischen Gehalt von Herrschaft oder die Bedeutung von „pragmatischer Schriftlichkeit“, zuletzt wieder zugenommen hat, gilt, dass Editionen nach verbindlichen Grundsätzen wichtig und für die historische Forschung nicht wegzudenken sind. Insofern ist der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft zu danken, dass sie auch nach dem Tod der Bearbeiterin sich die Verpflichtung auferlegt hat, das Werk in dieser Form herauszugeben.

Eine zu große Zersplitterung der Editionsvorhaben ist freilich zu vermeiden. Man wird daher in Zukunft zunehmend digitalen Editionsformen begegnen, die die Möglichkeit schaffen, mit Hilfe digitaler Verfahren die verschiedenen Grundlagenforschungen im Bereich der Quellenarbeiten zusammenzuführen und zu verdichten. Es wird denkbar sein, die Informationen aus den Urbaren bereits digital zu erfassen oder die Ergebnisse klassischer Editionsprojekte in einer elektronischen Umgebung zusammenzufassen.