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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Stefan Bürger

Spätgotische Baukunst in Unterfranken. Ein Überblick zur Baukultur von 1370 bis 1530

(Quellen und Forschungen zur Geschichte von Bistum und Hochstift Würzburg. Sonderveröffentlichung), Würzburg 2022, Echter, 1274 Seiten, 2 Bde., zahlreiche farbige Abbildungen


Rezensiert von Erich Schneider
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.01.2024

Während die Baukunst des Barock auf dem Gebiet des heutigen Unterfranken mit Würzburg als Sitz des Fürstbischofs regelmäßig im Fokus der Kunstgeschichte steht, wurde die spätgotische Architektur dieser Region bisher eher dilatorisch oder meist in Monographien behandelt. So griff man auf die vor über 100 Jahren publizierten Inventarbände zurück oder begnügte sich mit den recht unterschiedlichen Beiträgen des 1999 erschienenen Dehio Franken. Wenn man nun aber behauptete, dass Stefan Bürgers zweibändiges Opus – von ihm bescheiden „Studie“ tituliert – in diese Bresche springt, dann wäre das eine Verniedlichung der darin dargebotenen Leistung. Hier werden nämlich zum ersten Mal rund anderthalb Jahrhunderte Architekturgeschichte um ihrer selbst willen mit enzyklopädischem Anspruch wissenschaftlich bearbeitet. Mitgewirkt hat ein Team, das aus einem vom Forschungsfonds der Philosophischen Fakultät und des Instituts für Kunstgeschichte der Julius-Maximilians-Universität Würzburg unterstützten Projekt herausgewachsen ist. Hier ragt die Leistung der Fotografin Birgit Wörz mit ihren sachlichen, detailliert das Wesentliche zeichnenden Aufnahmen heraus.

Auffällig ist die umfangreiche Bautätigkeit im Untersuchungszeitraum von 1370 bis 1530, die überrascht, weil diese Epoche von Pest, Not und sozialen Spannungen bis hin zum sogenannten Bauernkrieg und der Reformation geprägt war. Die Studie legt, sich an den Amtszeiten der Würzburger Fürstbischöfe orientierend, einen Fokus auf die kleinteiligeren Veränderungen der baukulturellen Entwicklungen und untersucht das besondere Spannungsverhältnis von Baukunst und Herrschaft. Dafür gibt es in der dargebotenen Komplexität keine Vorarbeit. Aber es leuchtet ein, dass der Bau von St. Johannis in Kitzingen ab 1402 auch dem Umstand geschuldet war, dass wenige Kilometer jenseits des Mains die Markgrafen von Brandenburg regierten, an die die Stadt ab 1443, also mitten im Bau der Kirche, vom Fürstbischof verpfändet wurde. Selbst bei St. Veit in Iphofen dürfte das herrschaftliche Gemenge im Umland eine Rolle gespielt haben. Deshalb gliedert sich der erste Band in drei chronologisch angelegte Hauptkapitel zur Baukultur um und nach 1400, jener um die Mitte des 15. Jahrhunderts und der um 1500, jeweils entlang den Regierungszeiten der Würzburger Fürstbischöfe.

Methodisch von Bedeutung ist ferner, dass zunächst die Architektur als Primärquelle analysiert und in den Vergleich gesetzt wird, erst danach folgt die vielfach lokalen Sichtweisen geschuldete Sekundärliteratur. Traditionell nutzt die baukünstlerische Analyse den Vergleich: Bei Großbauten reihen sich Bauphasen aneinander und häufig verändert sich die ursprüngliche Planung. Im vorliegenden Fall fragt Bürger jedoch nicht alleine nach Gemeinsamkeiten und daraus ableitbaren Filiationen, sondern er sucht gerade Veränderungen und Unterschiede zwischen den Bauphasen respektive den Bauten und fragt nach den möglichen Ursachen. Das ist dann unter anderem Gegenstand des zweiten Bandes. Er widmet sich Aspekten der Baukunst, -technik und -organisation und bietet ein Literaturverzeichnis sowie eine äußerst umfangreiche Dokumentation und ein bebildertes Ortsregister von 249 Objekten.

Als besonderen Glücksfall für das bearbeitete Thema darf man es ansehen, dass der Autor seine Sozialisation zunächst im Handwerk und in der Denkmalpflege erfuhr, bevor er sich der wissenschaftlichen Kunstgeschichte zuwandte. Es fällt daher positiv auf, dass Bürger, wenn er zum Beispiel von Gewölben oder Maßwerken handelt, nicht alleine ästhetische Maßstäbe im Blick hat, sondern den jeweiligen Stein und seine Verarbeitung zu beurteilen weiß.

Der vielgestaltige Kosmos an spätgotischen Bauten, den Bürger vor uns ausbreitet, reizt geradezu zu kritischen Fragen und Anmerkungen, was ich jedoch als Merkmal der Qualität der dargebotenen Leistung beurteilen möchte: Müsste man etwa, wenn man die Fries-Chronik der Würzburger Fürstbischöfe anspricht, nicht auch die Papius-Chronik der Grafen zu Castell – den „Anti-Fries“ – im dortigen Archiv einbeziehen? Sollte man bei St. Johannis in Schweinfurt nicht die baukünstlerischen Beziehungen zu den Zisterziensern in Ebrach stärker gewichten? Das alles aber sind Petitessen angesichts der Leistung von Stefan Bürger, den lange brachliegenden Acker der spätgotischen Baukunst in Unterfranken auf entschlossene Weise wieder gepflügt und zur weiteren Aussaat auch für künftige Bearbeiter vorbereitet zu haben.