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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Julia Bloemer

Empirie im Mönchsgewand. Naturforschung in süddeutschen Klöstern des 18. Jahrhunderts

(Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit 22), Göttingen 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, 276 Seiten, etliche Abbildungen


Rezensiert von Georg Schrott
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 24.01.2024

Sowohl die Wissenschaftsgeschichte wie die Ordensgeschichte werden erheblich von der neuen Studie „Empirie im Mönchsgewand“ profitieren. Es handelt sich um die Dissertation von Julia Bloemer, die sich mit „Naturforschung in süddeutschen Klöstern des 18. Jahrhunderts“ (Untertitel) befasst, vor allem mit Beispielen aus dem bayerischen Raum. Sankt Emmeram und Polling genießen ohnehin einen Ruf als monastische Wissenschafts-Leuchttürme. Aber auch Klöster wie Rott am Inn, Indersdorf oder Fürstenfeld leisteten in dieser Zeit Beiträge zur empirischen Welterkundung. Deren organisatorische und institutionelle Beschaffenheit ist auf den etwas irritierenden Begriff des „kollektiven Empirismus“ gebracht (S. 40 u.ö.). Plausibler erschiene der Ausdruck „kollektive Empirie“, doch hat der von Bloemer verwendete Terminus anscheinend schon einen festen Platz in der Wissenschaftsgeschichte gefunden.

Was und wie konkret geforscht wurde, analysiert die Autorin in drei Durchgängen. Der erste Hauptabschnitt wendet sich unter der Überschrift „Naturforschung im Kollektiv“ (S. 39–118) der meteorologischen Datenerhebung zu. In die Messnetze der Societas Meteorologica Palatina wie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften waren mehrere Klöster integriert, denn „[d]er monastische Lebensstil machte die Ordensgelehrten zu idealen Wetterbeobachtern“ (S. 78). Das hatte mehrere Gründe: Die stabilitas loci, der gleichmäßige klösterliche Tagesrhythmus und die finanzielle Absicherung der Konventualen sorgten dafür, dass sie über lange Zeiträume zuverlässig für das regelmäßige Ablesen der Instrumente zur Verfügung stehen konnten. Durch diese Tätigkeit allein wurden die Akteure natürlich noch nicht zu „Gelehrten“, eher lässt sich ihr Tun mit heutiger „Citizen Science“ vergleichen. Dass das Attribut „gelehrt“ aber trotzdem zutrifft, liegt daran, dass die beteiligten Mönche und Chorherren innerhalb ihrer Konvente auch sonst eine hohe fachliche Expertise besaßen, beispielsweise als Professoren im jeweiligen Hausstudium, wo im Rahmen der Philosophie zunehmend Experimentalphysik praktiziert wurde.

Der zweite große Abschnitt trägt die Überschrift „Naturforschung im Observatorium“ (S. 119–174). Hier geht es um die Wechselwirkung von Forschungsfragen und verfügbaren Infrastrukturen, für die etliche Klosterprälaten nicht nur aus fachlichem Interesse, sondern auch aus Gründen der Repräsentation sorgten. Sternwarten gestatteten es dann den Angehörigen verschiedener Konvente, sich an der astronomischen Forschung zu beteiligen. Bedeutsam war in diesem Bereich beispielsweise der Venustransit im Jahr 1761, der in ganz Europa mit großem Interesse beobachtet und vermessen wurde. Immer mehr Klöster richteten auch mathematisch-physikalische Armarien ein. Um die dafür notwendigen Instrumente erhalten und Beobachtungen und Messergebnisse austauschen zu können, war die Vernetzung in geeigneten Commercia litterarum erforderlich. Bloemer konstatiert hier: „Die einzelnen monastischen Gelehrtenkorrespondenzen beruhten auf dem klösterlichen Kommunikationsradius.“ (S. 170) Abermals zeigt sich also, dass die regulierte Lebensform eine Wissenschaftskultur eigener Art bedingte und ermöglichte.

Der dritte Teil wendet sich unter der Überschrift „Naturforschung vor Publikum“ (S. 175–232) dem Interesse zu, das in den Klöstern dem Phänomen der Elektrizität entgegengebracht wurde. Für den klösterlichen Alltag war dieses vor allem im Hinblick auf den regen Gewitterdiskurs im späten 18. Jahrhundert bedeutsam, der nicht nur Fachleute, sondern auch Regierende und Bauherren beschäftigte. Mit dem Voranschreiten der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse setzte sich mehr und mehr der Blitzableiter durch. Begleitet wurde dessen Verbreitung durch landesherrliche Dekrete gegen das Wetterläuten, über das ebenfalls ein eigener Diskurs geführt wurde. Hier legt Bloemer den Akzent auf die physikalische Argumentation und referiert Positionen und Einwände sowie Alternativen wie das Gewitterschießen. Dass man geweihten Glocken als Sakramentalien eine apotropäische Wirkung zutraute, wird einmal kurz erwähnt (S. 182), dürfte freilich im ländlich-religiösen Milieu und damit in der Gesamtlage des Konflikts eine weitaus größere Rolle gespielt haben als eventuelle physische Wirkungen des Geläuts auf Gewitterwolken. Öffentlich war aber nicht nur die Diskussion über Gewitter und Blitzableiter, sondern in unterschiedlichen Graden auch die Nutzung der physikalischen Instrumente in den klösterlichen Armarien. Der Standort des Ordenshauses spielte dabei eine wichtige Rolle. Im Regensburger Kloster St. Emmeram wurden für Interessenten aus der städtischen Bürgerschaft öffentliche Vorlesungen veranstaltet. In den Landklöstern waren die Adressaten überwiegend die Besucher der Hausstudien und die Konvente. Jedenfalls trug die naturkundliche Demonstrationskultur zu einer Öffnung der Klöster gegenüber der Außenwelt bei.

Ordensgeschichtlich interessant ist der Umstand, dass die naturkundlichen Aktivitäten der Religiosen nicht aus dezidiert religiöser Motivation betrieben wurden. Die Akteure hatten lediglich das „Selbstverständnis, als Mönche in besonderer Weise den Auftrag zu gelehrten Studien zu haben und damit Gott und den Menschen zu dienen“ (S. 231).

Leserinnen und Lesern, die sich nicht für alle naturkundlichen Details interessieren, ist unbedingt die „Abschließende Synthese“ (S. 233–253) als Lektüre empfohlen. Hier sind in dichter Abfolge zahlreiche Aussagen zusammengefasst, die die naturkundlichen Aktivitäten in den Konventen beschreiben und interpretieren. Demnach müssen die Klöster neben den Universitäten und Akademien deutlicher als Wissensorte wahrgenommen werden, wo sich die Forscher allerdings „in einem binnen-zentrierten Kommunikations- und Diskursraum“ (S. 234) bewegten, dort aber die süddeutsche Wissenschaftsentwicklung entscheiden mitprägten und dadurch zum Entstehen einer polyzentrischen Wissenschaftslandschaft beitrugen (S. 241). Dabei suchten sie sich üblicherweise Forschungsgebiete aus, die sich mit der monastischen Lebensform besonders gut vereinbaren ließen.

Bloemers Untersuchungen stellen eine enorme Bereicherung der Forschung zur Ordens- wie zur Wissenschaftsgeschichte und zur Katholischen Aufklärung dar. Dennoch handelt es sich bei ihrer Studie eher um einen Start- als um einen Endpunkt. Die Beispiele klösterlicher Naturforschung, die die Autorin ausgewählt hat, lassen sich insgesamt dem Feld der physikalischen Empirie zuordnen (mit den davon abhängigen Wissenschaftszweigen der Meteorologie und Astronomie). Die getroffene Themenauswahl ist sinnvoll und ergiebig genug. Dass in vielen Klöstern auch botanische oder geologische Sammlungen angelegt wurden, sei hier nur erwähnt, um darauf hinzuweisen, dass das Thema mit Bloemers Untersuchung noch lange nicht erschöpft ist.

Nicht übersehen werden sollte, dass die Studie nicht „die“ frühneuzeitlichen Klöster behandelt, sondern eine methodisch ergiebige Auswahl. Bei Polling und Sankt Emmeram, die in der Untersuchung einen besonders breiten Raum einnehmen, handelte es sich aber eher um Ausnahmeklöster, repräsentativ für das Religiosentum in seiner Breite waren sie nicht unbedingt. Für ein stimmiges Gesamtbild bestünde nun die etwas undankbare Aufgabe, eine Negativgeschichte der naturkundlichen Klosterforschung zu schreiben: Wo gab es ein weitgehendes Desinteresse, wo vielleicht gar eine explizite Ablehnung der methodischen Beschäftigung mit den Planeten, dem Wetter und der Elektrizität? Im dem Hin und Her von Aufklärung und Gegenaufklärung, das im monastischen Feld herrschte, wären dies interessante künftige Fragestellungen. Bloemers Studie kann dafür als Impuls und als Referenzwerk gelten.