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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Sarah Maria Lorenz/Daniel Hohrath/Priscilla Pfannmüller/Ansgar Reiss

Das Zelt des Großwesirs. Ein osmanisches Schlafzelt aus der „Türkenbeute“ des Kurfürsten Max II. Emanuel im Bayerischen Armeemuseum. Studien zur Geschichte eines musealen Objekts von 1687 bis 2023

(Kataloge des Bayerischen Armeemuseums 22), Lindenberg i. Allgäu 2023, Josef Fink, 292 Seiten, zahlr. Abbildungen


Rezensiert von Stephan Deutinger
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 02.02.2024

Das „Türkenzelt Max Emanuels“ ist von jeher das Prunkstück des 1879 gegründeten Bayerischen Armeemuseums. Seine Präsentation wurde immer mit besonderer Sorgfalt betrieben. Die Neuaufstellung im Jahr 2021 in einem eigenen Raum war begleitet von intensiven Forschungen zum Zelt selbst, aber auch zu den anderen Stücken der „Türkenbeute“, die im selben Ausstellungsraum gezeigt werden. Die vorliegende Publikation dokumentiert diese Forschungen ausgiebig in Wort und Bild.

In der bayerischen Geschichtskultur stellt das Zelt seit langem einen wichtigen Bezugspunkt dar. Für die Traditionspflege der bayerischen Armee, die sich als seit der Max-Emanuel-Zeit stehendes Heer betrachtete, war es ebenso bedeutsam wie für das staatliche Selbstbewußtsein, das mit der Erinnerung an die Türkenkriege auf die tatkräftige Mitwirkung und Bewährung Bayerns bei der Lösung gesamteuropäischer Aufgaben verweisen konnte.

Dieser Bedeutung entsprechend, war der Informationsstand über das Zelt schon bisher recht gut. Seine wechselvolle Geschichte galt in ihren wesentlichen Umrissen als bekannt. Am 12. August 1687 bei der Schlacht am Berg Harsán erobert, fiel das prächtige Schlafzelt des Großwesirs Suleiman Pascha dem kaiserlichen Unterfeldherrn Max Emanuel als Beute zu, der es mit nach München brachte und sowohl im Feld als auch bei Festlichkeiten selbst benutzte. Auch im 19. Jahrhundert wurde es als Heereseigentum nicht geschont und als Feldrequisit eingesetzt, bis es dem neuen Armeemuseum übergeben und zunächst im Zeughaus an der Münchener Lothstraße, dann am Hofgarten, seit 1967 schließlich im Ingolstädter Neuen Schloß ausgestellt wurde.

Das „Buch zum Ausstellungsraum“ hebt den Kenntnisstand zu dem historischen Objekt nun auf höchstes Niveau. Die Materialität und die künstlerische Gestaltung des Zeltes einschließlich seiner Restaurierungsgeschichte werden bis ins Detail analysiert. Wichtige Informationen zur historischen Einordnung liefert ein Abschnitt über die osmanische Zeltkultur, näherhin über die Herstellung und die Verwendung der „mobilen Paläste“, die auf Feldzügen den Mittelpunkt regelrechter Zeltburgen aus Abertausenden von Zelten bildeten. Äußerste Akribie wird dann auf die Darstellung der Schlacht am Berg Harsán und den Vorgang der Eroberung der türkischen Zeltburg verwendet, bis hin zur Diskussion der Frage, welcher der Feldherrn sie zuerst erreicht haben mochte; offenbar war das nicht der junge bayerische Kurfürst, der wegen der entscheidenden Rolle seiner Truppen aber dennoch das symbolträchtige Schlafzelt des gegnerischen Oberbefehlshabers mit der Kriegskasse in Besitz nehmen und die erste Nacht nach der Schlacht darin verbringen durfte. Schließlich wird der Weg des Zeltes „von der Trophäe zum Ausstellungsstück“ an Hand aller erreichbaren historischen Aufzeichnungen, Inventare und Abbildungen nachgezeichnet, wobei besonders auf die langen Strecken hingewiesen wird, zu denen keine schriftlichen Nachrichten vorliegen und die es wohl unmöglich machen, zu letzten Gewißheiten in allen Details des Überlieferungsprozesses zu gelangen.

Ein kurzer Katalogteil inventarisiert alle Stücke des neuen Ingolstädter Ausstellungsraums, der neben dem Schlafzelt auch eine als „Kriegskasse“ bezeichnete Eisentruhe, einen türkischen Prunkstreitkolben (Pusikan), zwei osmanische Pauken sowie zeitgenössische Historienbilder umfaßt. Der Katalog enthält auch die Daten zu den im Buch immer wieder angesprochenen weiteren Stücken der Türkenbeute, die wegen ihrer Größe bzw. ihres Erhaltungszustandes nicht gezeigt werden können. Daß über den riesigen Baldachin aus dem Zeltkomplex Suleiman Paschas, der wohl zu einem Audienzzelt gehörte, kaum Aussagen gemacht werden können, ja daß er nicht einmal ausgerollt, geschweige denn restauriert werden kann, erinnert schmerzlich an die letztlich eben doch eng begrenzten Ressourcen, die für die aktive Pflege der bayerischen Geschichte zur Verfügung stehen.

Das typographisch vorzüglich gestaltete Buch stellt eine wichtige Bereicherung der Literatur zur Geschichte der Max-Emanuel-Zeit ebenso wie zur bayerischen Kriegsgeschichte dar. Sein besonderer Wert liegt in der akribischen Dokumentation der aufwendigen Nachforschungen. Erstmals werden alle Bestandteile des „Türkenzeltes“ und die anderen Stücke der Ingolstädter Türkenbeute in qualitätvollen farbigen Abbildungen publiziert, die jedes Detail erkennen lassen. Eine Vielzahl an ergänzenden historischen Bildern gibt das Material an die Hand, um die Objekte in ihrer praktischen, aber auch in ihrer geschichtspolitischen Verwendung einordnen zu können. Für jede Beschäftigung mit dem bayerischen Erinnerungsort der Türkenkriege ist das Buch künftig unverzichtbar.