Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Angelika Tasler/Ulrike Schwarz

Stadtmusiker in Dinkelsbühl und Nördlingen 1500–1800. Eine Anthologie

(Editio Bavarica X), Regensburg 2022, Friedrich Pustet, 431 Seiten, 7 Abbildungen


Rezensiert von Maria Magdalena Zunker
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 02.02.2024

Die beiden freien Reichsstädte Dinkelsbühl und Nördlingen boten in der Frühen Neuzeit Stadtmusikern attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen. Beide Städte, die nur dem Kaiser unterstanden und zudem bedeutende Handelsstädte waren, wurden geprägt durch ein selbstbewusstes Bürgertum mit einem starken Repräsentationsbedürfnis. Diesem hatten die Stadtmusiker zu dienen, die daher durch einen besonderen Status ausgezeichnet waren. Die sogenannten Stadtpfeifer genossen den besonderen Schutz der Stadt, waren den städtischen Beamten fast gleichgestellt, hatten ein festes Einkommen und wurden bei Auftragsvergaben bevorzugt. Zudem waren sie, da beide Reichsstädte nur eine mittlere Größe erreichten, nicht so spezialisiert wie ihre Kollegen in den größeren Städten. Als musikalische Alleskönner, die meist neben verschiedenen Blas- auch Streichinstrumente beherrschten, spielten sie bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten, bei städtischen Anlässen mit Feierlichkeiten und Festmählern für hochstehende Persönlichkeiten, in Gottesdiensten, bei Feiern des Rats, der Patrizierfamilien, bei sich meist über mehrere Tage erstreckenden Festivitäten der Handwerkerzünfte. Diese in vielerlei Hinsicht idealen Lebensbedingungen für Stadtmusiker, Nährboden für eine ganz besondere urbane Musikkultur, sind in den mit reichen Beständen ausgestatteten Stadtarchiven Dinkelsbühls und Nördlingens bestens dokumentiert.

Die vorliegende Edition einer repräsentativen Auswahl von schriftlichen Zeugnissen aus diesen beiden Einrichtungen ist das Ergebnis höchst effektiver fachübergreifender Zusammenarbeit der Musikwissenschaftlerin, praktizierenden Organistin und Chorleiterin Angelika Tasler mit der Historikerin und Germanistin Ulrike Schwarz. Die Edition entstand innerhalb des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten und von den Lehrstühlen Musikwissenschaft und Germanistik der Universität Augsburg betreuten Forschungsprojekts „Urbane Musikkultur in oberdeutschen Reichsstädten“. Das edierte Quellenmaterial ist im Original kostenfrei digitalisiert abrufbar auf der Website www.bavarikon.de, wo über die Anthologie hinaus weitere Dokumente aus den beiden Stadtarchiven zur Verfügung stehen. Ergänzend wird eine kleine Ausstellung zum Thema „Stadtmusiker“ gezeigt.

Im dem der Edition vorausgehenden Einleitungteil (A–C) wird der Leser in mehreren Schritten didaktisch geschickt immer näher an die Thematik und schließlich an die historischen Dokumente selbst herangeführt. Angelika Tasler gibt zunächst im Abschnitt B einen prägnanten allgemein gehaltenen Überblick über die Stadtgeschichte von Dinkelsbühl und Nördlingen (B I.), um dann den Fokus in höchst informativen „biographischen Bausteinen“ (S. 22) näher auszurichten auf die Stadtmusiker selbst (B II.). In einem dritten Schritt beschreibt sie Art und Inhalte des hier edierten Aktenmaterials zu den Stadtmusikern der beiden Reichsstädte vom Beginn der Frühen Neuzeit bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit (B III.). Im letzten Teil der Einleitung gibt Ulrike Schwarz einen instruktiven Einblick in die Struktur, die Arbeit und das Schriftwesen der reichsstädtischen Kanzleien sowie in deren sich im Laufe der Jahrhunderte stetig verändernde Ausdrucksformen, die sie durch mit Abbildungen versehene Beispiele und Verweise auf die im Folgenden edierten Dokumente veranschaulicht (C).

Die von den Autorinnen gemeinsam erstellte, den Hauptteil des Bandes einnehmende Edition der historischen Dokumente (D) ist nach Themen unterteilt und dabei chronologisch angeordnet: I. Persönliche Zeugnisse, II. Die Musikerfamilien Raiger, Klotz und Hetsch, III. Konkurrenten, IV. Frauen, V. Musik als Beruf, VI. Organisation und städtische Erlasse zur Musik. Ein der Edition vorangestelltes, ausführliches, die jeweiligen Betreffe benennendes Verzeichnis der edierten Dokumente gibt einen guten Überblick und eine nützliche Vorausschau. Überhaupt ist die Anthologie leserfreundlich und übersichtlich gestaltet. Als hilf- und lehrreich erweisen sich die Einführungen zu den jeweiligen Themengruppen sowie die fachkundigen Erklärungen und Kommentare zu jedem einzelnen Dokument. Mit Hingabe bemühten sich die Editorinnen hierbei, in weiteren Quellen Daten zur Personengeschichte und zu den historischen Zusammenhängen zu ermitteln. Bei der Edition wurde die ursprüngliche Schreibweise bewusst beibehalten, um so die Entwicklung der Normierung von Orthographie und Schrifttypen in der Zeit vom 16. bis zum späten 18. Jahrhundert direkt nachvollziehbar zu machen. In den Fußnoten werden schwer verständliche Begriffe und Satzteile ins Hochdeutsche übersetzt, bisweilen auch kommentiert. Sehr benutzerfreundlich ist, dass die entsprechenden Begriffe und Satzteile in der Fußnote in schrägem Druck wiederholt werden.

Die Anthologie besteht zumeist aus Schreiben einzelner Personen beziehungsweise von Personengruppen, entstanden in der Kommunikation zwischen Bürgern sowie Einwohnern mit den jeweiligen Stadtverwaltungen. Es handelt sich bei den Dokumenten also vorrangig um Selbstzeugnisse. Diese, zumeist Supplikationen und Beschwerden, oft auch Anträge und Bewerbungen und weitere Anliegen, bieten vielfältigste, höchst lebendige Einblicke in den Alltag der Stadtpfeifer. Die Dokumente bezeugen unter anderem sich über mehrere Jahrhunderte erstreckende, in den beiden Reichsstädten nachweisbare regelrechte Musikernetzwerke, so etwa die der Familien Raiger, Klotz und Hetsch. In den aus einem Zeitraum von über drei Jahrhunderten stammenden Dokumenten werden Schicksale und Lebensumstände, Arbeitsbedingungen, Schwierigkeiten und verschiedenste Konflikte, darunter auch solche konfessioneller Art, dieser drei Familien, aber auch vieler weiterer Stadtmusiker und deren Angehöriger vor Augen geführt. Lebendig werden etwa das Leid und die Probleme, die der gewalttätige Schwiegersohn von Johann Heinrich Hetsch verursachte, vor Augen geführt („Nördlingen 1695“), ebenso die Not, in die Maria Barbara Hetsch wegen eines unehelichen Kindes geriet, aber auch die Unterstützung, welche diese durch ihre Familie erfuhr („Nördlingen 1704“). Von starker Aussagekraft sind die archivalischen Zeugnisse der vierten Themengruppe „Frauen“, auf die besonders hingewiesen sei (S. 238–265). Höchst anschaulich wird in den insgesamt sieben Beispielen aus Nördlingen gleichsam in Schlaglichtern der Blick auf die weibliche Komponente der fast ausschließlich von Männern geprägten Stadtmusikerwelt gelenkt. Meist sind es Witwen, die in Supplikationen an die Stadträte um finanzielle Zuwendungen bitten. Die fünf Beispiele für diese Gruppe von Supplikantinnen führen deutlich die wirtschaftlich katastrophale Situation von zu damaliger Zeit in den Witwenstand geratenen Frauen vor Augen. Beeindruckend ist, wie selbstbewusst und beharrlich diese bisweilen jahrzehntelang um ihr und ihrer Kinder Recht kämpften. Leider verraten die Quellen nicht oder doch nur unzureichend, wie weit diese Supplikationen Gehör fanden. Gerne wüsste man auch, ob das Bittgesuch der von ihrem Ehemann verlassenen Margaretha Fürst, ebenso, ob die mit dem Mut der Verzweiflung im Gefängnis verfasste Bittschrift der von ihrem Geliebten im Stich gelassenen Elisabeth Holtzmann („Nördlingen 1569“ und „Nördlingen 1622“) Erhörung fanden. Wohltuend ist besonders hier, aber auch an anderen Stellen die verhaltene, aber dennoch spürbare Empathie in den Kommentaren der beiden Editorinnen. Ein lebendiges Bild vom harten Alltag der Nördlinger Türmer, von deren Wachsamkeit die Sicherheit der Stadt abhing, deren Tätigkeit sich aber dennoch nicht selten mit der der Stadtmusiker überschnitt, geben die Dokumente „Nördlingen 1702/1705“. Die Beispiele für Supplikationen wegen von der Stadt verordneter Spielverbote „Dinkelsbühl 1572“ und „Nördlingen 1654/1657“ der sechsten Themengruppe zeigen, wie gefährdet das Auskommen der Stadtmusiker und ihrer Familien letztendlich - trotz aller Privilegien - war, denn solche Verbote hatten wegen der durch sie verursachten Einbuße von Honoraren für die Stadtmusiker existenzbedrohende Folgen.

Diese wenigen Beispiele können einen nur unzulänglichen Eindruck vermitteln von der Vielfalt der in der Edition präsentierten Dokumente sowie von der Fülle der mittels dieser zu gewinnenden Erkenntnisse. Der Registerteil (E), der ein Glossar, ausführliche Orts- und Namensverzeichnisse sowie eine Bibliographie umfasst, bildet den Abschluss dieser überaus gelungenen Quellenedition.

Abschließend sei betont, dass die beiden Autorinnen ihr Ziel, „eine für Musik-, Sprach- und Geschichtswissenschaftler“ problemlos lesbare Ausgabe frühneuzeitlicher Stadtmusikerdokumente bereitzustellen, sowie „den sich konstant verändernden schriftlichen Ausdruck im Umfeld einer reichsstädtischen Kanzlei“ zu vermitteln (S. 51), in bestem Sinne erreicht haben. Bei aller wissenschaftlichen Professionalität ist der Band aber auch, wie ebenfalls von den Editorinnen ausdrücklich beabsichtigt, ein spannendes, ja unterhaltsames Lesebuch für eine „breite Öffentlichkeit“ (S. 7). Die Anthologie ist von hoher methodisch-didaktischer Qualität. Als großer Gewinn für das Buch erwies sich hierbei die Praxisnähe der beiden lehrerfahrenen Autorinnen. Da die Originaltexte leicht im Internet abrufbar sind, sei die Quellenanthologie auch als Übungsbuch zum Lesenlernen frühneuzeitlicher Archivalien empfohlen. Dem in handlichem Format recht bescheiden daherkommenden, aber ungemein gehaltvollen Werk ist eine weite Verbreitung zu wünschen.