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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Gerd Holzheimer

Olaf Gulbransson. Eine Biographie

München 2021, Allitera, 328 Seiten, zahlreiche Illustrationen


Rezensiert von Waldemar Fromm
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 09.02.2024

Olaf Gulbransson (1873-1958) ist heute vor allem als Zeichner für die Zeitschrift „Simplicissimus“ und als Porträtist bekannt. Allein für den „Simplicissimus“ hat er über 2400 Zeichnungen angefertigt, daneben zahlreiche Bücher illustriert, Titelblätter entworfen, Zeitgenossen porträtiert sowie eigene Bücher verfasst.

Der Verleger Albert Langen lernte Gulbransson 1902 während eines Besuchs beim norwegischen Autor und Politiker Bjørnstjerne Bjørnson kennen, nachdem er seine Tätigkeit ein Jahr lang beobachtet hatte. Er konnte Gulbransson für die Mitarbeit am „Simplicissimus“ gewinnen. Dieser hatte bereits in jungen Jahren Karriere als Zeichner und Karikaturist für norwegische Medien gemacht und brauchte das Angebot nicht anzunehmen. Gleichwohl tat er es und wurde so zum Begleiter der helleren und dunklen Abschnitte in der Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Gulbransson konnte, als er von Norwegen mit einer Zwischenstation in Berlin 1902 nach München zog, kein Wort Deutsch und hatte es zunächst nicht leicht, sich in der Kunststadt München zu behaupten. Bereits 1906 erhielt er die bayerische Staatsbürgerschaft. Holzheimer schildert in der Biographie ausführlich die vielen sozialen Kontakte Gulbranssons, Einflüsse auf sein Werk, Impulse, die von ihm ausgingen, sowie seine künstlerischen Arbeiten. Gulbransson wirkte, mit einer vierjährigen Ausnahme, konstant am künstlerischen Leben Münchens und des Tegernsees mit und war seit 1923 Professor an der Staatlichen Kunstgewerbeschule München, was ihn jedoch nicht davon abhielt, die nächsten Jahre überwiegend in Norwegen mit seiner dritten Frau Dagny zu verbringen. 1929 übernahm er die Leitung einer Klasse an der Akademie der Bildenden Künste in München und 1932 die Stelle von Franz von Stuck an der Akademie, die er bis 1943 innehatte.

1933 geriet Gulbransson in die Wirren der Zerstörung der Demokratie. Eine Ausstellung zu seinem 60. Geburtstag im August in München in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus wurde bereits einen Tag nach der Eröffnung geschlossen. Im „Völkischen Beobachter“ warf man ihm vor, er hätte „den Führer der nationalsozialistischen Bewegung in Wort und Bild auf das unflätigste verhöhnt“ und „jahrelang die Angehörigen der S.A. als Mordbestien und Idioten hingestellt“. Auf der anderen Seite unterschrieb Gulbransson den „Protest der Richard-Wagner-Stadt", der sich gegen Thomas Mann wendete, und fügte sich in die NS-Ordnung ein. Holzheimer beurteilt die Rolle Gulbranssons im NS-System zu Recht als diejenige eines Opportunisten. Nach 1945 lebte Gulbransson zurückgezogen auf dem Schererhof oberhalb des Tegernsees. Er blieb als Künstler weiterhin aktiv und wurde schnell wieder zu einer anerkannten Größe auf dem Kunstmarkt.

Die Biographie wartet insgesamt mit einem individuellen und teilweise vergleichenden Zugang zu Leben und Werk Gulbranssons auf. Sie enthält vereinzelt darstellerische Eigenheiten, wie z.B. die Explikation des Geniebegriffs anhand einer Fußballmetapher (S. 77) oder eine Schilderung Norwegens mit dem entsprechenden Eintrag aus einem Band des Zedlerʼschen Universalexikons von 1740 (S. 150) u.a. Manche Leserinnen und Leser haben, das zeigen die Rezensionen, ein solches Vorgehen als erfrischend empfunden. Ob es tatsächlich notwendig ist, die Biographie als Gattung auszufransen, sollte das lesende Publikum entscheiden. Andere Autorinnen und Autoren würden bei Lebensphasen, für die Archivmaterial fehlt oder das vorhandene Material uneindeutig oder spärlich bleibt, die Lücken durch die Schilderung historischer Rahmenbedingungen schließen. Vergleichend geht Holzheimer auch bei der Darstellung der Lebenszeit Gulbranssons nach 1945 vor. Er parallelisiert die Lebenswege von Gulbransson und von Erich Kästner, ein Vergleich, mit dem man sich schwertut, weil Gulbransson ein vom NS-System geachteter, anerkannter und mit Preisen versehener Künstler war, während Kästner sich nur schwer und vor allem pseudonym über Wasser halten konnte. Beide starteten nach Kriegsende 1945 unter geradezu konträren Bedingungen.

Insgesamt betrachtet bleibt Holzheimers Darstellung mitunter zu sehr an der Hagiographie der dritten Frau Gulbranssons, Dagny, ausgerichtet. Der jüngst verstorbene Augsburger Kulturhistoriker Thomas Raff hatte schon früh auf Klitterungen in der Biographie hingewiesen. Elisabeth Tworek hat in dem von ihr 2017 herausgegebenen Band „Trügerische Idylle“ Gulbranssons Verhalten 1933 bis 1945 differenziert und klar geschildert, gerade weil sie auf die Sicht Dagnys verzichtete.

Gleichwohl stellt Holzheimers Gulbransson-Biographie einen ersten wichtigen Schritt dar. Dieser erfordert gleichzeitig den nächsten Schritt: mit noch mehr Recherchen Dagny Gulbranssons Darstellung zu falsifizieren oder zu verifizieren. Für ein so langes, intensiv in Netzwerke eingelassenes Leben wie dasjenige Gulbranssons sind einer Person vermutlich Grenzen gesetzt, die erst durch eine mehrstimmige Forschung überschritten werden können. Das hält wohl schon der erste Satz des Buches fest, das mit der Formulierung beginnt: „Der irdische Bogen von Olaf Gulbransson spannt sich von Norwegen bis an den Tegernsee.“ Diese Formulierung öffnet im Bild des Bogens die Perspektive für viele weitere, die da noch kommen sollen. Man muss auf Fortsetzung der Forschungen gespannt sein.