Aktuelle Rezensionen
Susanne Thürigen
Turm, Spiegel, Buch. Astronomische Tischuhren in Süddeutschland zwischen 1450 und 1650
(Object Studies in Art History 6), Berlin/Boston 2022, 372 Seiten, 120 Abbildungen
Rezensiert von Alice Arnold-Becker
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 09.02.2024
In den Schatzkammern europäischer Museen haben sich bis heute kostbare Uhren süddeutscher Meister aus dem 16. und 17. Jahrhundert erhalten. Darunter befinden sich höchst faszinierende astronomische Tischuhren in Gestalt von kleinen Türmen, Spiegeln oder in Buchform. Bislang beschränkten sich die Untersuchungen dazu im Wesentlichen auf ihre technische Seite, sehr selten wurde ihre Gestalt kunsthistorisch betrachtet. Dabei wurden die aufwendigen Gehäuse, wie Susanne Thürigen in ihrer Dissertation kenntnisreich und anschaulich belegen kann, keineswegs lediglich für die Schaulust ausgewählt. Welche Motivationen genau hinter der jeweiligen Wahl der äußeren Hülle standen, ist Thema der vorliegenden Arbeit.
Voraussetzung für die Gehäusegestaltung war, dass in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Antrieb bei Federzuguhren ins Innere des Gehäuses verlagert worden war. Die Uhrmacher in Augsburg, Nürnberg und München nutzten die Gehäuse nun, um ihr Know-how, ihre technische Expertise, aber auch ihre Gelehrsamkeit zur Schau zu stellen. Mit den Motiven Turm, Spiegel und Buch griffen sie dabei auf für den Laien vertraute Objekte zurück.
In einem ersten Kapitel unterstreicht Thürigen zunächst, welchen technischen Herausforderungen sich die Uhrmacher zu stellen hatten; dass sie nicht nur handwerklich geschickt sein, sondern über Fachwissen in Arithmetik, Astronomie und Kalenderwesen verfügen mussten. Wie erwarben sie sich aber dieses Wissen? Aufgrund ihrer Praxisnähe waren für die Ausbildung der künftigen Uhrmacher insbesondere die privaten, sogenannten „Teutschen Schulen“ in Augsburg und Nürnberg prädestiniert – sie standen in den Reichsstädten unter Aufsicht des städtischen Rats. Neben dem Erstellen von Geschäftsbriefen oder doppelter Buchführung erlernten die angehenden Uhrmacher hier im Rechenunterricht Gewichts- und Maßumrechnung, Bestimmung von Eisen-, Silber- oder Goldgehalt sowie die Kalenderrechnung. Positiv im Sinne selbständiger Wissenserweiterung dürfte sich Thürigen zufolge ferner die vergleichbar hohe Anzahl an Gelehrten und Verlegern in Nürnberg und Augsburg ausgewirkt haben.
Häufig wurde als Gehäusegestalt die Türmchenform gewählt. Wiewohl keine direkten Architekturvorbilder erkennbar sind, lässt sich jedoch eine Nähe zu norditalienischen Türmen feststellen oder die „welsche Haube“ als Turmcharakteristikum bei Augsburger Türmchenuhren wiedererkennen. Der Turm (ebenso wie der Obelisk) eignete sich aufgrund seiner einfachen geometrischen Form als Gehäuse. Vor allem aber wurde er von den Zeitgenossen als Objekt der Messung verstanden, denn Türme dienten zur Strecken- und Höhenmessung. Wie geodätische Instrumente die Höhe der Türme, so überwanden die astronomischen Uhren quasi die Distanz zu den Himmelskörpern. Auftraggeber wie Friedrich II. von Dänemark oder August von Sachsen hatten selbst Erfahrung mit Türmen als Objekt der Messung gemacht und rezipierten dies gewiss in der Mikroarchitektur.
Türme symbolisierten ferner die Großartigkeit der Ingenieurskunst und standen für anspruchsvolle Bauprojekte; in den Kommunen galt der Turmbau als Prestigeobjekt. Daher bot der Turm als Uhrengehäuse die Möglichkeit, die mathematische und technische Meisterschaft der Uhrmacher hervorzuheben. Um besonders hohe technische Kunst und Erfindungsgabe zu symbolisieren, wählte mancher Uhrmacher gar Weltwunderarchitektur wie den „Babylonischen Turm“ als Gehäuseform.
Bei der Wahl der Gehäuseform des Turmes konnten schließlich auch liturgische Geräte wie Hostientabernakel Pate stehen. Dies ist insbesondere bei der Tempietto-Form festzustellen. Der Bezug zum Allerheiligsten ist der Autorin zufolge dabei kein Zufall, sondern vielmehr Anspielung auf die Partizipation an göttlicher Weisheit.
Der zweite Schwerpunkt der Untersuchung ist den astronomischen Tischuhren in der Form eines Spiegels gewidmet. Die älteste erhaltene Spiegeluhr stammt aus Augsburg; ob der Typus auch dort erfunden wurde, kann nicht mit Sicherheit geklärt werden, jedoch spräche dafür, dass in Augsburg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Bau einer Spiegeluhr als Meisterstück verlangt wurde.
Generell haben Spiegel und Uhr die Eigenschaft, das unabdingbare Fortschreiten der Zeit vor Augen zu führen; der Spiegel erinnert den Menschen an seine Vergänglichkeit. Überdies brachte man ihn aber auch mit der Kardinaltugend der Klugheit in Verbindung. Schließlich wurde die Personifikation der Klugheit („prudentia“) mit einem Spiegel dargestellt, da sie alles erkennen und voraussehen kann.
Dass die Gehäuseformen ganz gezielt ausgewählt wurden, kann die Autorin anhand eines besonderen Beispiels belegen: Der Abt von Weingarten schenkte im Jahr 1573 eine Spiegeluhr an Ferdinand II., Erzherzog von Österreich und Schirmvogt der Reichsabtei Weingarten. Dies geschah, nachdem Letzterer nach einigem Ringen dem Kloster endlich seine niedergerichtlichen Rechte und Privilegien zugesichert hatte. Die Spiegeluhr war also ein diplomatisches Geschenk und sollte als Symbol vorausschauenden, klugen Handelns verstanden werden. Da der Spiegel ebenfalls der Muse Urania beigegeben ist, steht er nicht zuletzt in unmittelbarem Zusammenhang mit der Astronomie. Die Autorin kann überzeugend darlegen, dass für Spiegeluhren daher auch ganz bewusst Herkules als Trägerfigur gewählt wurde, denn er galt als personifizierte Stütze des Himmelsgewölbes und Wissensvermittler der Astronomie.
Schließlich ist das letzte Kapitel den astronomischen Uhren in Buchform gewidmet. Die Idee, Uhren in fingierte Bucheinbände zu hüllen, wurde wohl von Klappsonnenuhren inspiriert. Vor allem in Augsburg wurden bis zum Dreißigjährigen Krieg zahlreiche astronomische Buchuhren hergestellt. Thürigen kann zwei verschiedene Typen von Buchuhren identifizieren: bei der ersten Gruppe lässt sich eine klare Verbindung zu privaten Gebetbüchern, den Stundenbüchern, aufzeigen. Dabei besteht zum einen eine Ähnlichkeit in der kostbaren Gestaltung der Einbände, etwa aus Edelmetall. Zum anderen ist die Rhythmisierung oder Zergliederung des Tages ein verbindendes Element zwischen diesem Buchtypus und der Buchuhr. Eine zweite Gruppe sind Buchuhren, die als astronomische Kompendien dienten. Vor allem am Hof Albrechts V. in München waren diese zu finden.
Die reich bebilderte Dissertation überzeugt mit einer beeindruckenden Fülle von Informationen zu den Objekteigenschaften von Turm, Spiegel und Buch aus der kunsthistorischen Bildtradition sowie zeitgenössischen Druckerzeugnissen und schließt eine wichtige Forschungslücke über die Gestalt dieser technischen Wunderwerke.