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Karl-Georg Pfändtner (Hg.)
Das prächtige Rathaus der Stadt Augsburg. Salomon Kleiners Originalzeichnungen aus den Jahren 1727/28 in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg für die Edition der Kupferstichfolge des Augsburger Rathauses
Schatzkiste – Preziosen der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Berlin/ München 2023, Deutscher Kunstverlag, 52 Seiten, 79 Farbabbildungen (darunter zwei Klapptafeln)
Rezensiert von Andreas Tacke
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 20.02.2024
Institutionen ergeht es offenbar wie Privathaushalten: Wenn man umzieht, dann fallen einem lang vermisste Sachen wieder in die Hände oder man entdeckt ‚Neues‘ – Dinge, die ins Haus kamen, aber wieder in Vergessenheit gerieten.
Ähnlich ist es Karl-Georg Pfändtner als Leiter der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergangen, als sie angesichts der aktuellen Sanierung bzw. des Neubaus ihrer Bibliothek alles am alten Standort einpacken und in einem Zwischenstandort wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen mussten. Bei der zeitweisen Auslagerung überließ man jedoch nichts dem Zufall, denn der Umzug wurde genutzt, um jene seit Generationen notgedrungen lediglich summarisch inventarisierten Bestände nunmehr systematisch zu sichten und detaillierter aufzunehmen. Man konnte angesichts der langen und bis in das Jahr 1537 zurückreichenden Geschichte dieser hochbedeutenden Bibliothek mit ‚Neuentdeckungen‘ rechnen, dass sie aber so umfangreich ausfielen, überraschte.
Man entschloss sich, die wichtigsten Entdeckungen sowie „weitere bisher nicht oder ungenügend bekannte Schätze“ der Bibliothek (S. 7) nicht nur der Wissenschaft, sondern allgemeinverständlich formuliert auch einer breiten Öffentlichkeit in einer neu gegründeten Schriftenreihe „Schatzkiste – Preziosen der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg“ bekannt zu machen.
Der Reihentitel ist Programm, wie bereits der erste, nun vorliegende Band belegt. Seinen Buchtitel kann man zudem auf die von Karl-Georg Pfändtner bearbeitete Publikation selbst anwenden: Prachtvoll konzipiert liegt sie als breites Querformat vor. Die Seitenlänge von 45 cm wurde durch den Gegenstand selbst bestimmt. Denn abgedruckt wird originalgroß eine Publikation von 1732, zu der man anlässlich des Bibliotheksumzugs alle „nahezu unbekannt gebliebenen“ (vgl. S. 7) Vorzeichnungen wiederfand. In bibliophiler Aufmachung werden diese Handzeichnungen (circa 28 x 45 cm) den entsprechenden 16 Tafeln des barocken Druckwerks gegenübergestellt (S. 8–39).
1732 erschien bei Jeremias Wolffs Erben „Das Prächtige Rath Hauß der Stadt Augspurg“, welches bereits 1733 eine zweite Auflage erlebte. In diesem Werk in Folioformat werden Ansichten, Grund- und Aufrisse des 1615 von Elias Holl begonnenen und um 1625/26 abgeschlossenen Rathausneubaus vorgestellt (zu diesem siehe nun Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch [Hg.], 450 Jahre Elias Holl [1573–1646]. Meister Werk Stadt [Ausstellung im Maximilianmuseum in Augsburg vom 17. Juni bis 17. September 2023], Petersberg 2023, Michael Imhof Verlag).
Der Augsburger Verlag Jeremias Wolffs Erben arbeitete mit zwei Künstlern zusammen: Zum einen mit dem gebürtigen Augsburger Salomon Kleiner (1700–1761), der seit 1720/21 in Wien lebte – wo der größte Teil seines vielbeachteten Werkes entstand –, und zum anderen mit dem aus Nürnberg (geb. 9. Januar 1697) nach Augsburg eingewanderten Kupferstecher Johann Georg Pintz (Pinz, Penz); sein Todesdatum ist bisher nicht gesichert.
Die gebundene Ausgabe ist rar, auch wenn allein die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg davon gleich sechs besitzt, da Sammler und vor allem der Kunsthandel die Stichfolgen auseinandernahmen – lose Blätter befinden sich so zusätzlich in besagter Bibliothek. Komplex wird es, da der Magistrat der Stadt Augsburg 1867 (oder noch später) von den erhaltenen Druckplatten – die heute in der Graphischen Sammlung der Kunstsammlungen & Museen Augsburg verwahrt werden (vgl. Abb. 2 auf S. 40) – Nachdrucke anfertigen ließ.
1726 erhielt der Verlag für „H.(errn) Kleinert“ die städtische Genehmigung, Zeichnungen vom Rathaus anfertigen lassen zu dürfen und dass er anschließend „solche Zeichnung sodann in Kupfer stechen laßen vnd verkauffen dörff“ (S. 41). Das in seiner Erstauflage 1732 erschienene Druckwerk war – aus eurozentristischer Sicht – für den internationalen Büchermarkt bestimmt, das hieß im 18. Jahrhundert, dass die Texte neben der deutschen auch in französischer Sprache verfasst wurden. Denn der Verleger stellt 1732 in seinem Vorwort das Augsburger Rathaus zu Recht neben Meisterwerke in Italien, Frankreich und Holland und versäumt es nicht, in einem ‚Werbeblock‘ darauf hinzuweisen, dass weitere bedeutende Bauten aus „Teutschland“ in Kupferfolgen in seinem Verlag zu finden seien.
Kleiners Vorzeichnungen zur Augsburger Rathauspublikation wurden noch in reichsstädtischer Zeit in einem einfachen Pappband des 18. Jahrhunderts gebunden und sind in der Bibliothek mit der Signatur „Graph 23/1“ erfasst. Mit dem Wiederauffinden dieser großformatigen Federzeichnungen kann die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek in einem Atemzug mit der Wiener Nationalbibliothek genannt werden, die einen großen Teil der gezeichneten Veduten von Salomon Kleiner ihr Eigen nennt. Die früheste davon stammt aus dem Jahr 1721 und die späteste ist von 1759. Auch wenn der Hauptteil seines künstlerischen Œuvres in Wien entstand, blieb Kleiner seiner Heimatstadt Augsburg nicht nur familiär, sondern auch beruflich verbunden. Dies belegen unter anderem seine wiederaufgefundenen Originalzeichnungen des Augsburger Rathauses aus den Jahren 1727 bzw. 1728, da sie nur an Ort und Stelle entstanden sein können.
Ein Vergleich zwischen den Vorzeichnungen von Salomon Kleiner und der von Johann Georg Pintz umgesetzten Druckgraphik wird dadurch begünstigt, dass der Kupferstecher die lavierten Federzeichnungen seitenrichtig wiedergibt. Beide – Kupferstich und Vorzeichnung – sind jeweils in der aufwendigen Publikation auf einer Doppelseite in ihren Originalgrößen platziert.
Der einführende Text legt prägnant die Entstehungsgeschichte des Druckwerks dar und vergleicht die Vorlagen mit den ausgeführten Stichen. Mit dem Werk kann man quasi als Besucher die städtebauliche Situation würdigen und bei der Gesamtansicht mit Perlachturm dem Treiben auf dem Platz zuschauen. Beispielsweise wie auf einem Schlitten Waren über das Pflaster gezogen werden – ein ganzjährig verwendetes Transportmittel, welches in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts oftmals dargestellt wurde. Man kann einen detailreichen Längs- bzw. Querschnitt betrachten, durch die Grundrisse von drei Stockwerken gehen und die einzelnen Etagen bzw. Räume betreten. Die genrehafte Darstellung löst sich im Rathausinneren auf, da die Nutzung der Räume real wiedergegeben ist. Der Detailreichtum der Vorzeichnungen, der in den Kupferstichen übernommen wurde, ist beeindruckend. In einem Vergleich schlüsselt Pfändtner beispielsweise die malerische Ausstattung der einzelnen Räume auf, denn in seinem Quellenteil (S. 44–50) werden nicht nur die Beschriftungen transkribiert, sondern auch die erhaltenen Gemälde einzeln in Farbabbildungen wiedergegeben. Ein Quellen- (S. 50) und Literaturverzeichnis (S. 51) schließt den Kommentarteil ab.
Das Augsburger Rathaus von Elias Holl kann in keiner Überblicksdarstellung zur europäischen Profanarchitektur der Vormoderne fehlen. Gleich aus welchem Land die reichsstädtischen Gäste auch damals anreisten, sie hatten Vergleichbares noch nie zuvor gesehen. Gerade im Hauptgeschoss ist der genial einfach disponierte Grundriss am prägnantesten ausgebildet. Vier Fürstenzimmer an den Ecken werden vom Hauptraum aus erschlossen. Sie dienten als Empfangs-, Verhandlungs- und Aufenthaltsräume und waren mit prachtvoll gestalteten, raumhohen Kachelöfen beheizbar. Auch sie fielen im Februar 1944 den Flammen zum Opfer. Ihre Rekonstruktion galt lange als nicht durchführbar. Zwei der Prunköfen sind nunmehr rekonstruiert – den Anfang (zwischen 1989 bis 1996) machte die Künstlerin Gertrud Nein (Christoph Emmendörffer/Cristof Trepesch [Hg.], Mensch / Tier. Die Keramikerin und Bildhauerin Gertrud Nein 1943 – 2012. Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg 22. April bis 24. September 2017, Augsburg 2017), deren 5,46 m hoher Ofen im nordwestlichen Fürstenzimmer steht, den Salomon Kleiner mit dem Buchstaben „E“ kennzeichnete.
Auch Kleiners Stichwerk diente neben weiteren Bild- und Schriftquellen nach dem Zweiten Weltkrieg als Grundlage für den Wiederaufbau. Nunmehr ist die Rekonstruktion selbst in die Jahre gekommen, so dass der Goldene Saal für eine Restaurierung geschlossen werden muss – dazu werden beispielsweise auch die Gemälde abgenommen. Die historischen Räume werden nun auf Jahre dem Besucher verschlossen bleiben.
Auch deshalb kann man sich dem Verleger der Originalausgabe von 1732 anschließen, der in seinem Vorwort dem „Kunst=Liebhaber“ das Druckwerk zum Erwerb nahelegt, „welchen es entweder an Gelegenheit oder Geld=Mitteln fehlet / an solche Ort zu kommen / und dergleichen Wunderwerck in Augenschein zu nehmen“.