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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Peter Fassl/Corinna Malek (Hg.)

Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken

(Irseer Schriften - Studien zur wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N.F. 15), Tübingen 2022, Narr Francke Attempto, 432 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Mario Felkl
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 20.02.2024

500 Jahre bayerisches Reinheitsgebot – diesem Jubiläum widmete sich im Jahr 2016 eine ganze Reihe von Ausstellungen, Publikationen und Vorträgen. Der traditionelle Fokus von Wissenschaft und Heimatforschung auf die altbayerische Braugeschichte zeigte sich nicht nur im Jubiläumsprogramm, sondern auch mit Blick auf den bisherigen Forschungsstand. Dieser Wahrnehmung folgend stellte die Heimatpflege des Bezirks Schwaben im Rahmen einer Tagung gemeinsam mit der Schwabenakademie Irsee und dem Lehrstuhl für bayerische und fränkische Landesgeschichte der Universität Erlangen-Nürnberg ganz bewusst die schwäbische und fränkische Wirtshaus- und Bierkultur in den Mittelpunkt. Die Vorträge dieser Tagung bildeten den um weitere Beiträge ergänzten Grundstock des nunmehr erschienenen und hier zu besprechenden Bandes, der 2022 von Peter Fassl und Corinna Malek in der Reihe der Irseer Schriften (Neue Folge) herausgegeben wurde.

„Die Forschungen zur schwäbischen Biergeschichte sind sporadisch und liegen zum Teil länger zurück“ (S. 16), machen die Herausgeber bereits in der Einleitung deutlich. Umso facettenreicher ist die Auswahl der Beiträge des vorliegenden Bandes. Auf 431 Seiten nähern sich die 13 Autoren der überaus komplexen Thematik aus Blickwinkeln der Kultur- und Sozialgeschichte, wie auch aus Sicht der Rechts-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte an und spannen dabei nicht nur thematisch, sondern auch chronologisch einen weiten Bogen vom Mittelalter bis in die jüngste Zeitgeschichte.

Den Themenkomplex „Bier, Wirtshaus und Gesellschaft“ leitet Peter Fassl mit einer Skizze zentraler Aspekte der schwäbischen Bier- und Wirtshausgeschichte von frühen Hinweisen zur Trinkkultur in der lex alamannorum bis hin zum Wirtshaussterben in jüngster Zeit ein und regt dabei mit zahlreichen Quellenbeispielen zur vertieften Forschung an. Marita Krauss befasst sich mit der teils exzessiven Trinkkultur der frühen Neuzeit im Spannungsfeld zwischen sozialen Praktiken, rechtlichen Gegenmaßnahmen und wirtschaftlichen Interessen und spricht damit eine negative Kehrseite der Bierkultur an, die in heimatkundlichen Abhandlungen häufig ausgespart bleibt. Felix Guffler erschließt mit den schwäbischen Physikatsberichten und den Ergebnissen der Umfrage des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde von 1908/09 zwei zentrale und grundlegende Quellenbestände, die ein erstaunlich klares und differenziertes Bild von Qualität und Quantität des Bierkonsums in den unterschiedlichen Regionen Bayerisch-Schwabens in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts und im beginnenden 20. Jahrhundert zeichnen. Günter Dippold lenkt den Blick nach Oberfranken und dort wiederum auf die Schauplätze des Konsums. Die enge Verbindung der Lage und Entwicklung der Wirtshäuser mit dem Verlauf zentraler Verkehrsströme in Stadt und Land analysiert er am Beispiel des Hochstifts Bamberg. Birgit Speckle widmet sich am Beispiel Unterfrankens der „vielfach zum Mythos stilisierten Institution“ (S. 129) der Dorfwirtschaften zwischen 1945 und 1970. Den häufig vorherrschenden „nostalgisch-melancholische[n] Blick auf die gute alte Zeit“ (S. 147) betrachtet sie als kontraproduktiv für den Fortbestand der Wirtshauskultur. Sie zeichnet vielmehr das Bild einer von stetigem Wandel und Brüchen geprägten Wirtshausgeschichte, aus der auch in Zeiten des gegenwärtigen Wirtshaussterbens die Notwendigkeit stetiger Anpassung abzuleiten ist. Der folgende Abschnitt widmet sich dem Brauen im Spiegel von Recht und Herrschaft, anlassbezogen eingeleitet durch Wilhelm Liebhart mit Überlegungen zum bayerischen Reinheitsgebot von 1516 im Kontext landesherrlicher Jurisdiktion. Doch „in Schwaben war alles anders“ (S. 171): Angesichts der starken territorialen Zersplitterung und der Heterogenität geistlicher und weltlicher Herrschaftsträger kann Alois Koch die Entwicklung von Braurechten in Schwaben nur an Einzelbeispielen aus Stadt und Land schildern. Die hier bereits anklingenden, aus den Macht- und Wirtschaftsinteressen verschiedener Herrschaftsträger resultierenden Rivalitäten um Brau- und Handelsrechte schildert Thomas J. Hagen am Beispiel des Ebermannstadt-Pretzfelder „Bierkriegs“. Corinna Malek beleuchtet in drei ausführlichen Darstellungen die Bierbewirtschaftung während des Ersten Weltkriegs, besonders am Beispiel von Kempten und Kaufbeuren. Sie zeichnet das Bild einer Epoche, die eine Zäsur für die langfristige Entwicklung der bayerischen Brauereien bedeutete und eines Wirtschaftszweiges, der typische Konfliktfelder im allgemeinen Kontext von Kriegswirtschaft und Versorgungsnot offenlegt. Hermann Bienen widmet sich insbesondere der vorindustriellen Brautechnologie, den in Schwaben verbreiteten Biersorten und ihren Rohstoffen sowie dem Brauen als Lehrberuf. Abgerundet wird der Band durch teils auf grundlegenden Quellenarbeiten beruhenden Mikrostudien zum Braugewerbe in Kempten (Franz-Rasso Böck), Mindelheim (Christian Schedler) und Zusmarshausen (Guffler).

Durch seine zeitlich und thematisch breite Streuung skizziert das äußerlich auf das Wesentliche beschränkte Werk ein reichhaltiges Bild der schwäbischen Bier- und Wirtshauskultur. Die im Titel prominente fränkische Geschichte bildet dabei eher den Nebenschauplatz. Auch innerhalb Bayerisch-Schwabens setzt der Band regionale Schwerpunkte. So ist das Allgäu stark repräsentiert, während die nordschwäbische Braugeschichte nur am Rand gestreift wird. Das Titelbild (Münchner Hofbräu-Bier) zechender Augsburger auf der Jakober Kirchweih kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Geschichte der größten der ehemaligen Reichsstädte im Regierungsbezirk keine höhere Beachtung geschenkt wird. Mangels Vorarbeiten bedeutet die Schließung dieser Forschungslücke zweifelsohne ein gewaltiges Unterfangen. Die hier publizierten Vergleichsstudien zum ländlichen und städtischen Umland sowie die ausführlichen Bibliografien und Quellenhinweise mögen indes wichtige Impulse für zukünftige Forschungen geben. Denn für die Brau- und Konsumgeschichte, das zeigen gerade die Beiträge zur frühen Neuzeit, birgt die schwäbische Geschichte gewaltiges Potential. Schließlich haben die oft als Forschungshindernis verstandenen, kleinteiligen und vielgestaltigen Rechts- und Herrschaftsstrukturen Schwabens in umfangreicher schriftlicher Überlieferung zu rechtlichen Kontroversen, zur Verwaltung und Rechtssicherung ihren Niederschlag gefunden. So beinhalten die archivischen Bestände schwäbischer Herrschaftsträger häufig reichhaltiges Quellenmaterial, das Spezifika süddeutscher Bier- und Braukultur besonders kontrastreich spiegelt.