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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Georg Neuhauser/Tobias Pamer/Andreas Maier/Armin Torggler

Bergbau in Tirol. Von der Urgeschichte bis in die Gegenwart. Die Bergreviere in Nord- und Osttirol, Südtirol sowie im Trentino

Innsbruck/Wien 2022, Tyrolia, 480 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Thomas Horst
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 01.03.2024

Ein allgemein verständliches, neues Überblickswerk zur Montangeschichte Alttirols war schon lange ein Desiderat in der landeskundlichen Forschung der heutigen Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino, zumal das montanhistorische Interesse in diesem Gebiet mehr als 250 Jahre zurückreicht. Bereits 1765 verfasste der Tiroler Jurist und Polyhistor Joseph Freiherr von Sperges auf Palenz und Reisdorf (1725–1791) mit seiner „Tyrolische[n] Bergbaugeschichte mit alten Urkunden, und einem Anhange, worinn das Bergwerk zu Schwatz beschrieben wird“ ein erstes Opus Magnum. Ein Jahr zuvor hatte Johann Georg Lori (1723–1787) in München seine „Sammlung des baierischen Bergrechts mit einer Einleitung in die bairische Bergrechtsgeschichte“ publiziert, die ausführlich auch auf die drei Gerichte Rattenberg, Kufstein und Kitzbühel eingeht, die bis zum Landshuter Erbfolgekrieg Teil des Herzogtums Bayern waren.

Um die Wende zum 20. Jahrhundert erschienen weitere wertvolle Beiträge zur Geschichte des Bergwesens in Tirol. Hier sind etwa die einschlägigen Studien des tschechischen Montangeologen Franz/František Pošepný (1836–1895) zu den Erzlagerstätten von Kitzbühel in Tirol oder des aus St. Leonhard im Passeier stammenden Montanisten Max Isser von Gaudententhurn (1851–1928) zum Schwazer Bergbau zu nennen. 1903 legte der k.k. Montanbeamte Max Ritter Wolfstrigl von Wolfskron (1849–1903) mit seiner Monographie „Die Tiroler Erzbergbaue. 1301–1665“ eine umfangreiche Einführung in die Bergbaugeschichte der gefürsteten Grafschaft vor, die 1929 mit einem „Überblick des Bergbaues von Tirol und Vorarlberg in Vergangenheit und Gegenwart“ (erschienen in den Berichten des Naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines Innsbruck‚ Nr. 41, S. 113–279) gewinnbringend ergänzt wurde. Letztere Einführung wurde von dem österreichischen Generaloberst und Glaziologen Robert von Srbik (1878–1948) verfasst, der sich später u.a. auch mit dem bedeutenden spätscholastischen Kartäuser Gregor Reisch († 1525) und dessen 1503 in Freiburg erschienener Enzyklopädie „Margarita Philosophica“ beschäftigte. Sein ursprünglich für einige Vorlesungen am Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Innsbruck im Rahmen der „Geschichte der Geologie in ausgewählten Kapiteln“ geplanter Überblick diente lange Zeit als erste Einführung in die Thematik.

Im 20. Jahrhundert wurden die montanhistorischen Erkenntnisse mit zahlreichen Fachartikeln aus der Feder des Begründers der österreichischen Bergbau-Volkskunde, Franz Kirnbauer (1900–1978, Herausgeber der „Leobener Grünen Hefte“ ab 1951), sowie des Tiroler Geologen Georg Mutschlechner (1908–1999) erheblich ausgeweitet. Die Tiroler Landesausstellung von 1990 widmete sich sogar ausschließlich der regionalen Bergbaugeschichte, siehe den von Gert Ammann und Meinrad Pizzinini herausgegebenen Sammelband „Silber, Erz und weißes Gold. Bergbau in Tirol“, mit Beiträgen u.a. des in Innsbruck wirkenden Rechtshistorikers Rudolf Palme (1942–2002), der gemeinsam mit Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamp 2001 in Schwaz den „Internationalen Montanhistorischen Kongress“ ins Leben rief – diese bedeutende Fachtagung stellt die Geschichte des Tiroler Berg- und Hüttenwesens in den Mittelpunkt. Die Veranstaltung findet jährlich unter wechselnden thematischen Schwerpunkten in Tirol und Südtirol statt, wovon auch die informativen Tagungsbände zeugen. Hierzu trug insbesondere der als „Stollenpeterle“ bekannte Innsbrucker Geowissenschaftler Peter Gstrein (1946–2021) bei, dem das hier zu besprechende Buch gewidmet ist.

Vier jüngere Historiker (Georg Neuhauser, Armin Torggler und die beiden Doktoranden Andreas Maier und Tobias Pamer) haben sich dabei zusammengetan, um gemeinsam ein neues, allgemein verständliches, mit 333 farbigen und 35 Schwarzweiß-Abbildungen in bester Qualität illustriertes Handbuch zu verfassen. Dieses Werk ist wahrlich gelungen. Das Projekt geht auf ein akademisches Netzwerk zurück, das im Rahmen eines 2007 vom FWF geförderten Spezialforschungsbereichs entstanden ist: Das an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck angesiedelte Forschungszentrum HIMAT („History of Mining Activities in Tyrol and adjacent areas – impact on environment and human societies“) beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Bergbaus auf Kultur und Umwelt im Alpenraum vom Neolithikum bis in die Neuzeit; das darin enthaltene Einzelprojekt von Georg Neuhauser speziell mit der „Waldnutzung im frühneuzeitlichen Tirol“. Mit großzügiger Unterstützung der Tiroler Landesregierung ist zudem 2021 in Innsbruck das interdisziplinäre Forschungszentrum „Regionalgeschichte Europaregion Tirol“ gegründet worden, das die Landesgeschichte (konkret des Bundeslandes Tirol, Südtirols und des Trentinos sowie der heute außerhalb davon befindlichen Gebiete Cortina d’Ampezzo und Buchenstein) in ihrer ganzen Breite und zeitlichen Erstreckung als Teil einer modernen Regionalgeschichte erforscht, wobei dem Reichtum an Erzen, Salz und vor allem Silber und deren Abbau als zentrales Thema der Wirtschafts- und Ressourcengeschichte (wie auch für das Südtiroler Landesmuseum Bergbau) eine grundlegende Bedeutung zukommt.

Die gefürstete Grafschaft Tirol war stets ein bedeutendes, im 15. Jahrhundert sogar das führende Montanzentrum Europas. Das voluminöse neue Einführungswerk, das auch mit elf hilfreichen Karten und 13 Grafiken illustriert ist, bietet in fünf Kapiteln einen umfassenden Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Tiroler Bergbaus von der Ur- und Frühgeschichte bis in die Moderne. Im einleitenden Kapitel (S. 8–73) werden prähistorische Abbau- und Verhüttungsmethoden und die Entstehung der Berggerichte im Mittelalter behandelt. Am Übergang zur frühen Neuzeit bildete sich ein eigener montanistischer Beamtenapparat mit Gewerken und Bergverwandten heraus. Dieser ermöglichte überhaupt erst einen regulierten Staatsbetrieb. Dabei wurde Erz gesucht, abgebaut und mittels technisch versierter Schmelz- bzw. Saigerprozesse aufbereitet.

Die folgenden beiden Kapitel sind regional nach Bergrevieren geordnet. Zunächst werden die Gebiete nördlich des Alpenhauptkamms behandelt (S. 74–207). Dazu zählen neben dem Tiroler Bergbauzentrum in Schwaz („Haubt unnd Muetter aller anndern Perkhwerch“) vor allem das Berggericht Rattenberg und die Bergbauregion Rerobichl/Kitzbühel (wo es in den 1520er und 1530er Jahren zu einem regelrechten Goldrausch kam). Wenngleich das benachbarte Brixental zwischen 1380 und 1803 Teil des Erzstiftes Salzburg war und erst 1816 endgültig zu Tirol kam, wird auch diese Bergbauregion sowie der Bergbau im Zillertal (Goldgewinnung ab 1628) erfreulicherweise angesprochen. Überregionale Bedeutung erreichte das ‚weiße Gold‘ von Hall in Tirol, wo es nach der Depression des 17. Jahrhunderts zu interessanten Innovationen im Salzproduktionswesen kam. Auch der Bergbau in Stubai und in Hötting (beide standen unter der Verfügungsgewalt des Bergrichteramts von Hall) sowie im Oberinntal (Berggericht Imst) und im Außerfern werden eingehender analysiert.

Südlich des Alpenhauptkammes (S. 208–291) ist als ältestes Berggericht Tirols das Montanrevier Gossensaß-Sterzing mit dem Schneeberg in Hinterpasseier zu nennen – eines der höchst gelegenen Bergwerke Europas, wo vom Mittelalter bis 1985 nacheinander Silber, Blei- und Kupfererze sowie Zinkblende abgebaut wurden (der auf S. 222 abgebildete Kartenausschnitt eines 1604 von Adam Gröber angefertigten Grubenrisses im Tiroler Landesarchiv, Karten und Pläne 363, zeigt jedoch nicht den Schneeberg, sondern die Salzbergwerke von Hall in Tirol). Zum Berggericht Klausen gehörten die Stollen am Pfunderer Berg, welche den Gegenstand von zahlreichen Grenzstreitigkeiten zwischen dem Hochstift Brixen und der Grafschaft Tirol bildeten, die bis in die Zeit des deutschen Humanisten Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus, 1401–1464; ab 1450 Bischof von Brixen) zurückreichen. Hierzu könnte man in einer eventuellen zweiten Auflage des Bandes noch weiteres Quellenmaterial nachtragen, das erst nach der Publikation des Bergbaubandes erschienen ist: Band III,2 der „Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues, nach Vorarbeiten von Hermann Hallauer/Erich Meuthen, hg. von Johannes Helmrath/Thomas Woelki, Hamburg 2023“ berichtet über die sog. Garnsteiner Affäre, die in den Quellen erst 1460 fassbar ist, u.a. mit dem Streit um die Schürfrechte im Grenzgebiet (Nr. 6134; 6185; 6193, Z. 37–42; 6291, Z. 75–77 und 6338, Z. 99f.). Hierzu hat sich Thomas Woelki in „Cusanus und der Bergbau“ auch allgemein geäußert (erschienen in: Universum Infinitum. Nicolaus Cusanus and the 15th-Century Iberian Explorations of the Ocean World, hg. von Thomas Horst/Harald Schwaetzer/Matthias Vollet/Kirstin Zeyer [Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte. Reihe B 25], Münster 2022, S. 81–99).

Weitere behandelte Themen sind das Büchsengießen im Berggericht Taufers (mit einer Abbildung des bemerkenswerten Grubenplanes von Prettau von 1585 auf S. 245) sowie der Bergbau in Osttirol (Berggerichte Lienz und Windisch-Matrei). Zwischen 1480 und 1485 wurde zudem im Westen des heutigen Südtirols ein eigenständiger Berggerichtssprengel unter Einschluss des Burggrafenamtes und des Vinschgaus als Kernlandschaft eingerichtet, doch dauerte es bis 1513, bis sich hier als administratives Zentrum das eigenständige Berggericht Nals-Terlan herausbildete. Dort wurde bis in das 18. Jahrhundert Kupfer und Eisenerz verhüttet. Das älteste Bergrecht des Heiligen Römischen Reiches findet sich hingegen in einem unter Bischof Friedrich von Wanga/Wangen (1207–1218) ab 1215 angelegten Urkundenkopialbuch des Hochstiftes Trient (sog. Codex Wangianus im Staatsarchiv Trient, eine Abschrift aus dem späten 14. Jahrhundert im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, FB 2091). Dieses Dokument ist zugleich eine wichtige Quelle für das Trienter Berggericht Persen/Pergine, das wie der Bergbau in den Revieren am Nons- und Sulzberg und das Berggericht Primör/Primeiro zwischen Venedig und Österreich ebenso im neuen Überblickswerk erwähnt wird.

Das vierte, allgemeinere Kapitel (S. 292–397) ist thematisch angelegt. Es behandelt neben der stark regulierten, aber bedeutsamen Ressource Holz, die stets für den Tiroler Erzbergbau benötigt wurde, auch religiöse und soziale Fragen (Migration und Verpflegung, medizinische Versorgung) des Montanwesens. Im Anhang findet sich eine sehr hilfreiche Zusammenstellung sämtlicher Bergrichter Alttirols (S. 399–416; dieselbe wurde nach einem ungedruckten Manuskript von Rudolf Tasser im Auftrag des Südtiroler Landesmuseums Bergbau verfasst und von den Autoren erweitert). Besonders erwähnenswert ist hier auch ein Überblick über die „Längen, Gewichte, Geldeinheiten und sonstige[n] Maße“ (S. 417–420) sowie ein nützliches Fachglossar (S. 466–473), das zusammen mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis und insgesamt 1841 Anmerkungen die akribisch erarbeitete Studie bestens abrundet. Das wichtige Nachschlagewerk ist für zahlreiche interdisziplinäre Forschungen von Interesse und kann uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen werden. Glück auf!