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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Bernhard Grau/Laura Scherr/Michael Unger (Hg.)

Festschrift für Margit Ksoll-Marcon

(Archivalische Zeitschrift 99), 2 Teilbände, Wien/Köln 2022, Böhlau, 1120 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Wolfgang Mährle
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 14.03.2024

Nach einer über vierzehnjährigen Amtszeit als Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns trat Dr. Margit Ksoll-Marcon zum 1. September 2022 in den Ruhestand. Anlässlich ihres Ausscheidens aus dem Dienst und in Würdigung ihrer Verdienste um das bayerische Archivwesen wurde Frau Ksoll-Marcon die zu besprechende, allein durch ihren Umfang von über 1.110 Seiten beeindruckende Festschrift gewidmet. Das dreiköpfige Herausgeberteam, dem unter anderem Ksoll-Marcons Nachfolger im Amt, Dr. Bernhard Grau, angehörte, konnte insgesamt 55 Autorinnen und Autoren aus der Archiv-Community und der historischen Wissenschaft für die Mitarbeit gewinnen. Darunter befinden sich der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, zahlreiche Leiter von Archivverwaltungen des Bundes und der Länder, aber auch Direktorinnen und Direktoren ausländischer Archive, etwa des Nationalarchivs der Tschechischen Republik in Prag und der im Rahmen der „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer“ (Arge Alp) mit Bayern kooperierenden Institutionen in der Schweiz, in Österreich und in Italien.

Die 50 geschichts- und archivwissenschaftlichen Aufsätze, die in den beiden Teilbänden enthalten sind, decken ein breites thematisches Spektrum ab. Sie spiegeln auf diese Weise die Vielzahl der Arbeitsfelder, die den Archivarsberuf in der Gegenwart charakterisieren und mit denen auch die verabschiedete Generaldirektorin in ihrer Dienstzeit konfrontiert war. Das Herausgeberteam verzichtete darauf, die Beiträge nach Sektionen zu gliedern, sondern druckte sie in der Reihenfolge der Nachnamen der Autorinnen und Autoren ab. Dieses Vorgehen kann man kritisch sehen, ist doch dadurch das Auffinden von Aufsätzen zu bestimmten Themengebieten erschwert. Zumindest eine Grobgliederung des Buches wäre wohl möglich und – nach Meinung des Rezensenten – auch sinnvoll gewesen.

Die (landes-)historischen Aufsätze der Festschrift sind Themen vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert gewidmet. Die Palette reicht von einem Beitrag zu den Beziehungen des Klosters Tegernsee nach Niederösterreich (Thomas Aigner) über Aufsätze zu den wirtschaftlichen Spielräumen von Frauen um 1500 (Harald Toniatti/Christine Roilo) und zu den Ehaftordnungen des Stiftlands Waldsassen im 18. Jahrhundert (Maria Rita Sagstetter) bis zu Beiträgen über das Hamburgische Schiffsrecht (Udo Schäfer), den Münchner Stadtbaurat Arnold von Zenetti (Michael Stephan) sowie die jüdischen Mitglieder der Industrie- und Handelskammer München 1932/33 (Eva Moser).

Die Brücke zur Archivwissenschaft schlagen mehrere archivhistorische Aufsätze: Aus der Feder von Uwe Müller stammt ein interessanter Beitrag über die – fachlich unbefriedigenden – Aussonderungen, Archivalienabgaben und Ordnungsarbeiten im Stadtarchiv Schweinfurt im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Klaus Rupprecht porträtiert den Würzburger und Bamberger Archivar Paul Glück (1873–1947), Christoph Haidacher verfolgt das Schicksal der Tiroler Archive und Registraturen während der Napoleonischen Epoche und Martina Haggenmüller untersucht die Tätigkeit bayerischer Heeresarchivare im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkrieges.

Auch die – zahlenmäßig überwiegenden – archivfachlichen Beiträge nehmen ein breites Spektrum an Themen in den Blick. So enthält die Festschrift Aufsätze zur Normierung im Bereich des Records Managements (Volker Laube), zum Archivrecht im Kanton St. Gallen (Stefan Gemperli) und zur Übernahme der Akten der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse (Herbert Schott). Weitere Beiträge sind unter anderem der digitalen Archivierung (Michael Puchta), dem Archivbau (Laura Scherr, Andrea Schwarz) und der Archivpädagogik (Christian Kruse) gewidmet.

Schließlich thematisieren mehrere Aufsätze der Festschrift die Rolle und die Chancen der Archive in der gegenwärtigen (Informations-)Gesellschaft. Andreas Wirsching betont aus der Sicht des Zeithistorikers den Wandel, der sich bei der Nutzung von archivischen Quellen in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen hat. Er verweist dabei auf die „Fülle an neuen bestandsbildenden Akteuren“ (S. 1099) jenseits der staatlichen Einrichtungen. Die Auswertung nichtstaatlicher Überlieferung ermögliche es bei zahlreichen Forschungsvorhaben erst, ein differenziertes Bild der jüngeren Vergangenheit zu gewinnen. Dass die Archive als außeruniversitäre Forschungs(infrastruktur)einrichtungen vielfältige Handlungsoptionen besitzen und diese auch wahrnehmen, belegt am Beispiel des Landesarchivs Baden-Württemberg dessen Präsident Gerald Maier. Sein Plädoyer wird gestützt von der Direktorin des tschechischen Nationalarchivs Eva Drašarová. Auch in Prag gehören geschichtswissenschaftliche Grundlagenforschung und informationswissenschaftliche Forschungen zum Aufgabenspektrum des Archivs. Peter Müller lotet die archivischen Möglichkeiten aus, neue Zielgruppen zu erreichen. Er sieht vor allem in der Ausweitung der Online-Angebote Potenzial für die Archive. Hingegen zeigt die Erfahrung, dass Impulse, Archive als „Dritte Orte“ zu etablieren, gerade im staatlichen Bereich in vielen Fällen auf erhebliche – vor allem räumliche und bauliche – Schwierigkeiten stoßen.

Die in der Festschrift für Margit Ksoll-Marcon enthaltenen Aufsätze geben vielfältige neue Anstöße. Fachkolleginnen und Fachkollegen aus der Geschichts- wie aus der Archivwissenschaft werden Anlass haben, die beiden Teilbände bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten zu Rate zu ziehen.