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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Theodor Ruf

Kloster Neustadt am Main 769 (?)-1300. Untersuchungen und Regesten

(Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 80), Würzburg 2022, Echter Verlag, 389 Seiten


Rezensiert von Katharina Kemmer
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 02.04.2024

„Im Jahr 769 wurde das Kloster Neustadt gegründet. Soll das Kloster gegründet worden sein. Wurde es, vielleicht ‚gegründet‘. Vielleicht aber auch erst einige Jahre später. Oder ein paar Jahre früher. Vom ehemaligen Würzburger Bischof Megingaud. Oder auch nicht.“ (S. 15) Diese einleitenden Worte des Autors lassen ein sehr komplexes Problem bei der Beschäftigung mit der Geschichte des Klosters Neustadt am Main auf Anhieb sichtbar werden, nämlich die zeitliche Einordnung jener Gründung sowie die hierfür verantwortliche(n) Person(en). Völlig zu Recht verweist Theodor Ruf daher gleich zu Beginn seiner Monographie auf die eher dürftigen und nicht immer zuverlässig gesicherten Forschungsergebnisse hin, die bis dato zusammengetragen wurden. Insgesamt steht das Kloster Neustadt am Main bereits seit dem 19. Jahrhundert immer wieder im Fokus von Forschungsinteressen.

Als Basis seiner Forschungen erarbeitete der Autor einen umfangreichen Quellencorpus, anhand dessen er seine folgenden Ausführungen präsentiert. Oftmals war es nicht möglich, auf Originalquellen zugreifen zu können, überwiegend bot die kopiale Überlieferung die entsprechenden Anhaltspunkte. Die Originale dürften weitestgehend in einer Auseinandersetzung mit dem Würzburger Bischof verloren gegangen sein. Der Autor stellt die relevantesten Quellen, darunter fünf Kopialbücher, aber z.B. auch die Vita Burchardi oder, von ganz besonderem Interesse, D Kar I 252 vor, und diskutiert deren Abhängigkeiten zu- bzw. voneinander sowie auch ihren Wert in Bezug auf die Möglichkeit, ein festes Gründungsdatum des Klosters zu eruieren. Ergänzt werden die Schriftquellen in einem weiteren Schritt durch die aktuelle Forschungslage wie auch deren Unterstützung durch von archäologischer Seite erbrachter Informationen dargestellt wird. In diesem Fall greift Ruf auf die Präsentation der Gesamtsituation des Bistums Würzburg in dessen Frühzeit zurück, sodass die Einbettung der Neustädter Geschichte in ihr Umfeld leichter verortet werden kann. Dies schließt neben baulichen Überresten auch künstlerische Werke, Knochenfunde oder eben die schriftliche Überlieferung mit ein.

Der erste Hauptteil der vorliegenden Untersuchung beschäftigt sich naturgemäß mit der eigentlichen Gründung des Klosters Neustadt. Auch hier entschied sich der Autor im Sinne einer besseren Kontextualisierung dafür, zunächst einmal das sogenannte geistliche „Umfeld“ näher zu beleuchten, weshalb es zu einer jeweils kurzen Darstellung der beiden Bistümer Mainz und Würzburg wie auch der Abtei Fulda und der Klöster Amorbach, Holzkirchen, Karlburg, Schlüchtern und Murrhardt kommt. Bis auf Karlburg und Schlüchtern sowie Murrhardt fallen die Anfänge bzw. Gründungsphasen alle in den Zeitraum der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, sodass eine Möglichkeit des Vergleichs zu Neustadt gegeben ist, woraus wertvolle Erkenntnisse für die frühe Klosterlandschaft in Franken gewonnen werden können. Auch die Person des ehemaligen Bischofs Megingaud, der nach seiner Abdankung das Kloster Neustadt gegründet haben soll, wird in gebotener Kürze vorgestellt. Ein weiterer Unterabschnitt nennt zudem die bereits zuvor kurz angesprochenen, vorhandenen und genutzten Quellen, geht auf deren Entstehung sowie historische Zusammenhänge ein. Zusätzliche Hintergrundinformationen komplettieren das Wissen des Lesers, wenngleich eine Vorstellung des gesamten Inhalts naturgemäß nicht erfolgen konnte, da dies auch nicht das Ziel der Arbeit war. Etwas irritierend wirkt allerdings die Betitelung des letzten Unterkapitels, „Das reale Gründungsgeschehen“ (S. 89). Dies verwundert umso mehr, als Ruf eingangs noch selbst auf die schlecht zu entwirrende archivalische Situation wie auch die bisherigen Forschungen und die damit erbrachten, rein als Spekulation zu betrachtenden Ergebnisse verweist. Auch wenn er zu Beginn dieses Kapitels gleich darauf eingeht, dass es sich lediglich um Theorien seinerseits handelt, die allerdings „plausibel und fundamentiert“ (ebd.) seien, so sollte eine entsprechende Beurteilung zunächst Dritten überlassen werden, da der Bearbeiter stets über eine Tendenz zugunsten seiner eigenen Forschungsergebnisse verfügt. Insgesamt scheint die Bezeichnung als „reales Gründungsgeschehen“ dennoch anmaßend. Besser wäre es gewesen, das Wort „real“ beispielsweise durch „mögliche“ zu ersetzen, sodass nicht gleich, wie vom Autor selbst auch angemerkt, falsche Erwartungen entstehen. In der abschließenden Bewertung des Teilkapitels ist die Erkenntnis des Autors, dass das Kloster an einem hierfür günstigen Ort unter Zuhilfenahme von Königsgut sowie adeliger Unterstützung und weiterer, für die spätere Entwicklung günstiger Faktoren errichtet worden sei, weder besonders neu noch wertvoll noch eine Spezialität Neustadts. Dabei handelt es sich vielmehr um eine logische Konsequenz vorausgegangener Planungen, da die dauerhafte Etablierung eines Klosters nur dann Sinn ergibt, wenn sowohl die infrastrukturellen als auch rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen hierzu gegeben sind.

Im weiteren Verlauf seiner Forschungen geht der Autor noch auf die Person der hl. Gertrud (von Nivelles) ein, deren Verehrung in engem Zusammenhang zum Neustädter Kloster steht. So soll dort z.B. der vermeintliche Mantel der Heiligen als Reliquie verehrt worden sein, wenngleich neuere Forschungen seine Echtheit nicht bestätigen konnten. In Ergänzung zu der Heiligen machte sich der Autor zusätzlich die Mühe, eine Liste von immerhin 24 nachgewiesenen Äbten, die für das Kloster Neustadt verantwortlich waren, zu erstellen, darunter selbstverständlich auch der bereits bekannte Megingaud als vermeintlicher Gründer Neustadts.

Im Anschluss daran folgt eine Erörterung der Frage, inwieweit das Kloster von seiner adeligen wie geistlichen Umwelt beeinflusst wurde bzw. welche Aufgaben es selbst zu erfüllen hatte. Dabei geht es vor allem um die Situation vor Ort, wie auch religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Gesichtspunkte. Diese stellen nicht immer ein Neustädter Spezifikum dar, sondern lassen sich auch bei anderen Klöstern feststellen.

Nach einem kurzen Schlusswort beginnt der zweite und wesentlich umfangreichere Hauptteil des Bandes, die Präsentation der erarbeiteten Regesten. Neben einer einleitenden Erklärung finden sich insgesamt 84 solcher Regesten. Zu dem eigentlichen Text werden jeweils Angaben zu den zugrundeliegenden Quellen und vorhandenen Editionen gemacht. Ergänzende Informationen zu Personen oder bisheriger Forschung und vor allem ausführliche Kommentare erhöhen den Wert der Arbeit immens. Für die diesbezüglich investierte Arbeit sei dem Autor ausdrücklich gedankt. Insgesamt handelt es sich hierbei für jeden, der sich zukünftig mit der Geschichte dieses Kloster auseinandersetzen möchte, um eine sehr wertvolle Hilfestellung.

Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis stellt die Arbeitsbasis des Autors äußerst transparent dar, so dass Interessierte leicht nachvollziehen können, anhand welcher Quellen der Autor seine Erkenntnisse gewann. Das anschließende Orts- und Personenverzeichnis erleichtert die punktuelle Suche im Text sehr. Insgesamt ist es Theodor Ruf mit der Vorlage dieses Bandes gelungen, einen wichtigen Baustein der fränkisch-mittelalterlichen Geschichte etwas mehr ans Tageslicht zu rücken und damit auch ein bisher vorhandenes Forschungsdesiderat zumindest in bestimmten Bereichen zu erhellen.