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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Barbara Zöller

Heilig Kreuz und seine vielen Kreuze. Ein etwas anderes Gesamtkunstwerk in Bayreuth

(Führer zur Katholischen Kirche Heilig Kreuz Bayreuth), Bayreuth 2022, Gekle Bilderwelten, 57 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Helmut-Eberhard Paulus
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 10.04.2024

Allenthalben ist zu hören, dass sich der Kirchenbau des 20. Jahrhunderts in der Krise befinde. Sicher ist es zulässig, die aufgeworfene Problematik so zu umschreiben. Andererseits darf man an die damit gestellte Frage sicher auch ohne den sprichwörtlich kanonischen Blick des Architekten und Architekturkritikers herangehen, sozusagen frei von allen Grundsätzen, die den heutigen Diskurs über moderne Architektur und Gestaltung schon von vornherein belasten. Und da es sich beim Kirchenbau immer auch um Fragen des Glaubens und der Hoffnung handelt, darf man getrost hinzufügen, dass alle Wege zu tragfähigen Antworten beschritten werden dürfen, auch ohne sich auf die oft beschwerlicheren der Architekturpäpste und der Kirchenpäpste beschränken zu müssen.

Es ist jene Leichtigkeit des „anderen Blicks“, die das besinnliche Studium des Kirchenführers von Barbara Zöller so beschwingt werden lässt, einer Broschüre, die sich der Katholischen Kirche Heilig Kreuz in Bayreuth widmet, einem wahren Ort der Kontemplation, der in jeder Hinsicht auch entdeckt werden muss. In einem der äußeren Stadtviertel von Bayreuth gelegen, zu Füßen des Roten Hügels, erhebt sich in der Preuschwitzer Straße 32 eine Kirche, die in ihrer baulichen Entwicklung für den Querschnitt durch die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts steht. Sie bildet den Mittelpunkt eines Pfarrzentrums. Errichtet wurde sie in der kurzen Bauzeit von 1971 bis 1972 anstelle einer provisorischen Notkirche von 1949. Der heutige Bau des Würzburger Architekten Walter Schilling im symbolträchtigen Grundriss des Kreuzes erhielt nach der Weihe von 1973 noch weitere Ergänzungen: 1983 die Kreuzinstallation von Olaf Täuberhahn, 1986 das höchst eigenwillige oktogonale Paradies, 1993 einen Kreuzgang und 2002/03 den Kreuzweg. Diese bemerkenswerte Ausstattung verleiht der Gesamtanlage die weihevolle Anmutung einer religiösen Wallfahrtsstätte innerhalb der in guter protestantischer Tradition stehenden Stadt.

Die Kirche verzichtet bewusst auf einen Kirchturm und damit den Anspruch einer städtebaulichen Dominante. Dieser Bau will das Gegenteil und versteht sich als inspirierender Ort der Stille. Er bildet eine urbane Oase, die den Menschen und dessen ureigenste Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und nicht die architektonische Selbstverwirklichung eines nach Unsterblichkeit strebenden Künstlers.

Dieser sichtlich „anderen Architektur“ entspricht der von Barbara Zöller verfasste „andere“ Kirchenführer. So fordert die Autorin selbst den Anspruch des „etwas anderen Gesamtkunstwerks“ ein. Die Eigenheiten des „etwas Anderen“ näher zu umschreiben, bleibt dem Kontext und der liebevollen Gestaltung des Kirchenführers vorbehalten. Und so weicht seine Gliederung wohl sehr bewusst von der alles rahmenden Chronologie des Historikers und der architektonisch systematisierten Strukturierung des Kunst- und Architekturhistorikers ab.

Der Schwerpunkt liegt deutlich erkennbar auf der Ikonographie, wobei die Themen von Reliquiar und Patrozinium zu Leitmotiven werden und einen roten Faden durch alle textlichen Passagen bilden. Das Kreuzmotiv setzt den Spannungsbogen für einen Rundgang, dessen Höhepunkt wiederum das Ereignis der Einbringung des Heiligkreuzreliquiars bildet. Erst hier löst sich die Spannung und wird erklärlich, warum dieses Reliquiar schon den Umschlag der Broschüre ziert und nicht etwa die Ansicht der Kirche oder ein Foto des Kreuzganges.

In einem zutiefst christlichen Verständnis artikuliert sich dieser Kirchenführer als eine in Bildern sprechende Heilsbotschaft, die dazu auffordert, sie vor Ort in Architektur und Raum, in Kunst und Natur körperlich zu inhalieren, sensuell zu empfinden und in dieser Logik auch gedanklich nachzuvollziehen. Es ist zweifellos ein außergewöhnlicher Ansatz, den die Autorin hier wählt, um mit diesem Exempel die gestalterische Ernte kirchlicher Kunst des 20. Jahrhunderts einzubringen. Vielleicht ist dieser Ansatz gänzlich nur verständlich vor dem Hintergrund des erlebten epochemachenden Einbruchs der Corona-Epidemie, die nach den Ausführungen im Vorwort ja auch zum Auslöser der zur Niederschrift gebrachten Gedanken wurde. In mutiger Bewältigung dieser Zeit hat das etwas andere Gesamtkunstwerk dieser eigenwilligen Bayreuther Kirche Heilig Kreuz also mit einem sehr individuellen Kirchenführer seine adäquate Würdigung erfahren, lesenswert und unterhaltsam, und zudem durchgehend informativ, auch über den bisweilen beschränkten Zeithorizont unserer Zeit hinaus.

Entstanden ist ein Lesebüchlein zur Deutung kirchlicher Architektur und Kunst des 20. Jahrhunderts. Es verbindet sich mit dem Anliegen, die Sinnhaftigkeit der darin enthaltenen christlichen Botschaften zu vertiefen. Viele Hinweise sind deshalb besonders wertvoll, weil ohne sie die gestalterische Motivation kaum sichtbar würde. Besonders deutlich erschließt sich dies in der Erläuterung der 15. Kreuzwegstation des Künstlers Stefan Schilling, die es in kanonischem Sinne eigentlich gar nicht geben dürfte. Dennoch wird mit ihr hier in Heilig Kreuz zu Bayreuth der Auferstandene als Krönung allen zeitlichen und überzeitlichen Geschehens dargestellt. Auf das Vorbild in verschiedenen Wallfahrtsstätten wird ebenso verwiesen wie auf die eigentliche Triebfeder aller individuellen Gestaltung, den nimmermüden Pfarrer Willibald Geier, dessen über Jahre waltender Geist in der Kirche allenthalben spürbar wird und dem dieser Kirchenführer in gewissem Sinne auch gewidmet sein soll. Seit 1966, zunächst als Kurator, ab 1970 als Pfarrer, war er mit dem Kirchenbau engstens verbunden, vom ersten Gottesdienst 1972 bis zur feierlichen Einbringung des Kreuzreliquiars 1994. Er wurde zum spiritus rector zahlreicher gestalterischer Entscheidungen, von der Errichtung des in Glasmalereien schwelgenden Paradieses bis zum symbolreichen Kreuzgang und nicht zuletzt bei der Vergabe der Kreuzinstallation über dem Altar an den unterfränkischen Künstler Olaf Täuberhahn.

All diese Motivationen und Hintergründe zu den vor Augen geführten gestalterischen Details wären wohl dem Vergessen anheimgestellt, wenn sie die Autorin nicht liebevoll „ausgegraben“ hätte, um sie in Wort und Bild als die Auflösung zahlloser Fragen zu präsentieren, mit denen uns die Kunst und Architektur der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ansonsten oft alleine lässt. Der Zugang zum künstlerischen Schaffen dieses halben Jahrhunderts ist nicht immer leicht und birgt in sich die Gefahr, dass die Werke missverstanden werden. Viel zu oft wird die Kunst dieser Zeit gar nicht verstanden und läuft dann Gefahr, in den folgenden Generationen einer Vernichtung durch Gedankenlosigkeit oder Unverständnis preisgegeben zu sein. Barbara Zöller hat hier Wegweisendes geleistet, nicht nur in der Erklärung des Sichtbaren an dieser eigenwilligen Kirche, sondern auch als wahre Verkünderin der Hintergründe, die allem Gegenständlichen erst die Sprache geben.