Aktuelle Rezensionen
Angelika Dreyer/Andrea Gottdang/Christof Trepesch
Pax & Pecunia. Kunst, Kommerz und Kaufmannstugend in der Augsburger Deckenmalerei
Petersberg 2022, Imhof, 220 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Barbara Zöller
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.04.2024
Welch ein Titel! Welch interessante Alliteration und welch spannendes Zusammentreffen von griechischer Mythologie und handfesten Interessen, gepaart mit Ethik! Vom 20. Mai bis 11. September 2023 konnte man in der Augsburger Ausstellung im Schaezlerpalais dieses herrliche Miteinander auf Deckengemälden aus dem 18. Jahrhundert in Augsburger Patrizierhäusern entdecken. Im Katalog wird der Blick auf die barocke Repräsentation und Selbstdarstellung jederzeit gewährt. Zudem offenbaren beide einen interessanten Aspekt der Wertschätzung von Kunst und Künstlern und deren praktische Umsetzung durch die Stadt Augsburg nach dem Ersten Weltkrieg, speziell in den 1930er Jahren. Außerdem ist es eine großartige Idee, einen Universitätslehrstuhl mitsamt Studierenden eine Ausstellung in einem Museum konzipieren und realisieren zu lassen!
Im Sommer 2022 haben der Lehrstuhl für Kunstgeschichte der dortigen Universität und die Kunstsammlungen und Museen Augsburg gemeinsam diese äußerst gelungene Ausstellung auf die Beine gestellt. Der Direktor Christof Trepesch ließ Andrea Gottdang, deren besonderes Anliegen – laut Lehrstuhlbeschreibung – die Einführung in die museale Praxis ist, und Angelika Dreyer mitsamt Studenten ihre Forschungsergebnisse zu den Augsburger Deckengemälden des 18. Jahrhunderts zeigen, kommentieren und interpretieren. Das Forschungsprojekt entstand in Zusammenarbeit mit dem „Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland“, einem Projekt der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, gefördert im Rahmen des Akademienprogramms durch die Bundesrepublik Deutschland, den Freistaat Bayern und das Land Hessen.
Herausgekommen ist eine großartige, nicht nur für die Augsburger Lokalgeschichte hochinteressante Ausstellung mit Einblicken in private Bürgerhäuser und Stadtpalais des 18. Jahrhunderts sowie in die Gartenpavillons der damaligen Zeit. Diese Räumlichkeiten waren allesamt für eine bestimmte Gesellschaft gedacht und wurden auch lediglich von dieser gesehen und beachtet. Sie sind heute noch größtenteils in Privatbesitz und nicht öffentlich zugänglich. Der Augsburger Geldadel, bestehend aus z.T. neu geadelten Kauf- und Handelsleuten, Bankiers und Fabrikanten, ließ sich, sich an der Aristokratie orientierend, repräsentative Geschäfts- und Wohnräume sowie Festsäle und Treppenhäuser durch Neu- und Umbauten mit imposanten Fassaden und großartigen, kostspieligen Innenausmalungen errichten. Das war ein Betätigungsfeld für die doch wohl recht zahlreichen Künstler der Augsburger Reichsstädtischen Kunstakademie. Immerhin sind zwölf Freskanten in den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts in diesem Katalog bestätigt.
Jeder Ausstellungsbesucher konnte sich ein Bild von den großartigen Malereien, den vielfältigen und vieldeutigen Gemälden an Decken und Wänden dieser Räume machen, konnte sozusagen in die Palais spähen, auch wenn sie von den Bomben des Zweiten Weltkriegs getroffen worden waren oder späteren Baumaßnahmen zum Opfer gefallen sind. Alle lassen barockes, 300 Jahre altes Denken und Leben, den damaligen Wunsch nach Repräsentation und Selbstdarstellung neu aufleben und prachtvoll erglänzen. Sie zeugen gleichzeitig von Augsburger Kulturpolitik nach dem Ersten Weltkrieg, den Denkmalschutz schon im Auge und freien Künstlern gewogen.
Die Stadtväter haben nämlich den Kunstmaler Karl Nicolai, „der als Maler allenfalls regionale Bedeutung erlangte“, wie Christof Trepesch in seinem Vorwort urteilt, beauftragt, ungefähr 40 der Decken- und Wandgemälde zu kopieren. Diese Kopien, wie willkürlich die Auswahl der Stadtverwaltung auch gewesen sein mag, geben heute Auskunft über den damaligen barocken Glanz, der die Stadt weithin zum Leuchten gebracht hat. 32 davon, alle im 18. Jahrhundert geschaffen, werden in der Ausstellung und im Katalog vorgestellt. Nur die berühmte Arbeit von Matthias Kager im Rathaus stammt von 1622. Ansonsten kopierte Nicolai Arbeiten von zwölf Freskanten, alle zwischen 1700 und 1783 geschaffen, die meisten Kunstwerke stammen aus den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts. Im Schaezlerpalais, dem Ort der Ausstellung, das Bernd Roeck ein „Bürgerschloss“ nennt, weil sein Erbauer sich als reicher Bankier in den Ritterstand eingekauft hatte und auch nur mit Münchner Kunsthandwerkern brillieren wollte, strahlt das großartige Fresko von Gregorio Guglielmi, „Die vom Handel gesegnete Nobilità unter Apoll mit den Künsten und drei Grazien“, dem Besucher entgegen.
Der Katalog nennt zu jeder Arbeit den Häusernamen mit der Anschrift, auch die Litera-Nummer. Der Titel wird prägnant in größeren, roten Buchstaben hervorgehoben. Zu jedem Kunstwerk gibt es sehr übersichtlich zwei Katalogköpfe. Der erste informiert über die Gouache, in welchem Jahr Karl Nicolai sie angefertigt hat, ihre Größe, die Signatur und wo sich die Arbeit heute unter welcher Inventarnummer befindet. Die zweite gibt Auskunft über das Fresko, den Namen und die Lebensdaten des Künstlers, das Jahr der Entstehung, die Größe des Gemäldes, eine eventuelle Signatur und den Namen des Auftraggebers. Berichtet wird auch, ob die Arbeit zerstört, wieder rekonstruiert, erhalten oder restauriert ist. 19 Kunstwerke wurden zerstört, meistens 1944. Ein Gemälde wurde rekonstruiert. Leider wird nur bei drei von elf erhaltenen Kunstwerken berichtet, wann sie restauriert wurden, allerdings auch nicht von wem.
Alle diese Wand- und Deckengemälde sind heute bekannt, weil die Stadt Augsburg, speziell die damaligen Oberbürgermeister Edmund Stoeckle und später Joseph Mayr, bemüht waren, die dramatische Lage der freien Kunstmaler nach dem Ersten Weltkrieg zu verbessern, indem sie ihnen Arbeitsaufträge vermittelten. Im September 1933 bekam Oberbürgermeister Stoeckle zudem, wie alle Stadtverwaltungen, den Auftrag des Reichskartells der bildenden Künste, bei der Arbeitsbeschaffung für Künstler zu helfen. Man befürchtete außerdem den Verlust durch Verfall und Zerstörung im Krieg und wollte den Bestand für die Nachwelt wenigstens durch Kopien retten.
In Augsburg suchte man vor allem auch den Glanz und die Pracht der barocken Deckengemälde zu dokumentieren und betraute deshalb 1936 Karl Nicolai, bekannt durch seine Fassadenmalereien, mit der Aufgabe, zunächst ein Deckengemälde als Gouache zu kopieren. Nach der ersten Kopie machte dieser selbst die Bauverwaltung auf weitere Deckenfresken aufmerksam, woraufhin die Stadtverwaltung die Genehmigung der Besitzer einholte. 1937 wurde ein Teil seiner Kopien im Vorzimmer des Sitzungssaals des Rathauses ausgestellt, wie Andrea Gottdang in ihrem vorangestellten Aufsatz über das Leben Karl Nicolais berichtet. Sie urteilt, er erweise sich als „treuer Kopist“, obwohl seine Farben manchmal etwas „schmutzig“ wirkten. „Auch in der Konturierung vieler Figuren und in den leicht verwaschenen Gesichtern“ erkenne man seine Handschrift. Viele zerstörte Gemälde sind durch ihn in Farbe erhalten geblieben und künden vom Glanz barocker Lebensart, vom „Bürgerbarock“, wie Bernd Roeck diese Augsburger Zeit in seinem Aufsatz bezeichnet.
Die Beschäftigung mit den Gouachen Nicolais am Kunstgeschichtslehrstuhl war wohl der Grund für diese Ausstellung und den Katalog. Allerdings wird nicht viel über den doch eigentlich spannenden Vorlauf berichtet. Wer, wann, warum und in welchem Zusammenhang auf die Idee kam und wie und in welcher Zeit dann geforscht wurde. Im Literaturverzeichnis kann man nämlich entdecken, dass 16 Autoren einen Beitrag schon 2020 veröffentlicht haben, in „Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland“, herausgegeben von Stephan Hoppe, Hubert Lochner und Matteo Burioni.
Der Katalog startet auf 65 Seiten mit fünf großzügig bebilderten Aufsätzen zu den historischen, soziokulturellen, kunsthistorischen und biographischen Hintergründen dieser Ausstellung. Bernd Roeck, ein gebürtiger Augsburger, leitet den Reigen mit „Augsburger Bürgerhäuser des 18. Jahrhunderts“ ein. Er beleuchtet den kulturhistorischen, kultursoziologischen und kunsthistorischen Hintergrund und berichtet auf 14 Seiten von „feinen Unterschieden, schönen Proportionen und der Rede der Bilder“. Barbara Rajkay, auch eine Augsburgerin, berichtet über das „Reich in der Reichsstadt“ und bricht eine Lanze für die Bedeutung Augsburgs im 18. Jahrhundert mit immer noch vielen Inszenierungen des Reiches in der Stadt, die dann Anlässe boten, diese aufzuputzen, den Reichtum zu zeigen, sich selbst darzustellen als Hort wohlhabender, international agierender Kauf- und Handelsleute, Bankiers, auch mit erkaufter Nobilitierung. Die nach dem Dreißigjährigem Krieg auferlegte Parität zwang zu Kompromissen und Toleranz, zu einem friedlichen, gleichberechtigten Miteinander, wie auch Bernd Roeck schon meinte. Angelika Dreyer geht dem Titel der Ausstellung in „Pax & Pecunia. Merkur und Minerva im Dienste des Augsburger Geldadels“ nach und zeigt die unterschiedlichen Darstellungen von Reichtum und Handel in verschiedenen Malereien, immer aber Frieden voraussetzend. Andrea Gottdang, die Lehrstuhlinhaberin für Kunstgeschichte, berichtet in „Karl Nicolai. Kunstmaler, Restaurator, Kopist“ über dessen Herkunft aus Halberstadt, seine Ausbildung in München und Augsburg, sein Leben und Arbeiten in Augsburg und wie die Stadtverwaltung ihn mit diesen Kopien betraute. Andreas Huber spürt in „Karl Nicolais Beauftragung als Kopist. Zur Auftragslage der Gouachen nach einem Akt im Augsburger Stadtarchiv“ dem Hergang der Auftragsvergabe nach, wie Nicolai zu welchen Aufträgen kam, wie viel er für einzelne Kopien verdiente und berichtet über seine Wertschätzung heute.
Im anschließenden üppigen Katalogteil - doppelt so stark wie der Aufsatzteil - tummeln sich dann Götter und Putten und Hausherren, die von Pracht und Glanz und Reichtum ihrer Zeit erzählen. Wunderbare Fotos von den erhaltenen Fresken oder eine historische Fotografie stehen nach Möglichkeit neben der Nicolaiʼschen Gouache. Doch nicht immer ist das wohl aus layouttechnischen Gründen möglich gewesen. Manchmal findet sich sogar noch eine Vorstudie oder Skizze oder gar das interessante Vorbild als Bestätigung der Verquickung der Künstler untereinander. Alles ist exakt beschriftet. Nur die Gouachen von Nicolai sind gekennzeichnet durch einen hellbeigen oder hellgrauen Papierhintergrund. Warum Nicolai mal beiges, mal graues Papier verwendet hat, wird nicht verraten, bleibt ein Geheimnis. Er hat aber, nach Aussage mehrerer Interpreten - und nachvollziehbar - „treu“ kopiert.
Die erklärenden, interpretierenden Texte zu jedem Gemälde sind von 16 Autorinnen und 6 Autoren in den biografischen Kontext der Auftraggeber gebracht und kulturhistorisch, mythologisch und kunsthistorisch beschrieben. Anmerkungen runden als Endnoten jede Gemäldevorstellung ab. Alle Literaturangaben sind in einem Gesamtliteraturverzeichnis am Ende des Kataloges zu finden, so auch die umfangreichen Bildnachweise. Der Katalog ist zudem sehr ansprechend, großzügig und übersichtlich angelegt. Nur schade, dass außer Namen nichts über die jungen Forscher und ihre akademische Laufbahn zu erfahren ist. Trotzdem macht es große Freude, in diesem Katalog zu blättern, zu schauen und zu lesen. Er ist eine Augenweide! Diese Zusammenarbeit von Museum und Universität ruft nach mehr.