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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Arthur Dirmeier/Daniel Drascek/Harriet Rudolph (Hg.)

Spitalobjekte. Materielle Kulturen des Spitals in der Vormoderne

(Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens 16), Regensburg 2023, Friedrich Pustet, 343 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Christian Schumacher
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.04.2024

Der mittlerweile 16. Band der Schriftenreihe des Archivs des St. Katharinenspitals Regensburg, „Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens“, liegt vor. Dabei handelt es sich um das Resultat einer interdisziplinären Tagung mit dem Titel „Spitalobjekte – materielle Kulturen des Spitals in der Vormoderne“, welche im Juli 2021 im St. Katharinenspital in Regensburg standfand. Er bildet zugleich einen für diese Reihe bedeutenden Abschluss: Der langjährige Leiter des Spitalarchivs, Arthur Dirmeier, scheidet mit ihm aus der Herausgeberschaft der Reihe aus.

Insgesamt sind hier 13 Aufsätze abgedruckt, die sich mit dem Thema der materiellen Kultur im vormodernen Spital beschäftigen. Die interdisziplinäre Zusammenstellung der Autorenschaft bietet dabei die Möglichkeit, das Thema aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Kunstarchäologen (Reto Bucher) und Mediävisten (z.B. Jan Keupp) sind ebenso vertreten wie Medizinhistoriker (z.B. Annemarie Kinzelbach) und Frühneuzeithistoriker (z.B. Harriet Rudolph).

Wie das Inhaltsverzeichnis verrät, geht die Schriftenreihe konsequent ihren Weg weiter, von einer ursprünglich rein auf das Regensburger Spital bezogenen Betrachtung weg und hin zu einem sich weitenden Blick, der „Unterschiede, Annäherungen und Abweichungen“ zwischen verschiedenen Einrichtungen in den Blick nimmt, um das St. Katharinenspital immer besser in einen vielschichtigen Kontext setzen zu können. Neben dem Dresdener Jakobsspital werden Hospitäler aus der Schweiz, Italien und dem Elsass vorgestellt. Besonders deutlich wird der erweiterte geographische Fokus aber vor allem durch die englischsprachigen Aufsätze, die zudem die internationale Stoßrichtung dieses Forschungsvorhabens unterstreichen. Behandelt werden neben dem Spital im böhmischen Kukus auch Einrichtungen in der ehemaligen Kolonie Neu-Spanien. Diese Betrachtung profitiert zudem von einem gänzlich verschiedenen Kontext, in dem diese Spitäler stehen. Die Öffnung des geographischen Horizonts trägt wesentlich zum Erkenntnisgewinn dieses Werkes bei, da sie einen direkten Vergleich am Thema ermöglicht.

Dabei folgt die Konzeption des Bandes im Allgemeinen wie auch der einzelnen Aufsätze nicht mehr den klassischen Epochengrenzen von Mittelalter und Früher Neuzeit. Vielmehr wird die Kontinuität der Entwicklung aufgezeigt, welche ja vor allem in der Spitalgeschichte eine bedeutende Rolle spielt. Zunächst sind hier Aufsätze zu beachten, welche die Betrachtung des Themas über die Epochengrenzen hinweg betreiben, wie Jan Keupps Untersuchung von Abstandshaltern in Spitälern im Versuch der wirksamen Bekämpfung von Lepra und Pest. Daneben ist grundsätzlich die Gesamtkomposition des Bandes zu sehen, in dem Texte, die sich im Spätmittelalter bewegen, neben jenen stehen, die die Jahrhunderte der Frühen Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert ins Visier nehmen.

Immer wieder wird betont, wie wenig gerade die Objektgeschichte als Aspekt der Spitalgeschichte erforscht ist. Zwar seien natürlich immer wieder auch Objekte im Fokus der Spitalgeschichtsforschung gestanden, aber dabei ging es zumeist nicht oder weniger um die Objekte an sich, beziehungsweise die Formen ihres Gebrauchs. Die vorliegende Arbeit sucht diese Lücke nun zu füllen, beziehungsweise einen ersten Schritt auf diesem Weg zu beschreiten. Einige Arbeiten, wie der Aufsatz von Romedio Schmitz-Esser über „Sterben und Tod im Spital im Spiegel der materiellen Kultur des Mittelalters“ sind gleichsam als Pionierarbeiten zu bezeichnen. Literatur zu dieser Fragestellung existierte bisher noch nicht. Dabei wird interessanterweise implizit auf die Vorbildfunktion der verwandten Medizingeschichte verwiesen.

Die Einteilung der 13 Aufsätze folgt einer Gliederung in drei Sektionen. Die erste Sektion „Text, Objekt, Bild – (Inter-)disziplinäre Perspektiven auf materielle Kulturen im Hospital“ versucht mittels unterschiedlicher Perspektiven und Methoden den Objektgebrauch im vormodernen Spital näher zu beleuchten. Unter anderen wertet Reto Bucher in seinem Aufsatz den Fundkomplex einer archäologischen Grabung von insgesamt rund 4.300 Objekten, meist Keramiken, aus, welche zu einem ehemaligen Siechenhaus im Kanton Aargau in der Schweiz gehören. So konnte beispielsweise durch gefundene Schröpfköpfe das Schröpfen als medizinische Maßnahme im Siechenhaus nachgewiesen werden. Aufgrund des starken Zerstörungsgrades der meisten Objekte sind viele Aussagen jedoch nur schwierig zu treffen. Einen anderen Ansatz wählt Philine Helas, die durch die visuelle Auswertung eines Freskos im Pellegrinaio-Saal des Ospedale di Santa Maria della Scala in Siena die Bedeutung und symbolische Funktion des Bahrtuches als Symbol der reichen Ausstattung des Spitals hervorhebt. Ebenso untersucht sie die darauf befindliche Abbildung eines Uringlases. Damit wurde ihr zufolge auf besagtem Fresko die medizinische Funktion der Einrichtung hervorgehoben.

Die zweite Sektion „Typus, Region, Konfession – Rahmenbedingungen materieller Kulturen des Hospitals“ verfolgt einen besonders breiten geographischen Ansatz und beleuchtet dabei die verschiedenen Träger caritativer Einrichtungen samt den unterschiedlichen konfessionellen Rahmenbedingungen. Interessant ist die Herangehensweise von Élisabeth Clementz, die anhand eines fiktiven Spitalinsassen durch Auswertung vor allem normativer Quellenbestände die materielle Kultur des Alltags im Großen Straßburger Spital beschreibt. Vom Eintritt bis zum Tod dieses Spitalbewohners legt sie dabei besonderen Wert auf die Frage nach der Versorgung, aber auch der zunehmenden Rationalisierung im Umgang mit kranken Spitalbewohnern. Die Reformation habe dabei zu keinem grundlegenden Wandel geführt. Annemarie Kinzelbach hingegen nimmt eine Augsburger Institution ins Visier, die allein schon deswegen etwas Besonderes in der Frühen Neuzeit darstellt, weil sie als Spital fast ausschließlich für die Versorgung akut Kranker vorgesehen war: das Augsburger Schneidhaus der Fugger. Durch Betrachtung religiöser Objekte und Raumdekorationen wie Andachtsbilder oder Rosenkränze sowie das Inventar der Schneidhausbibliothek stellt die Autorin die dezidiert gegenreformatorische Ausrichtung der Einrichtung in einer konfessionell entgegengesetzten Umgebung dar.

Die dritte Sektion „Objektensembles – Funktionen und Funktionsbereiche vormoderner Hospitäler“ schließlich legt den Fokus nicht auf einzelne Objekte, sondern vielmehr auf Objektgruppen und deren Bedeutung im Spitalalltag. So beispielsweise Christina Vanja, welche in ihrem Beitrag süddeutsche Spitalbadestuben der Vormoderne behandelt. Das konkrete Objektensemble ist die Einrichtung einer solchen Badestube. Dazu gehört selbstredend auch deren allgemeiner Aufbau. Grundlage sind dabei neben schriftlichen Quellen auch archäologische Grabungsfunde. Neben der Rekonstruktion des Ablaufs des Badevorgangs anhand von konkreten Einrichtungsgegenständen wie Aufgussöfen oder Schwitzstuben wird zudem medizinischen Behandlungsmethoden innerhalb des Badehauses, beispielsweise dem Schröpfen, nachgespürt. Schließlich sei noch auf den Beitrag Georg R. Kaulferschs hingewiesen, der ein wahrlich besonderes Objektensemble näher betrachtet: Das diplomatische Privatarchiv von Johann Maria Warschitz, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts für Kaiser Maximilian I., Kaiser Karl V. und andere Reichsfürsten als Agent und Diplomat tätig war. Dieser Nachlass, bestehend aus einigen Leinentaschen, gefüllt mit Korrespondenz und zu finden im Archiv des St. Katharinenspitals in Regensburg, ist auf vielfältige Weise bemerkenswert. Nicht nur, weil ein solcher Nachlass einzigartig in Spitalarchiven ist, sondern weil er womöglich handfest aufzeigt, dass ein Spital auch in der Frühen Neuzeit durchaus noch als Übernachtungsmöglichkeit von Reisenden wahrgenommen wurde. So zumindest erklärt es sich der Autor, dass ein solch ungewöhnlicher Nachlass den Weg in das Spitalarchiv gefunden hat: Der Diplomat Warschitz wird besagtes Privatarchiv dort deponiert haben, um es auf seinen ausgedehnten Reisen nicht ständig mitführen zu müssen. Der Tod in der Fremde jedoch verhinderte, dass Johann Maria Warschnitz sein Archiv wieder an sich nehmen konnte.

Zusammenfassend wird deutlich: In dem Band „Spitalobjekte. Materielle Kulturen des Spitals in der Vormoderne“ wurde mitnichten eine rein isolierte Objektgeschichte geschrieben, sondern eine allgemeine Beschreibung materieller Kultur im Gesamtkontext „Spital“ gegeben. Dabei wurden neue Forschungsfelder und -potentiale aufgezeigt. Der Band stößt gleichsam die Tür auf zu einer neuen Perspektive auf die Spitalgeschichtsforschung. Ausgewertet wurden neben archäologischen Funden und im Archiv überdauernden Objektbeständen vor allem Rechnungsbücher, Hausordnungen, Urkunden und visuelle Quellen wie Bilder. Was zu einem grundsätzlichen Problem führt: So gilt es zu beachten, dass eine Objektgeschichte für Spitäler vor teils erheblichen Herausforderungen steht. Ist doch die materielle Überlieferung oft kaum ausreichend, sodass auf eine Rekonstruktion der materiellen Kultur in der Spitalgeschichte ausgewichen werde muss, was freilich nie eine vollkommen zufriedenstellende Erschließung des Themenkomplexes ermöglichen wird. Das sollte aber keinesfalls vor einer weiteren Beschäftigung mit der Objektgeschichte in diesem Kontext abhalten.