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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Andrea Sommerlechner/Herwig Weigl (Hg.)

Innocenz III., Honorius III. und ihre Briefe. Die Edition der päpstlichen Kanzleiregister im Kontext der Geschichtsforschung

(Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 79), Wien 2023, Böhlau, 272 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen


Rezensiert von Philipp Thomas Wollmann
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 22.05.2024

Das Jahr 1198 gilt in der Geschichtswissenschaft schon seit langem als einschneidendes Epochenjahr, da sich erst danach päpstliche Register in größerem Umfang erhalten haben und eine reiche Quellengrundlage bieten. An der Erschließung dieser wertvollen Überlieferung sind verschiedene internationale Forschungsgruppen beteiligt. Als wohl größte Unterfangen dürfen das Regestenprojekt der École Française de Rome sowie das Repertorium Germanicum des Deutschen Historischen Instituts genannt werden. Qualitativ eigene Maßstäbe setzt die Volledition der Register Innocenzʼ III., die am Österreichischen Historischen Institut und am Institut für Österreichische Geschichtsforschung erfolgt. Der bevorstehende Abschluss des Projekts sowie das Gedenken an den im Juni 2020 verstorbenen langjährigen Projektkoordinator Othmar Hageneder gaben Anlass zur Reflexion über Erkenntnisse, Desiderata und Methodik sowie einen Ausblick auf ein mögliches Fortsetzungsprojekt zu den Registern Honoriusʼ III. Der Band versammelt 16 profunde internationale Beiträge, die im Rahmen der Jahrestagung 2021 des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung gehalten wurden.

Eingeleitet wird der Tagungsband durch eine Einführung in die Editionsgeschichte von Andrea Sommerlechner (S. 11-21). Neben der wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtung, die eng mit der prägenden Person Othmar Hageneders verbunden ist, bietet sie Einblicke in das Zustandekommen der Edition, verweist auf die aus der Bearbeitung gezogenen Kenntnisse und hält eine Auswahl offener Fragen fest. Daran angeschlossen sind zwei Exkurse von Andreas Gottsmann zur Stellenproblematik 1966/67 (S. 22-25) und zur Person Pietro Pressuttis (S. 25f.). Es folgen vier Beiträge aus dem Feld der Diplomatik, beginnend mit David d’Avray. Dieser stellt acht Fragen zur Durchsetzungsmöglichkeit des Papsttums von der Spätantike bis in die Neuzeit (S. 27-37) und sucht sie knapp mit Heinrich Fichtenaus Ansatz angewandter Diplomatik zu beantworten. Dies erfolgt trotz der komplexen Fragen nur stark vereinfacht. Detailliert ist die Studie von Patrick Zutshi zu den Prokuratoren an der Kurie unter Innocenz III. (S. 39-51). Er stellt die regulierend wirkenden päpstlichen Constitutiones vor und weist darauf hin, dass die meisten Prokuratoren von außerhalb an die Kurie kamen, auch wenn das kuriale Personal vermutlich oft in einer beratenden Grauzone agierte. Genauso fundiert ist der Beitrag von Christoph Egger, der nach dem persönlichen Anteil Innocenzʼ III. an seinen Briefen (S. 53-77) fragt. Er hält fest, dass für Innocenz zumindest in jenen Briefen, die in der 1. Person Singular gehalten sind, die einen Predigtcharakter aufweisen und die auf bestimmte frühere theologische Werke des Papstes zugreifen, ein Eigendiktat angenommen werden kann. Allerdings sei die Partizipation mehrerer Verfasser nicht auszuschließen. Andreas Fischer widmet sich der Rezeption päpstlicher Briefe am Beispiel der Thomas von Capua zugeschriebenen Briefsammlung (S. 78-96). Nach ihm sei eine Vorform der später in 10 Bücher gegliederten Briefsammlung aufgrund inhaltlicher Gründe als Papstbriefe rezipiert worden und erst später das Interesse an der Stilübung in den Vordergrund gerückt. Mit dem Beitrag von Stefan Schima beginnt die Reihe von vier rechtsgeschichtlichen Abhandlungen. Schima stellt Überlegungen zu Papst Innocenz III. als Gesetzgeber an (S. 97-122), wobei er sich vor allem auf die Konstitutionen des IV. Lateranums von 1215 stützt. Dazu zeichnet er das Bild eines Papstes mit „ungewöhnlichen Machtmitteln“ (S. 121). Befremdlich wirken aber die Vergleiche Schimas zwischen mittelalterlichen Kanones und moderner Rechtsstaatlichkeit. Anne Duggan geht der Frage nach, wieso Innocenz III. in zwei Fällen Urteile seiner Vorgänger entgegen der rechtlichen Praxis widerrief. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Innocenz sich vermutlich der Argumente der rechtlich versierten Petentenvertreter bedient hat. Rainer Murauer bietet einen Überblick über das kanonische Verbot der Pfründenteilung sowie des Pfründentauschs (S. 143-153). Dieses Verbot wurde noch in den 1160er Jahren relativ strikt beachtet, weichte unter Innocenz III. aber zunehmend auf. Die Wandlung der Irregularität von Klerikern hin zu einer angewandten Strafe durch die Dekretalen Innocenzʼ III. beschreibt Lotte Kéry (S. 155-168) und macht damit auf eine für das Spätmittelalter grundlegende Entwicklung aufmerksam. Es folgen drei Darstellungen, welche die Bedeutung der päpstlichen Register für verschiedene Regionen der Christenheit an ausgewählten Beispielen vorstellen. Chris Schabel übernimmt dies für den lateinischen Osten (S. 169-184), Kristjan Toomaspoeg widmet sich dem Königreich Sizilien (S. 185-199) und Damian Smith betrachtet die iberischen Königreiche (S. 201-209). Allen gemein ist die Betonung der Bedeutung der kurialen Register, die im Falle des lateinischen Ostens nahezu die einzige Überlieferung darstellen, in Süditalien und der iberischen Halbinsel dagegen in Kombination mit den lokalen Archivalien einen detaillierten Einblick in die regionalen Verhältnisse erlauben. Der letzte Teil des Bandes wendet sich digitalen Methoden zu. Thomas Smith unterzieht das 8. Pontifikatsjahr Honoriusʼ III. einer datenbankgestützten quantitativen Analyse (S. 211-223). Daraus leitet er ab, dass mehr Urkunden im Winter als im Sommer expediert wurden, die Petenten meist aus Frankreich und Italien stammten, Bischöfe und Erzbischöfe besonders häufig Empfänger waren sowie mehr als 50 Prozent der Briefe in Sachen der kirchlichen Administration ausgestellt wurden. Verschiedene hilfreiche digitale Tools zur Regestierung und Edition von Urkunden zeigt Georg Vogeler auf (S. 222-242). Er betont aber die Notwendigkeit, vermehrt Urkundenabbildungen, Editionen und Regestenwerke als Linked Open Data zur Verfügung zu stellen, um zukünftig bisher aufgesplitterte Daten zusammenführen zu können. Den aktuellen Stand der innovativen Transkriptionssoftware In Codice Ratio (ICR) stellen die Projektleiter Serena Ammirati, Marco Maiorino und Paolo Merialdo vor (S. 243-251). Abschließend bietet Jörg Voigt einen Einblick in die verschiedenen nationalen Unternehmungen, die schon im 18. Jahrhundert und vor allem seit der Öffnung der Vatikanischen Archive 1881 aus den päpstlichen Registerserien schöpften, unter besonderer Berücksichtigung des Repertorium Germanicum. Ein Siglenverzeichnis (S. 267-270) sowie eine Adressatenliste der Beiträger (S. 271-273) runden den gelungenen und interessanten Band ab.