Aktuelle Rezensionen
Marktgemeinde Mering/Stefan Breit (Hg.)
1000 Jahre Mering 1021–2021
Augsburg 2022, context verlag, 732 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Lukas Staffler
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.06.2024
Chroniken wohnt etwas Ambitioniertes inne. Historiker sahen und sehen bei dieser ursprünglichen Form der Geschichtsschreibung ihre Aufgabe in der Aufzeichnung chronologischen Wissens, das über lange Zeiträume schriftlich wie mündlich zusammengetragen wurde. Darüber, ob der Ansatz einer umfassenden, auf Vollständigkeit und Lückenlosigkeit beruhenden Darstellung zu einer Region, Stadt oder Kommune überhaupt realisierbar ist, lässt sich streiten. Quellenmaterial ist schließlich keine paritätische Größe, die epochenübergreifend eine stringente Nacherzählung ermöglicht. Das ist aber auch nicht nötig. Problematisch wird es hingegen, wenn Chroniken um ihrer Chronologie willen versuchen, Narrative zu beugen und durch Quellenarmut bedingte Lücken behelfsmäßig zu füllen. Sie werden dann zu Opfern ihres hochgesteckten Ziels, welches oft an seiner Umsetzbarkeit scheitert.
Anders hingegen verhält es sich bei dem von der Marktgemeinde Mering herausgegebenen Werk, das im Titel bewusst auf den Zusatz „Chronik“ verzichtet. Auf über 700 Seiten mit zahlreichen Abbildungen wird der historisch gewachsene Raum Mering für Leserinnen und Leser erfahrbar. Da eine detaillierte Besprechung aller Themenbereiche den Rahmen einer Rezension sprengen würde, erlaubt sich der Verfasser eine inhaltliche Vorstellung unterschiedlich starker Gewichtung, um im Anschluss den Band in seiner Gesamtheit und seinem historiographischen Wert beurteilen zu können.
Im ersten Abschnitt (S. 12-143) bemüht sich die anlässlich des 1000-jährigen Jubiläums der Marktgemeinde erschienene Darstellung um einen chronologischen Überblick von der Vor- und Frühgeschichte bis hin zur Gegenwart. Dabei gilt es anzumerken, dass die Autorinnen und Autoren nicht in oben beschriebene Muster verfallen, sondern Zeiträume in dem Umfang analysieren, wie es die Quellenlage zulässt. Die Leistung der Lokalstudie liegt darin, dass Schlaglichter – losgelöst von einer Diktion der Chronologie – auf bestimmte Aspekte der Historie gerichtet werden, ohne dabei eine zeitliche Einordnung zu unterschlagen. Nach einem kurzen Abriss zu den an Mering angegliederten Ortsteilen (S. 144-165), befassen sich die Autoren mit „Mering und seine[n] Denkmäler[n]“ (S. 166-227). Im Fokus stehen dabei kunsthistorische und baugeschichtliche Auseinandersetzungen mit der stadtbildprägenden Architektur Merings. Hierzu zählen unter anderem das Meringer Schloss, Bau- und Kriegerdenkmäler, Brunnen sowie Kirchen und Kapellen. Den Autoren gelingt in ihren Aufsätzen der Spagat zwischen einer fundierten kunsthistorischen Einordnung auf der einen und zugleich einer allgemeinverständlichen Darstellung für interessierte Laien auf der anderen Seite. Ob hingegen sakrale Bauwerke wie Kirchen und Kapellen unter dem Gliederungspunkt „Denkmäler“ besonders passend aufgehoben sind, bleibt zu hinterfragen. Unter maßgeblicher Autorschaft von Katharina Axtner beschäftigt sich der daran anschließende Teilbereich mit „Mering und seine[r] Wirtschaft“ (S. 228-323). Dem Leser wird ein breites Panorama zur ökonomischen Geschichte der Marktgemeinde geboten. Die unterschiedlichen Industriezweige bilden den Zugang zur Untersuchung. Hervorzuheben ist, dass nicht nur eine Geschichte der Großindustriellen und Leitfiguren der Meringer Wirtschaft wiedergegeben wird; die Studie erweitert den Diskurs um die Perspektive der „einfachen Leute“ und betont dezidiert die wirtschaftliche Tragweite jenseits der Eliten. Die für die Entwicklung einer Kommune maßgebenden infrastrukturellen Bedingungen (S. 326-395) sind im darauffolgenden Kapitel Gegenstand der Auseinandersetzung. Dabei tragen die Autoren der historischen Untersuchung hinsichtlich der Abdeckung von Grundbedürfnissen Rechnung. Von der Wasser- und Elektrizitätsanbindung über das Eisenbahn- und Postwesen, die medizinische Versorgung bis hin zu Polizei und Feuerwehr liefern die Aufsätze Einblicke in strukturgebende Instanzen gemeindlichen Zusammenlebens. Obgleich man unter diesem Gliederungsabschnitt den Aspekt Bildung vermuten würde, widmen die Autorinnen und Autoren der „Erziehung und Schule in Mering“ (S. 398-461) ein eigenes Kapitel. Schwerpunktmäßig thematisieren die Beiträge die historische Entwicklung des Schul- und Betreuungswesens vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dabei erwartet den Leser keine reine Institutionsgeschichte. Vielmehr erweitern die Verfasser den Diskurs um die Rolle des Lehrpersonals in der Dorfgemeinschaft, den Alltag der Schulkinder sowie den gesellschaftlichen Stellenwert der Bildungseinrichtungen. Im Kapitel zu Merings Kirchengemeinden (S. 462-545) wird die Vielfalt geistlicher Gemeinschaften des Marktes abgebildet. Insgesamt können diese Aufsätze vor dem Hintergrund einer religiösen Lokalstudie beurteilt werden. Große Linien glaubenspolitischer Entwicklungen seit dem Frühmittelalter werden aus regionalen Kontexten heraus entwickelt und geschickt analysiert. Das Große im Kleinen abzubilden ist eine Leistung, bei der historische Strukturen dekonstruiert und auf einer regionalen Ebene wieder zusammengesetzt werden. Eine für Laien abstrakte Kirchengeschichte bekommt Gesichter und Namen, sie wird greifbar. Diesem Anspruch werden die Autoren vollkommen gerecht und zeichnen ein lebendiges Bild religiösen Zusammenlebens in einem Spannungsfeld aus Akzeptanz und Konflikt. Im letzten Drittel des Bandes widmen sich die Beteiligten in besonderer Weise lokalen Akteuren. Dass in der Pluralität gemeinschaftlicher Zusammenschlüsse sich die kulturelle Identität einer Kommune ausdrückt, zeigt das Kapitel „Mering und seine Vereine“ (S. 546-639) in besonderer Weise. Meringer Prominenz (S. 640-661) und politischen Akteuren wie Parteien (S. 662-687) wird in zwei weiteren Kapiteln Raum gegeben. Den inhaltlichen Abschluss der Aufsatzsammlung bilden Betrachtungen zu Sprache, Dialekt, Namensgebung und Hausbesitzern (S. 688-727).
Der Marktgemeinde Mering ist ein Werk gelungen, an dem sich vergleichbare Darstellungen zur Regional- und Stadtgeschichte werden messen müssen. An die 40 Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Profession und Herkunft befassen sich kenntnisreich mit historischen Themen, stellen diese in Bezug zueinander und informieren in unaufdringlicher Art und Weise. Um das reichhaltige Informationsangebot einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wäre ein digitaler Zugang zu den Inhalten wünschenswert. QR-Codes und Informationstafeln an Denkmälern, die beispielsweise auf gekürzte Fassungen der Texte verweisen, haben das Potenzial, breitere Kreise anzusprechen. In Gänze betrachtet stellt der Band eine Bereicherung für die regionalhistorische Forschung im bayerisch-schwäbischen Raum dar.