Aktuelle Rezensionen
Peter Wolf u. a. (Hg.)
Barock! Bayern und Böhmen. Katalog zur Bayerisch-Tschechischen Landesausstellung 2023/2024
Haus der Bayerischen Geschichte, Regensburg, 10. Mai – 3. Oktober 2023, Regensburg 2023, Pustet, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Václav Bůžek
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 24.06.2024
Begleitend zur Bayerisch-Tschechischen Landesausstellung „Barock! Bayern und Böhmen“, die im Sommer 2023 in Regensburg und im Frühling 2024 in Prag zu sehen war, ist ein gleichnamiger Katalog erschienen, herausgegeben vom Haus der Bayerischen Geschichte.
Dass dieses Thema über längere Zeit gereift war, lässt sich unter anderem am Programm eines 2005 veranstalteten Forschungskolloquiums mit deutscher und tschechischer Teilnahme ablesen. Die einzelnen Vortragenden versuchten bei dieser Gelegenheit, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der bayerischen und böhmischen Geschichte im Laufe der Zeit systematischer darzustellen, wobei der Barockzeit ein besonderes Augenmerk galt. Der Aufbau des hier besprochenen Katalogs wird den an eine moderne Begleitpublikation gestellten formalen Anforderungen durchaus gerecht, indem er den Ausstellungsbesuchern sowie anderen an der Barockkultur Bayerns und Böhmens Interessierten nicht nur eine ausführliche Beschreibung der gezeigten Objekte bietet, sondern in den einführenden Aufsätzen auch den weiteren geschichtlichen Kontext als Rahmen für die Einzelthemen liefert. Zu den unbestreitbaren Vorzügen des Bandes zählt seine überaus gelungene grafische Gestaltung, insbesondere die farbigen Reproduktionen von hoher Qualität und deren erhellende Beschreibungen.
Die ersten beiden Aufsätze nehmen den größeren gesellschaftlichen Kontext der Barockzeit in der bayerischen und der böhmischen Geschichte in den Blick. Das anvisierte Ziel der Autoren Richard Loibl und Vít Vlnas besteht zwar zumindest teilweise in der Erfassung der vielfältigen Verbindungen und Zusammenhänge zwischen Bayern und Böhmen vornehmlich im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bereich in der Zeit vom ausgehenden 16. bis zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ihre enzyklopädisch knappen Ausführungen kommen jedoch über die allgemein bekannten Tatsachen nicht hinaus und lassen zudem eine eingehendere Reflexion der neuen Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren vermissen. Das von Vlnas skizzierte, weitgehend der traditionellen Auffassung verhaftete Bild der habsburgischen Regierung im Böhmen der Barockzeit entspricht nicht mehr dem neuesten Forschungsstand und Erkenntnissen, die die gegenwärtige Geschichtswissenschaft in Mitteleuropa zu bieten hat. Auch die jüngsten Befunde, vornehmlich auf die Erforschung von Schriftstücken aus Münchner Archiven gestützt, zeigen ein etwas anderes, von Vlnasʼ Darstellung abweichendes Bild der Kontakte zwischen Habsburgern und Wittelsbachern – zumindest in der Zeit vom ausgehenden 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, insbesondere während des böhmischen Ständeaufstands 1618 bis 1620.
Mit Ausnahme eines einzigen Textes widmen sich die folgenden sechs Essays des Katalogs, allesamt aus der Feder von Kunsthistorikern und Kunsthistorikerinnen, dem Thema der Architektur und Malerei des Barock. Hervorzuheben ist an dieser Stelle sicherlich deren mehr oder weniger in die Tiefe reichende vergleichende Perspektive, die Suche nach bayerisch-böhmischen kulturellen Gemeinsamkeiten sowie das zumindest bei einigen Autoren deutlich gewordene Anliegen, die in den Kunstwerken vorgefundenen Symbole zu interpretieren. Einen solchen Ansatz wählt Damien Tricoire in seiner knappen Reflexion über den symbolischen Gehalt der Mariensäulen von München und Prag. Er interpretiert sie einerseits in ihrer Bedeutung für die Repräsentation der Rekatholisierungspolitik, der katholischen Frömmigkeit und der militärischen Siege der herrschenden Dynastien in Böhmen und Bayern – andererseits gelten sie ihm als Denkmäler eines barocken Landespatriotismus. Anders als Tricoire verlässt Bernhard Schütz in seinem kurzen Text nicht den üblichen faktografischen Grundriss einer deskriptiven Präsentation der wichtigsten Barockbauten und ihrer Architekten in den beiden fokussierten Gebieten. Daniela Lunger-Štěrbová bereichert den Band durch ihre Abhandlung über die theoretische Rolle der Geometrie im Werk der grenzüberschreitend tätigen Baumeister. Von einem kulturhistorischen Standpunkt aus befasst sich Britta Kägler auf sehr anregende Weise mit der Entstehung barocker Landschaften im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet. Sie vollzieht dabei einzelne Schritte bei der Auftragsvergabe zum Bau einer barocken Residenz nach und zeigt die Art und Weise der Kommunikation geistlicher und adliger Mäzene insbesondere mit den italienischen Architekten, Baumeistern und weiteren Künstlern. Die methodologische Fundierung von Käglers Aufsatz in den Konzepten der kulturellen Kommunikation erweist sich als interpretativ äußerst ertragreich, zudem sind die beiden fokussierten Gebiete in den Ausführungen tatsächlich ausgewogen vertreten, was man von einigen anderen Texten des Katalogs trotz ihrer deklarierten Absicht nicht behaupten kann. Der von Angelika Dreyer und Martin Mádl gemeinsam verfasste Essay widmet sich den Schöpfern von großen Deckengemälden sowie weiteren Kunstwerken, die die barocken Residenzen geistlicher wie weltlicher Auftraggeber aus Bayern, Böhmen und Mähren zierten.
Besondere Hervorhebung unter den sechs Aufsätzen des Katalogs verdient einzig der Beitrag aus der Feder des Historikers Jiří Hrbek, der in einer konsequent komparatistischen Perspektive und größtenteils auf Grundlage eigener Forschungen sowie seiner herausragenden Kenntnisse einschlägiger Literatur die Zusammensetzung des Hofes der Habsburger und der Wittelsbacher umreißt und Gemeinsamkeiten wie Unterschiede des dort gültigen Hofzeremoniells herausarbeitet, dessen barocke Form aus den Ritualen des spätmittelalterlichen burgundischen und des spanischen Hofes hervorging. Sowohl das gewählte Thema als auch die vorgelegten Ergebnisse zeigen eindrücklich, welche Richtungen die aktuelle Erforschung der Barockkultur an den Höfen in Wien und München einschlägt. Im Gegensatz zur traditionellen kunsthistorischen Beschreibung von Werken der materiellen Kultur, die den dominierenden methodologischen Ansatz der meisten übrigen Aufsätze darstellt, greift Hrbeks Beitrag kulturhistorische Konzepte mit deutlich anthropologisierenden Elementen auf, um die Weltbilder der einzelnen Akteure und die diese zum großen Teil konstituierende Sprache der Symbole zu verstehen.
Nach der Besichtigung der Ausstellung an ihrem ersten Standort Regensburg und der Lektüre des Katalogs stellt sich dem Rezensenten die Frage, ob das vorgelegte Konzept tatsächlich einen möglichst ganzheitlichen Blick auf die Barockzeit in Bayern und Böhmen repräsentiert und ob es Erkenntnisse der neuesten Forschung zu diesem inhaltlich doch sehr weitgreifenden Thema ausreichend reflektiert. Es ist den (deutschen und tschechischen) Schöpfern sicherlich gelungen, die vielfältige Kultur des Barock anhand traditioneller Zeugnisse der „hohen“ Kunst der herrschenden Dynastien wie der geistlichen und weltlichen Elite zu zeigen, die allgemein bekannt und für die Ausstellungsbesucher visuell attraktiv sind. Etwas zu kurz gekommen ist bei diesem Ausstellungskonzept die Kultur der niedrigeren gesellschaftlichen Schichten, obwohl die Erforschung der materiellen Kultur des Bürgertums und der Landbevölkerung beispielsweise mit Berücksichtigung von Nachlassverzeichnissen in der tschechischen Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte relativ großen Anklang fand. Mit Ausnahme einiger weniger Einzelobjekte blieb die in ihren Erscheinungsformen recht vielfältige barocke Volkskultur auf dem Lande in der Ausstellung weitgehend ausgeklammert. Dabei ging es nicht nur um Frömmigkeit, sondern vor allem um den Alltag eines Großteils der Bevölkerung in all seinen Facetten, der in den erhaltenen und in musealen Sammlungen aufbewahrten Objekten der materiellen Kultur seinen Ausdruck fand. Außerdem gehört neben der bildenden Kunst auch die Literatur mit all ihren zeitgenössischen Genres zur Kultur des Barock, denen die Autoren der Ausstellung jedoch im Gegensatz zu Theater und Musik nur wenig Aufmerksamkeit schenkten.
Abschließend wäre vielleicht noch anzumerken, dass es sicherlich von Vorteil gewesen wäre, wenn eine größere Zahl an Urkunden, Drucken sowie weiteren schriftlichen Denkmälern der Buchkultur in die Auswahl der gezeigten Exponate Eingang gefunden hätte, die in der bestehenden Konzeption eher eine Randerscheinung blieben.