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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Benjamin Müsegades

NS-Täter zwischen Gestapo und pfälzischer Geschichtsforschung. Karl Richard Weintz (1908−2010)

Ubstadt-Weiher 2023, Verlag Regionalkultur, 144 Seiten


Rezensiert von Matthias Berg
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 10.07.2024

Es zählt zu den erschreckenden Erkenntnissen der nach wie vor intensiven Erforschung der nationalsozialistischen Herrschaft, dass es zwischen scheinbarer bürgerlicher „Normalität“ und unmittelbarer Mitwirkung an der Vernichtung des europäischen Judentums keinen unüberbrückbaren Graben gegeben hat, sondern beides sich in einem Lebenslauf, in einer Person, vereinen ließ. Einem dieser „ganz normalen Männer“ (Christopher Browning) hat Benjamin Müsegades eine schmale, aber gleichwohl gewichtige Darstellung gewidmet.

Der 1908 geborene Karl Richard Weintz durchlief bis 1945 eine mustergültige Karriere als Nationalsozialist, an deren Beginn wie bei vielen Angehörigen der Trägergeneration des NS-Staates eine Kindheit und Jugend im Schatten des Ersten Weltkrieges, des Zusammenbruches der vertrauten Ordnung des Kaiserreichs und der von Krisen erschütterten Weimarer Republik stand, im Besonderen noch das einschneidende Erlebnis der französischen Besetzung der Pfalz. Weniger als der „Frontgeneration“, dies hat Ernst Schulin für die deutschen Historiker bereits vor geraumer Zeit plausibel vertreten, wurde dieser „Kriegsjugendgeneration“ der stellvertretende Krieg gegen die verhasste parlamentarisch-liberale Ordnung zum gemeinschaftsstiftenden Erlebnis. Mit einem Studium der Rechtswissenschaften und seinem frühen Eintritt in die NSDAP (1929) war Weintz bestens auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten vorbereitet, welche ihm eine erfolgreiche Karriere in verschiedenen Institutionen des nationalsozialistischen „Maßnahmenstaates“ (Ernst Fraenkel) bescherte.

Der Referendar Weintz stellte seine praktische Verwendbarkeit als Gaunachrichtendienstleiter bald nach 1933 unter Beweis. Zwischen 1934 und 1938 war Weintz für den SD respektive die Gestapo in München, Berlin und Darmstadt tätig, um nach dem Anschluss Österreichs nach Wien zu wechseln und dort in die Judenverfolgungspolitik unmittelbar involviert zu sein. Nach der Rückkehr nach München trug Weintz zu Ermittlungen gegen den monarchistisch und katholisch orientierten Kreis um den Rechtsanwalt Adolf von Harnier bei. In diesem Zusammenhang hat seine Tätigkeit in der Forschung bereits Aufmerksamkeit gefunden, auch in Michael Wildts Studien zur „Generation des Unbedingten“ im Reichssicherheitshauptamt war Weintz einbezogen – jeweils ohne als Person genauere Konturen zu erhalten.

Nachdem die Karriere Weintzʼ im NS-Staat noch bis in die jüngste Zeit hinein – ob anlässlich öffentlicher Ehrungen oder in Nachrufen – gänzlich verschwiegen oder wesentlich im Verborgenen gehalten wurde, hat sich Müsegades zu Recht für eine sehr dichte, teils minutiöse Nachzeichnung der Stationen, Wirkungsfelder und Folgen dieser Laufbahn eines unzweifelhaften Nationalsozialisten entschieden. Die Lektüre wird durch dieses Vorgehen, durch umfangreiche Fußnoten wie durch die breite Rezeption der Forschungsliteratur nicht unbedingt erleichtert, doch kann und muss die historische Forschung dem konsensual über Generationen gepflegten Verschweigen mit unbestechlicher Genauigkeit begegnen. Man mag Weintz zu den sprichwörtlichen „second rate people“ zählen – eben solche haben mit Einsatz und Überzeugung der Verfolgungspolitik des NS-Staates erst zur Umsetzung verholfen.

Die Laufbahn von Weintz führte diesen schließlich in das Zentrum der Vernichtungspolitik: Seit 1940 war er für das Reichssicherheitshauptamt in Berlin tätig, von April 1942 an für etwa ein Jahr als Mitglied der Einsatzgruppe B in der „Partisanenbekämpfung“ an der Ermordung zehntausender Menschen beteiligt. Aus gesundheitlichen Gründen noch vor Kriegsende nicht mehr im Dienst, gelang es Weintz nach seiner Internierung durch die Besatzungsbehörden wie auch in seinem Spruchkammerverfahren, sich als unpolitischen Verwaltungsjuristen darzustellen sowie Konflikte mit NS-Parteistellen zu Widerstandshandlungen umzudeuten. Nach erfolgreich absolvierter „Vergangenheitsbewältigung“ kehrte Weintz, der in den folgenden Jahrzehnten als Rechtsanwalt tätig war, zur bereits vor 1933 betriebenen, zugunsten der NS-Karriere zurückgestellten pfälzischen Geschichtsforschung zurück.

Die Darstellung der heimatkundlichen Aktivitäten hätte wohl etwas gestrafft werden können – insgesamt jedoch überzeugt der Bogen, den Müsegades von dem wenig aufregenden Wirken Weintzʼ als regionaler Geschichtsforscher über seine fortgesetzte „Arbeit“ an der eigenen Biographie (im Zuge der zögerlich erwachenden Verfolgung von NS-Verbrechen geriet auch Weintz in den Fokus) bis zu den völkischen Prägungen der Landesgeschichte in den 1920er Jahren schlägt. Es verbleibt jedoch nicht ohne bitteren Beigeschmack festzuhalten, dass allein der im Laufe der Jahrzehnte wachsende Erfolg Weintzʼ in der pfälzischen Geschichtsforschung dazu geführt hat, sein „erstes“ Leben als „Täter des Holocaust“ (S. 69) zu entdecken.