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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Rainald Becker/Christof Botzenhart (Hg.)

Die Bayerischen Ministerpräsidenten 1918–2018

Regensburg 2024, Friedrich Pustet, 423 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Michael Kißener
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 10.07.2024

Der deutsche Föderalismus hat bis heute in Bayern eine starke Stütze, die ganz wesentlich von den bayerischen Ministerpräsidenten – eine Ministerpräsidentin gab es noch nicht – repräsentiert wird. Was der bayerische Ministerpräsident zu politischen Vorhaben meint, hatte in Bonn und hat in Berlin Gewicht. Es ist daher mehr als zu begrüßen, dass Rainald Becker und Christof Botzenhart erstmals eine Sammlung von allen bayerischen Ministerpräsidentenportraits vorlegen, die handlich und übersichtlich nicht nur deren Biographie erschließt, sondern auch „das Wirken der Ministerpräsidenten in die Perspektive der bayerischen (Eigen-)Staatlichkeit rückt“ (S. 17). Darüber hinaus blicken weitere Beiträge auf die Vorläufer des Ministerpräsidentenamts in der frühen Neuzeit (Alois Schmid) und im 19. Jahrhundert (Hannelore Putz, Rainald Becker), auf die verfassungsrechtliche Stellung des Ministerpräsidenten (Christoph Becker) und seinen Amtssitz (Christof Botzenhart). Es liegt nahe, dass aufgrund der Quellenzugänglichkeit die Amtsführung der Ministerpräsidenten der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik fundierter analysiert werden konnte, als das für jene, die etwa seit den 1980er Jahren im Amt gewesen sind, derzeit möglich ist. Umgekehrt legt die Publikation bei der Beschreibung der Ministerpräsidenten der letzten Jahre bis hin zu Horst Seehofer mehr aussagekräftiges Bildmaterial vor, das die bisweilen gekonnte Inszenierung des bayerischen Ministerpräsidentenamtes gut erkennen lässt.

Die insgesamt 22 Aufsatzbeiträge mit einem Umfang von in der Regel je 15 bis 20 Druckseiten fußen zumeist auf einschlägigen Veröffentlichungen, die hier zu einem biographischen Gesamtbild zusammengeführt werden, einige sind zusätzlich auch aus intensiverem Aktenstudium entstanden. Diese sollen im Folgenden wegen ihres innovativen Potentials besondere Berücksichtigung erfahren, da im Rahmen einer kurzen Rezension ohnehin nicht alle Aufsätze vorgestellt werden können.

Die Aufmerksamkeit des Lesers erregt zunächst in besonderer Weise die bis heute ja sehr umstrittene Biographie Kurt Eisners, die Bernhard Grau geschrieben hat. Er beginnt seine Darstellung zu Eisner direkt in der Revolutionsphase am Ende des Ersten Weltkrieges und verweist auf die lange vor dem November 1918 liegende Vorbereitung des Umsturzes, aus der Eisner einen besonderen Anspruch auf die Neugestaltung der politischen Verhältnisse abgeleitet habe. Der gebürtige Berliner Sozialdemokrat wurde in München erst mit dem Antikriegsstreik im Januar 1918 bekannt und kam als Mitglied und Leitfigur der Münchner USPD nur durch die besonderen Umstände der revolutionären Gärung als erster und lediglich für rund vier Monate in das eigentlich neue Amt des bayerischen Ministerpräsidenten. In diesen Umständen sieht Grau die Ursache für seine umstrittene historische Einordnung. Inwieweit Eisner ein wirklich überzeugter Anhänger des Parlamentarismus war und welche Intentionen er durch seinen Rückhalt in den Münchner Arbeiter- und Soldatenräten verfolgt hat, muss auch für Grau offenbleiben. Für beachtlich hält er allerdings Eisners klares Bekenntnis zur deutschen Kriegsschuld und seine Bereitschaft, mit den dafür verantwortlich gemachten Eliten des Reiches brechen zu wollen – Eisner habe geradezu ein „Aufklärungsfuror“ (S. 72) getrieben. Und dass Eisner auch zu den stärksten Föderalisten, ja geradezu zu einer Art Neubegründer bayerischer Eigenstaatlichkeitsansprüche gegenüber dem Reich wurde, sieht Grau als bemerkenswert an. In der aufgeheizten Stimmung der Revolutionszeit und verhetzt durch eine oftmals gehässige Presseberichterstattung konnte der so widersprüchliche Eisner letztlich nicht reüssieren und fiel einem Mordanschlag zum Opfer.

Unter den weiteren bayerischen Ministerpräsidenten der Weimarer Jahre tritt der wie Eisner ebenso umstrittene Gustav Ritter von Kahr hervor, der von Matthias Bischel portraitiert wird. Bischel hat im hundertsten Erinnerungsjahr an den Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923 eine eigene, umfängliche Quellenedition zu diesem historischen Ereignis vorgelegt und ist dadurch zu einem intimen Kenner vieler bislang unbekannter Quellen auch zu Kahr geworden. Er plädiert dafür, Kahr nicht einseitig vom Ende seiner politischen Karriere her zu beurteilen, und zeichnet seinen Weg bis zum Generalstaatskommissar in Bayern detailliert nach. Dabei sieht er den rigide gegen das Reich agierenden, latent antisemitisch eingestellten Kahr als wichtigen Unterstützer von Einwohnerwehren und sonstigen Selbstschutzorganisationen, der auch nicht vor Unterstützungsleistungen und Kontakten zu jenen Leuten zurückschreckte, die später politische Morde begehen sollten („Organisation Consul“). Dass Kahr zu den Opfern des sogenannten „Röhm-Putsches“ 1934 gehörte, weil er seinen einstigen NS-Bundesgenossen mittlerweile als Verräter galt, sollte, so Bischel, nicht darüber hinwegtäuschen, wie ambivalent und problematisch seine politische Führung in Bayern gewesen ist.

In der Reihe der bayerischen Ministerpräsidenten nach 1945 fällt in besonderer Weise Hans Ehard auf, der als einziger zwei Mal dieses Amt bekleidet hat (1946–1954 und 1960–1962) und nach Ansicht seines Biographen Thomas Schlemmer ein ausgewiesener Föderalist und Bewahrer bayerischer Eigenstaatlichkeitsansprüche gewesen ist. Schlemmer zeichnet sehr detailreich das bundespolitische Agieren des Justizjuristen Ehard nach, der mit innerparteilichen Gegnern ebenso zu kämpfen hatte wie mit seinen Koalitionspartnern. Als es nach der enttäuschenden Wahl von 1954 der SPD gelang, eine Koalitionsregierung aus vier Parteien gegen die CSU zu bilden, wurde er Landtagspräsident und führte dieses Amt in einer Unparteilichkeit und Vornehmheit, die alle Abgeordneten beeindruckte. 1960 stellte er sich nochmals in einer schwierigen Situation für die CSU für das Amt des Ministerpräsidenten zur Verfügung, in der Regierung von Alfons Goppel fungierte er noch bis zu seinem 79. Lebensjahr als Justizminister.

Ein Musterbeispiel biographischer Präzision bietet Ferdinand Kramer mit seiner Darstellung von Alfons Goppel, indem er dessen Wirken gekonnt in überregionale, auch kirchengeschichtliche Entwicklungen einordnet und die besondere Leistung dieses äußerst wichtigen bayerischen Ministerpräsidenten klar hervortreten lässt. Eine bedeutende politische Anfangserfahrung sieht er in der Tätigkeit Goppels in Aschaffenburg, wo er zunächst als Amtsrichter, später als Landrat gewirkt hat – eine Feststellung, die sich mit den Erträgen der neuen Aschaffenburger Stadtgeschichte vollkommen deckt. Den mit 16 Amtsjahren bisher am längsten amtierenden Ministerpräsidenten kennzeichnet Kramer als einen Mann, der den gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel zwischen 1962 und 1978 gekonnt zu moderieren wusste, der die Grundlagen für eine zukunftsweisende Bildungs- und Wissenschaftspolitik gelegt, eine neuartige Föderalismus- und Identitätspolitik gestaltet und bei alledem Bayern in internationalen Kontexten verortet hat. Hervorzuheben ist, dass Kramer auch einen Blick in die Funktionsweise der Staatskanzlei als aufstrebendes Machtzentrum in der Ära Goppel wirft.

Rainald Beckers und Christof Botzenharts Sammlung von Ministerpräsidentenportraits umfasst schließlich auch die jüngsten Inhaber dieses Amtes – aus historischer Perspektive durchaus bedenklich, da viele Akten zur Einordnung dieser Amtsinhaber noch gar nicht zugänglich sind und die allfälligen Politikermemoiren bekanntlich quellenkritisch höchst problematisch sein können. Gleichwohl ist es ein Zugewinn, auch über diesen Personenkreis hier valide Informationen zu finden, zumal wenn ein so intimer Kenner der CSU und der bayerischen Politik wie Heinrich Oberreuter etwa das Portrait von Edmund Stoiber zeichnet.

„Die Bayerischen Ministerpräsidenten 1918–2018“ ist daher als ein Buch einzuordnen, das nicht nur eine breite Leserschaft in Bayern finden dürfte, sondern dem man wünschen möchte, dass es als Standard- und hilfreiches Nachschlagewerk den Weg in viele private und öffentliche Bibliotheken findet.