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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Barbara Beck

Lucas Cranach d. Ä. Kunst zwischen Kommerz und Glaube

(kleine bayerische biografien), Regensburg 2023, Friedrich Pustet, 144 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Moritz Brocke
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 19.07.2024

Das Bild dessen zu vervollständigen, der als künstlerischer Spätstarter aus dem Frankenland keinem Geringeren als seinem persönlichen Freund Martin Luther ein öffentlich-visuelles Gesicht gab, indem er den Reformator und seine Frau Katharina von Bora in die künstlerische Doppelbildlichkeit überführte: Dieser Aufgabe stellt sich die freie Historikerin und Sachbuchautorin Barbara Beck in ihrem Buch zu Lucas Cranach dem Älteren (1472–1553) in der historischen Lebenslaufreihe „kleine bayerische biografien“. Wenngleich die Publikationen und Beiträge zu Cranach d.Ä. aus den vergangenen Jahrzehnten ohne Probleme ganze Regalreihen in Bibliotheken füllen könnten, so zeichnet sich das entstandene Büchlein mit seinen sechs inhaltlichen Kapiteln und über 30 Erklärseiten zu historischen Hintergründen durch seine Kompaktheit und seinen gleichzeitigen Inhaltsreichtum aus. Dabei werden bestehende Erkenntnisse aus der Forschung zusammengeführt und zugleich dem Quellenmangel geschuldete Lücken in der ersten Lebenshälfte des Malers problematisiert. Offenkundig wird in Becks Arbeit aber auch die zentrale Ambivalenz im Leben und Schaffen des langjährigen kursächsischen Hofmalers, welche schon der Untertitel zwischen den Polen aus Kommerz und Glaube verortet. Aufgewachsen mit vier Geschwistern als Kind des für lokale Verhältnisse betuchten Ehepaars Moller, nahm Lucas Cranach den Namen seiner oberfränkischen Geburtsstadt Kronach an, ehe es ihn in seinen Dreißigern für zwei Jahre nach Wien zog. In der Donaumetropole blieb dem auswärtigen und unverheirateten Künstler aus dem Hochstift Bamberg der Zugang ins Zunftrecht der Meister verwehrt. Da der römisch-deutsche König Maximilian I. Wien aber zur permanenten Residenzstadt des Hauses Habsburg umzugestalten suchte und daher die Stadt ein adäquates Ambiente benötigte, herrschte rege Nachfrage auf dem Kunstmarkt. Barbara Beck zufolge kam Cranach diese Situation zugute; er dynamisierte und vitalisierte in seinen Werken im Dunstkreis des sogenannten „Donaustils“ die eingebauten Landschaftsmotive zu den neutestamentarischen Erzählungen rund um die „Flucht nach Ägypten“ oder die „Passion“. Zusätzlich zu seinen sakralen Holzschnitten und Malereien fertigte er Portraits von reichen Ehepaaren wie den Cuspinians an, was seine allein schon erwerbsnotwendige Beheimatung im Sakralen wie Profanen untermauert (vgl. S. 11-19). Das Jahr 1508 schildert Beck als Entscheidungsjahr in zweifacher Hinsicht: Einerseits sind es möglicherweise diplomatische Matrimonialerwägungen, die Cranach in der zweiten Hälfte dieses Jahres in die Niederlande führen, um die Wogen zwischen Maximilian I. und dem sächsischen Kurfürsten Friedrich III. dem Weisen zu glätten. Andererseits ist es die Wappenverleihung durch seinen kurfürstlichen Herrn am Epiphanienfest, die es ihm ermöglicht, mit einer heraldischen Noblesse seine Dienste über die territorialen Grenzen hinweg anzubieten: In Mecheln macht Cranach in diesem Sinne am flämischen Hof der habsburgischen Statthalterin für die Niederlande, Margarethe von Österreich, auf sich aufmerksam und portraitiert mit deren Neffen, dem späteren Kaiser und Spanienkönig Karl V., eine wirkungsmächtige Schlüsselfigur in der europäischen Geschichte. Zusätzlich zu seinem festen Halbjahresgehalt, das Cranach ab 1505 in seiner residenzpflichtigen Stellung als Hofkünstler in Wittenberg bezog, erhielt der später sechsfache Familienvater Aufträge aus dem ganzen Heiligen Römischen Reich und darüber hinaus. Nicht zuletzt von Kunstschulen in Antwerpen und durch Albrecht Dürer beeinflusst, legte er dabei eine große motivisch-thematische Bandbreite an den Tag (vgl. S. 56-102). Diese reichte von der dynastischen Inszenierung der herrschaftlichen Legitimität seines kurfürstlichen Dienstherrn im Zeichen des Gottesgnadentums, wie sie in seinen ursprünglich für die Wittenberger Schlosskirche angedachten Schaffungen in Form des Katharinenaltars, des Sippenaltars sowie des Dessauer Fürstenaltars offenkundig wird, bis hin zum Mythologisieren der Nacktheit in Aktbildern, wie es etwa bei den Gemälden „Venus und Cupido“ oder der „Liegenden Quellnymphe“ der Fall ist. Im örtlichen Stadtleben Wittenbergs trat Lucas Cranach d.Ä. als Immobilienbesitzer und Nutznießer des Apothekenprivilegs auf. Dieser ökonomische und soziale Einfluss war bei ihm an eine zunehmende politische Aktivität zwischen 1519 und 1544 gekoppelt, welcher er mit Unterbrechungen in den Ämtern des Stadtkämmerers und Stadtrats sowie in drei voneinander gelösten Amtszeiten als Bürgermeister nachging. In seiner Reputation als Maler, Zeichner und Vorlagengeber blieb Cranach nach dem Thesenanschlag Martin Luthers und dem Beginn der Reformation bis in die späten 1530er Jahre hinein auf der Gehaltsliste von Würdenträgern der römischen Kirche. Allen voran der multi-diözesane Oberhirte und Hohenzollern-Kardinal Albrecht von Brandenburg beauftragte ihn mit der kompletten Neugestaltung der Stiftskirche in Halle. Jenseits des Ökonomischen präferierte Cranach persönlich jedoch das sich zunehmend ausbreitende protestantische Bekenntnis. In diesem Sinn zeigen Beck zufolge seine Holzschnitte fortan nicht mehr die vorherigen Jagd- und Turniermotive, sondern den Reformator Martin Luther als Augustinermönch oder Schutz-Entführten und Bibelübersetzer „Junker Jörg“. Als führender Kopf einer auf Wiedererkennung ausgelegten Stilistik seiner Werkstatt bediente der Trauzeuge des Ehepaars Luther in seinen Kupferstichen folglich die Narrative im Sinne des Anti-Papalismus. Somit verdiente er nicht nur durch die Kritik an den Einkommensquellen anderer selbst Geld, sondern wurde auch zum Wegbereiter einer genuin protestantischen Kunstfertigkeit. Nach etlichen Großaufträgen wie dem für die Ausstattung der Stiftskirche von Berlin-Cölln durch den brandenburgischen Kurfürsten verliert Cranach d.Ä. 1547 für fünf Jahre seine Stellung als Hofmaler. Der Neffe Friedrich des Weisen, der ernestinische Kurfürst Johann Friedrich I. der Großmütige, hatte sich im Zuge des Schmalkaldischen Krieges gegen Kaiser Karl V. gestellt und dadurch seine Kurwürde an den ebenfalls protestantischen Zweig der albertinischen Wettiner aus Dresden verloren. Nach diesem politischen Schicksalsschlag folgte Lucas Cranach d.Ä. seinem Dienstherrn ins Weimarer Exil, wo er am 16. Oktober 1553 starb. Es sind seine Lebensstationen und künstlerischen Leistungen, die Barbara Beck in ihrer chronologischen Herangehensweise übersichtlich und ausdifferenziert darzustellen weiß, indem sie das Welthistorische mit dem Kunsthistorischen paritätisch ineinander verschränkt. Eine hilfreiche Einführung zu einer nicht weniger interessanten Biografie.